10.09.2019 Salz & Pfeffer 6/2019

Eine Frage der Haltung

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Seit vier Jahren beweist sich Markus Burkhard im Jakob Rapperswil als konsequenter Verfechter seiner Werte. Das ist spannend: auf dem Teller wie im Gespräch.
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Schwein (Kopf und Fuss), Schalotten, Peperoni, Tomatillos
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«Das Haus lebt von den Persönlichkeiten, die dahinterstecken.»

Es gehört in der Gastronomie zum guten Ton, sich Nachhaltigkeit auf die Fahne zu schreiben. Sie gehen einen Schritt weiter und achten darauf, nachhaltig mit sich selber umzugehen. Was heisst das konkret?
Markus Burkhard: Ich finde, dass wir hier Tag für Tag etwas Wichtiges machen und deshalb dafür sorgen müssen, dass wir das langfristig tun können. Die Arbeit in unserer Branche ist streng und mitunter ungesund, das ist klar. Die meisten Gastronomen, ich eingeschlossen, arbeiten nicht jede freie Minute an ihrer Fitness und achten nicht ständig auf ihre Gesundheit. Wir essen gern, mögen Wein, haben lange Arbeitstage, ernähren uns im Job nicht besonders gut und schlafen wenig. Umso wichtiger ist es, dass wir die Freude an unserer Arbeit behalten.

Um das zu gewährleisten, beschlossen Sie, das Restaurant Jakob einen zusätzlichen Tag zu schliessen.
Genau: Unser Esszimmer ist sonntags, montags und dienstags zu, wobei wir den Dienstag jeweils für die Produktion nutzen. Wir machen tatsächlich die Erfahrung: weniger offen, mehr Umsatz. Nach etwa zwei Jahren hatten wir einfach festgestellt, dass an gewissen Tagen nicht das auf der Kasse ist, was wir uns erhofft hatten – und dass der Raubbau, den wir am eigenen Körper und an der eigenen Motivation betrieben, sich dafür nicht lohnte. Das stand in keinem Verhältnis. Sowohl meine Partnerin Flavia Hiestand wie auch ich verbrachten früher zu viel Zeit im Restaurant, um das langfristig machen zu wollen. Genau das jedoch ist das Ziel: Wir möchten unsere Idee, mit der wir hier im Jakob starteten, immer weiter verdichten.

Erzählen Sie.
Wir beschäftigen uns mit unserer Region, mit den Produkten von hier. Es wäre idiotisch, wenn wir nicht erkennen und nutzen würden, was wir haben: die Bergregion in Wald, den See vor der Nase, den Gemüseanbau im Linthgebiet. Das Ganze benötigt aber Zeit; manche Produzenten wechselten, andere entdeckten wir erst nach und nach. Und mit Menschen wie Matthias Hollenstein von Slow Grow entwickelte sich eine Beziehung, die über die blosse Zusammenarbeit hinausgeht. Solche Prozesse durchzumachen, das Netz zu festigen, braucht Luft und Raum. Dafür glaube ich, dass wir heute besser sind als am Anfang, dass wir an Konsequenz zugelegt haben.

Inwiefern?
Nun ja, wir fahren seit Anbeginn ein regionales Konzept mit den Ausnahmen Kaffee, Wein und Schokolade – auf die kann ich einfach nicht verzichten. Bei allem anderen kommen wir damit aus, was wir rundherum haben: Ich verwende die Früchtevon meinem Limettenbaum auf dem Balkon und verzichte auf Gewürze wie Muskat oder Pfeffer. Wir wollen glaubwürdig sein, den Nachhaltigkeitsgedanken ehrlich leben. Und wir stellten fest, dass die Auseinandersetzung mit der Umgebung und den Geschmäckern, die die Region hergibt, intensiver ist, wenn man nichts anderes zulässt. Der Prozess ist total spannend. Wir suchten beispielsweise einen Weg, um Piment d’Espelette zu ersetzen, pflanzten Chilis an, fermentierten und trockneten sie – und erhielten tatsächlich ein säuerliches Paprikapulver, das wir verwenden können.

