«Kleines Land, grosse Lebensmittelnation!»
So kann es nicht weitergehen! Diese Erkenntnis führte zur Gründung des Swiss Food & Nutrition Valley. Worum geht es?
Christina Senn-Jakobsen: Wir sind uns innerhalb unserer Organisation einig, dass sich die Art, wie wir Lebensmittel produzieren – wo wir das tun, wie wir sie verarbeiten, verpacken, transportieren, konsumieren und wie viel wir wegschmeissen – ändern muss. Sonst können weder die Erde noch die Menschen überleben. Wir haben zwei Krisen: die Klimakrise in Bezug auf den Planeten und eine Krise der menschlichen Gesundheit. Die 150 Partnerinnen und Partner des Swiss Food & Nutrition Valley erkennen an, dass wir Teil des Problems sind – wollen aber auch Teil der Lösung sein. Wir suchen gemeinsam einen Weg, die Lebensmittelsysteme zu transformieren.
Was muss ein Unternehmen mitbringen, um sich Ihnen anzuschliessen?
Es muss im Schweizer Handelsregister eingetragen sein, hier mehr als nur ein Verkaufsbüro betreiben – und das Interesse und den Willen haben, in Zusammenarbeit etwas zu verändern.
Der Name lässt es vermuten: Vorbild Ihrer Organisation ist das Silicon Valley.
Richtig, auch wir wollen ein Ort sein, an dem Innovation gefördert wird, einfach im Foodsegment. Es gibt bereits vergleichbare Initiativen in den Niederlanden oder in Dänemark – wobei diese im Gegensatz zu uns nicht nur über ihre Partnerschaften finanziert sind, sondern hauptsächlich staatlich gefördert werden. Bei der Gründung des Valley stand die Hypothese im Raum: Kleines Land, grosse Lebensmittelnation! Wir haben in der Schweiz ein sehr starkes Ökosystem im Bereich Ernährung.
Was heisst das?
Wir verfügen über viel Innovationskraft, was unter anderem an Hochschulen wie der ETH in Zürich oder der EPFL in Lausanne liegt. Das akademische Niveau in der Schweiz ist hoch und wir sind bestens mit Wissen, Technologie und Talenten aufgestellt. Es gibt jede Menge gute Leute, um etwas zu entwickeln. Dazu kommen viele Grossunternehmen, die ihren Hauptsitz bei uns haben und hierzulande aktiv sind, Nestlé zum Beispiel. Das Unternehmen investiert 60 Prozent seines Forschungs- und Entwicklungsbudgets in der Schweiz.
Kurz: Die Schweiz ist der richtige Ort, um Ideen voranzutreiben?
Genau. Wobei: Für ein Start-up ist der Markt gar nicht so spannend, weil er nur acht Millionen Menschen umfasst. Zum Testen und Entwickeln sowie für Feedbacks hingegen ist die Schweiz das beste Feld überhaupt. Man kann in verschiedenen Sprachen testen, und die Leute sind bereit, für etwas Gutes zu bezahlen – aber dafür muss man liefern. Ausserdem sind die Schweizerinnen und Schweizer neugierig, wenn es um Innovation geht. Und das Land steht für Werte wie Präzision und Zuverlässigkeit, die im Foodbereich wichtig sind. Dass die Schweiz eine starke Lebensmittelnation ist, ist aber auch mit Verantwortung verbunden. Wir müssen, was wir haben und können, mit der Welt teilen. Das bietet nicht zuletzt finanzielle Möglichkeiten: Wir können Technologien verbreiten und Produkte verkaufen.
Und das ist im Valley das Ziel?
Als Organisation wollen wir zukunftsfähige Lebensmittelsysteme entwickeln. Dazu kommen die individuellen Wünsche unserer Partner und Partnerinnen. Ein Start-up erhofft sich mehr Sichtbarkeit, ein Konzern will sich im Bereich Innovation vernetzen, ein Kanton präsentiert sich als Standort für Firmen: Das ist alles willkommen, aber nicht unser Ziel als Verein. Wir bieten jedoch den Rahmen, dass es zusätzlich entstehen kann.
Gibt es moralische Kriterien bei der Auswahl Ihrer Partnerschaften?
Wir übernehmen für die uns angeschlossenen Unternehmen keine Verantwortung, das können wir gar nicht. Eine intensive Diskussion hatten wir in der Frage, ob Alkohol zur Ernährung gehört.
Und?
Wir haben entschieden, dass Alkohol ein Bestandteil der zwischenmenschlichen Interaktion ist und zum sozialen Aspekt unserer Esskultur gehört. Viele unserer Partner und Partnerinnen sind zudem in der Entwicklung von No / Lo-Alternativen und Ähnlichem tätig.
Bei fast 100 Ihrer Partnerorganisationen handelt es sich um Start-ups. Warum ist das Valley für diese so attraktiv?
Lassen Sie mich ausholen: Wir wissen heute, was es braucht, damit es dem Planeten und dem Menschen gut geht. Und wir verstehen, mit welchen Herausforderungen das Ernährungssystem verbunden ist. So viel zur Ausgangslage. Start-ups entwickeln für eine dieser bestehenden Herausforderungen eine Lösung. Von der Innovation zur effektiven Wirkung ist es aber ein langer Weg. Die Firma braucht Talente, Geld, Infrastruktur, Kontakte, Kundschaft … Da können wir helfen: Wir wissen, was es gibt, können vernetzen, an die passenden Stellen verweisen. Viermal pro Jahr geben wir einen Deal-Flow- Newsletter heraus, in dem sich Start-ups vorstellen können. Den versenden wir in die ganze Welt, an alle Investorinnen und Investoren, die wir kennen.
Das funktioniert?
Sehr gut sogar. Wir können bereits nach dem ersten halben Jahr Erfolgsgeschichten verzeichnen. Darüber hinaus haben wir eine Plattform lanciert, auf der Firmen ihre Geräte und Infrastruktur zur Miete offerieren können. So wollen wir kleinen Unternehmen helfen, schneller von der Idee zur Wirkung zu kommen.
Auch international. Warum ist das wichtig?
Wenn wir hier ein nachhaltiges System aufbauen, macht das zu wenig aus, um die Klimakrise zu lösen. Wir müssen unsere Technologien und unser Wissen dorthin bringen, wo es wirklich einen Unterschied macht: in die USA, nach Brasilien, China und Indien. Wir entwickeln aktuell zum Beispiel eine Partnerschaft mit der Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen: Die Schweiz hat die Innovationskraft, die Organisation das Wissen, wo es global Unterstützung braucht – und wir sorgen dafür, dass sich Bildungsstätten, Start-ups und Unternehmen finden, um zusammen etwas zu bewirken.