13.10.2020 Salz & Pfeffer 6/2020

Ein Zacken ehrlicher

Text: Martin Jenni – Fotos: Njazi Nivokazi
Im Restaurant Speck in Aarau ist es einfach, den Abend zu verbummeln. Am Tag wirds schwieriger, öffnet die Oase doch erst um 18 Uhr. Warum eigentlich?
Die drei vom Speck: Fabio Nenna, Susanna Gerber und Laura Peter
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«Unsere Küche ist analog und basiert auf Respekt gegenüber den Tieren und der Welt.»

Jahrzehntelang prägte Fredy Speck sein Restaurant und die Metzgerei. 2018 verabschiedete er sich in die Pension. Wie weiter?, lautete die Frage beim traditionellen Familienunternehmen, zu dem damals eine Metzgerei mit Gaststätte in Aarau sowie eine Metzgerei im Stadtteil Rohr gehörten. Schnell war klar, dass sichdie Familie aufs Hauptgeschäft in Rohr konzentriert und die Metzgerei in Aarau auflöst. Das zugehörige Restaurant wurde saniert und der Raum der vormaligen Metzgerei darin integriert. Die Geschwister Christine und Peter Speck, die Kinder von Arthur Speck, der wiederum der Bruder von Fredy ist, hatten bei der Suche nach Nachfolgern für ihren legendärenOnkel den richtigen Riecher, als sie Laura Peter die Führung des Lokals und der Architektin Verena Frey die Renovation des Hauses anvertrauten. So weit, so gut.

Das Resultat dieser Übergabe ist eine unprätentiöse Erfolgsgeschichte, die seit Frühling 2018 nicht nur die Eingeborenen von Aarau in ihren Bann zieht. Das Publikum im Speck ist gut durchmischt, die Stimmung flott, und an den Tischen variierendie Dialekte zwischen Zürich und Basel. Das einzig Störende ist, dass der Speck mittags nicht geöffnet hat. Aarau würde eine kulinarische Bereicherung des aktuellen Mittagsangebots gut anstehen. «Unsere Arbeit ist wahnsinnig schön, aber auch sehr anstrengend. Kompliment an alle, die sich so was antun», beantwortet die sympathische Gastgeberin Laura Peter die unausgesprochene Frage. Peter ist in der Gastroszene keine Unbekannte. Nach ihrer grossen Neuseeland-Reise war sie sieben Jahre lang Geschäftsführerin bei Bindella, bevor sie 1998 als Selbstständige die Aarauer Bistro-Bar Gossip übernahm, in der nicht nur gut gegessen und getrunken wird, sondern auch der Stadtklatsch die Runden macht.

Aarau wird immer noch gern und oft vom Rest der Schweiz unterschätzt. Dabei begeistert der Ort Jung und Alt mit seinem Kunsthaus, der Altstadt, dem lebendigen Samstagsmarkt, der Aare-Auenlandschaft und den zahlreichen kleinen kulturellen Anlässen. Und schon bald (Oktober 2021) wird hier mit der Alten Reithalle ein Haus eröffnet, das für Theater, Tanz, Musik und modernen Zirkus einsteht. Also noch ein Grund mehr, Aarau zu besuchen, obwohl dem Genussmenschen der Speck durchaus genügte.

Die Küche hier ist wohltuend unaufgeregt. Sie besticht durch eine elegante Schlichtheit und überrascht immer wieder mal mit unkonventionellen Kombinationen, die den Gaumen zwar fordern, aber nie überfordern. Dafür verantwortlich sind Susanna Gerber und Fabio Nenna, die Neues und Altes gekonnt verbinden oder harmonisch nebeneinander herlaufen lassen. Das präsentiert sich dann beispielsweise so: ein Tatar von der Aubergine und Tomate, gefolgt von einem knackigen Fritto misto aus Kabeljaukroketten, Calamari, Zucchiniblüten, Champignons und allerlei Gemüse, sekundiert von einer Aïoli der besseren Art. Dazwischen einige luftige Basilikum-Gnocchi, bis es mit einem knusprigen, in Buttermilch und Kräutern marinierten Backhendl zu Ende geht. Fast. Denn danach bieten sich diverse Desserts an, etwa Pavlova, Mirabellen-Tarte-Tatin oder hausgemachtes Sorbet aus Schwarzen Johannisbeeren mit Cassislikör. «Unsere Küche ist analog und basiert auf Respekt gegenüber den Tieren und der Welt»: So beschreiben es Susanna Gerber und Fabio Nenna. «Wir sind authentisch, sorgfältig und echt. Wir wecken Erinnerungen aus vergangenen Tagen, lassen uns aber genügend Raum für Neues.»