Sie sind stark von Ihrer Philosophie getrieben.
Das stimmt. Und ich möchte noch besser werden, gerade auch, was die Verwertung unserer Lebensmittel angeht. Deshalb lancierten Marius Frehner vom Zürcher Gamper und ich mit der gütigen Hilfe von Beat Lendenmann von Pico Bio eine Art Fleischkooperation. Wir lassen die Rinder möglichst nah schlachten, bringen sie zu Pico Bio, wo wir einen Kühlraum zur Verfügung haben, und teilen die Stücke auf. Das ist super, aber ich habe immer wieder Fleisch, bei dem ich überlegen muss, was ich damit anfange. Was macht man zum Beispiel mit all den Rinderherzen? Die letzte Charge habe ich getrocknet, um sie zu reiben, aber so ein getrocknetes Rinderherz hält ja ewig. Das beschäftigt mich.

Wie bereit sind Ihre Gäste für das, was Sie tun?
Wir sind sehr anständig, ganz ehrlich. Wir schockieren wenig.

Würden Sie gern mehr?
Manchmal, ja. Hin und wieder erwische ich mich selber dabei, dass ich mein Gericht als «knusprigen Schweinswürfel» präsentiere, statt auszuführen, dass es sich dabei um Schweinskopf handelt. Das mag idiotisch sein, ist wohl aber natürlich. Ich will nicht riskieren, dass mein Gast deswegen einen schlechten Abend hat.

Suure Mocke, Lattich, Kartoffel, Speck
Suure Mocke, Lattich, Kartoffel, Speck
Egli, Gurke, Verveine, Crème fraîche
Egli, Gurke, Verveine, Crème fraîche
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Den engen Bezug zu den Produzenten pflegt man im Jakob auch ausserhalb der Küche – mit einem kleinen Laden im Gastraum, zum Beispiel.
Den engen Bezug zu den Produzenten pflegt man im Jakob auch ausserhalb der Küche – mit einem kleinen Laden im Gastraum, zum Beispiel.
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Beruflich und privat ein gutes Team: Küchenchef Markus Burkhard und Gastgeberin Flavia Hiestand
Beruflich und privat ein gutes Team: Küchenchef Markus Burkhard und Gastgeberin Flavia Hiestand
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Die Verbindung von Hotel und Restaurant ist ein Glücksfall: Gäste, die abends ausgiebig schlemmen, finden im Jakob auch gleich ein Bett für die Nacht.
Die Verbindung von Hotel und Restaurant ist ein Glücksfall: Gäste, die abends ausgiebig schlemmen, finden im Jakob auch gleich ein Bett für die Nacht.

Nun, die Gastro-Guides mögen, was Sie tun. Von Michelin gabs inzwischen einen Stern, von Gault & Millau 16 Punkte und den Titel Entdeckung des Jahres 2018. Was änderte das für Sie?
Für mich persönlich gar nicht so viel. Aber klar bewegen solche Auszeichnungen etwas: So begann sich eine neue Klientel für uns zu interessieren und die Motivation im Team stieg. Wir sind heute noch achtsamer als früher. Wobei wir von Anfang an den Anspruch hatten, unsere Sache jeden Tag besser zu machen. Wir sind durchaus sportlich unterwegs.

Wie gehen Sie mit dem wirtschaftlichen Druck um?
Mal besser, mal schlechter. Natürlich wäre es schön, wenn wir das Budget hätten, um hier alles genau so zu gestalten, wie wir es uns wünschen – aber alles in allem ist es einfach toll, dass wir etwas tun können, woran wir wirklich glauben.

Sie pachten das Hotel und Restaurant Jakob zu fünft. Wie läuft das?
Ich bin überzeugt, dass das Haus von den Persönlichkeiten lebt, die dahinterstecken. Wir haben unterschiedliche Hintergründe und bringen verschiedene Perspektiven mit – das ist grossartig. Jeder hat seinen Bereich, seine Kompetenz: Patrick Honauer verfügt über ein riesiges Netzwerk, seine Schwester Nathalie kümmert sich ums Hotel, ihr Mann Albert macht die Buchhaltung. Flavia fungiert als Gastgeberin, mein Reich ist die Küche. Diese Zusammenarbeit ist das Fundament. Dass wir dank Albert zum Beispiel stets wissen, wo wir finanziell stehen, ist Gold wert. Auch, dass ihm die Haare zu Berge stehen, wenn Flavia Wein einkauft oder die Rechnung für zwei ganze Rinder reinflattert. Wir müssen dann erklären und argumentieren – das ist gut so.

Hatten Sie je Angst vor der Selbstständigkeit?
Nicht wirklich. Obwohl es am Anfang, als Flavia und ich noch angestellt waren, Situationen gab, die wir ohne finanzielle Einschübe von Patrick, Nathalie und Albert wohl nicht gemeistert hätten. Damals hinterfragten wir echt alles. In der Zwischenzeit läufts aber immer besser. Der Trend stimmt, und dass es langsam, aber stetig vorwärtsgeht, passt zu unserer Idee von Nachhaltigkeit.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass wir weiter wirtschaftlich besser werden und eine Konstanz erreichen, die uns die Planung erleichtert. Momentan wechselt unser Menü recht oft, weil wir von gewissen Komponenten nicht genug haben. Es wäre cool, mengenmässig besser aufgestellt zu sein, die Fleischkooperation mit Marius ist da ein Anfang. Unser Ziel wäre es, dass sich daran mehr Gastronomen beteiligen und irgendwann beim Schlachten schon klar ist, wer welche Teile vom Tier will. Ich zum Beispiel weiss gar nicht mehr, was ich mit dem Filet anfangen soll; das brauchen inzwischen unsere Lehrlinge zum Üben und machen daraus Chateaubriand fürs Personal.

Ein Luxusproblem.
Vielleicht, ja. Tatsächlich ergeben sich aus unserer Philosophie heraus plötzlich neue «Probleme». Ich möchte niemandem ans Bein pinkeln, aber je mehr wir hier tatsächlich leben, was wir uns vorgenommen haben, desto mehr sehen wir auch, wie wässrig in der Gastronomie gearbeitet wird: Der Aufhänger von regional, saisonal und nachhaltig wird inflationär verwendet. Das ist schrecklich. Denn wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass viele Leute die Verantwortung dann doch von sich weisen – und wie schwer es Menschen wie Matthias Hollenstein fällt, ihre Vision zu verfolgen. Da sind wir, die Gastronomen, der Schlüssel.

Wie meinen Sie das?
Wir können nachhaltige Ideen und Konzepte nach aussen tragen, eine Plattform bieten und die Gesellschaft sensibilisieren. Ich finde es verstörend, wenn ich in Restaurants, die sich neu und modern präsentieren, doch wieder Foie gras, Hummer und Thunfisch auf dem Teller finde. Es reicht nicht, tätowierte Arme und einen Schnauz zu haben, kurze Hosen und Birkenstock zu tragen und zu Rock-’n’-Roll-Musik zu kochen – wenn man es sich am Ende trotzdem einfach macht. Erst wenn man den unbequemen Weg wählt, gehen die Türen auf, hinter denen die richtig spannenden Geschichten und Menschen warten.

Im urklassischen Berner Bistro Beaujolais erlebte Markus Burkhard (36) während seiner Kochlehre eine recht abenteuerliche Zeit, in der er weniger über die Finessen des Handwerks lernte als über Besitzerwechsel, dubiose Geschäftspartner, ausbleibende Löhne und Konkurseröffnungen. In der Folge absolvierte er diverse Stationen und wechselte munter zwischen den Welten, heuerte mal bei Franz W. Faeh im Hotel Grand Park in Gstaad an, fungierte dann als Küchenchef beim Bio-Vatter in Bern und landete schliesslich im Grand Hotel Victoria-Jungfrau in Interlaken, in dem ihn der Ehrgeiz packte. Es folgten Stationen in Zürich: im Sonnenberg, damals unter der Ägide von Jacky Donatz, und für drei Jahre im Clouds, bevor es ihn Ende 2015 nach Rapperswil verschlug. Im Hotel und Restaurant Jakob ist Burkhard heute Teil einer fünfköpfigen Pächtercrew: Gemeinsam mit Patrick Honauer, Nathalie und Albert Honauer Gemperle sowie seiner Partnerin Flavia Hiestand führt er das Haus an bester Lage. Das Hotel verfügt über 20 Zimmer, das Restaurant über rund 30 Plätze. Burkhard verarbeitet für sein Menü, das der Gast in drei bis sieben Gängen bestellen kann, konsequent Produkte aus der Region, hält einen Michelin-Stern sowie 16 Punkte und den Titel Entdeckung des Jahres 2018 von Gault & Millau.

Hotel und Restaurant Jakob
Hauptplatz 11, 8640 Rapperswil
055 220 00 50
www.jakob-rapperswil.ch