Pavlova ist eine Baisermasse, die aussen hart und innen weich ist. Im Speck wird der süsse Evergreen mit Zwetschgen und Rahm serviert.
Pavlova ist eine Baisermasse, die aussen hart und innen weich ist. Im Speck wird der süsse Evergreen mit Zwetschgen und Rahm serviert.
So einfach kann Genuss sein: lauwarmer Pulpo mit einer gerösteten Chorizo-Scheibe und geschmorter Rande.
So einfach kann Genuss sein: lauwarmer Pulpo mit einer gerösteten Chorizo-Scheibe und geschmorter Rande.
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Das sind einige Beispiele aus der moderneren Sparte auf der Karte des Hauses. In der «Retrospecktive» warten indes einTatar vom Rind mit Zwiebelsprossen, Kapern und hausgemachtem Brioche, ein Cordon bleu vom Freilandsäuli, gefüllt mit Schinken und Freiburger Vacherin, oder ein Wiener Schnitzel und die butterzarte Kalbsleber. Diese Gerichte sind dem Vorgänger Fredy Speck gewidmet, der die grosse Stammkundschaft über Jahrzehnte hinweg mit seinen Klassikern bediente und verwöhnte. «Wir haben die Wirtschaftsphilosophie der Familie Speck, die sie an diesem Ort zelebriert hatte, aufgenommen und pflegen weiterhin den Gedanken, eine Beiz zu sein, in der Frau und Mann sich unangestrengt zum freudigen Essen treffen», sagt Laura Peter.

Natürlich liegen solche Worte im Trend; zahlreiche Gastgeber sinnieren heute über eine  nachhaltige, regionale und saisonale Küche für tout le monde, aber im Speck ist halt doch alles einen Zacken ehrlicher und herzlicher – mit Mitarbeitenden, die ihre Arbeit immer wieder hinterfragen, Abläufe kontrollieren, korrigieren und Neues austüfteln, ohne gleich abzuheben, und die mit einer guten Portion Humor erfolgreich durchs gastronomische Haifischbecken schwimmen.

Diese Einstellung steckt nicht nur die Gäste an, sondern alle, die im und für den Speck tätig sind. Zum Beispiel die Küchenhilfe Dali Sherpa, die von Laura Peter das Prädikat «Spitzenklasse» verliehen erhält, oder die sehr hilfsbereite Sue Hülsmann, die es schafft, immer dort zu sein, wo sie benötigt wird. Cousin Daniel Peter ist die önologische Spürnase, die gemeinsam mit Laura Peter eine spannende Weinauswahl zusammenstellt, in der es auch Platz hat für Öpfelschuumwii aus dam aargauischen Wil, für «AiAiAi» aus dem Priorat, für Grignolino aus dem Monferrato und für eine ganze Menge anderer trinkfreudiger Emotionen.

Und sonst? Das Gemüse kommt von Lea Rampini respektive ihrem Biohof in Schlossrued, das Fleisch, logisch, von der Familie Speck aus Rohr, der Käse, je nachdem von Susanne Klemenz oder Rolf Beeler, der Fisch von Bianchi – und so geht das weiter. Kein Fake, keine Pulversauce, kein Aromat, dafür eine Menge frischer Aromen. Qualitätsgastronomie kann nie billig sein, umso erstaunlicher sind die durchwegs fairen Preise. Chapeau zu dieser Oase, die vielleicht doch noch eines Tages zum Mittagstisch einlädt! Vielleicht den Winter hindurch zum Sonntagsbraten? Wer weiss.

Restaurant Speck
Zollrain 10, 5000 Aarau
062 824 39 74
restaurantspeck.ch