Die vor allem mit sich selbst beschäftigten Alphaköche scheinen auszusterben.
Wenn Köche so gut vorbereitet sind wie Andoni Luis Aduriz, werden Journalistinnen und Journalisten beinahe überflüssig. Der Patron des Restaurants Mugaritz nahe San Sebastián kocht nicht nur gut und eigenständig, sondern fragt auch neugierig. Seinen Gesprächspartner, René Redzepi, bringt er zum Nachdenken, was bei dem an Publicity gewohnten Chefkoch des Kopenhagener Noma selten vorkommen dürfte. Es geht um die Organisation des Restaurants (Top-Mitarbeiter fördern!) und um das Feedback (nur teilweise gern gesehen). Auch über Fermentation wird geplaudert, aber die ist im Noma dermassen selbstverständlich und auch anderswo in der Spitzengastronomie so verbreitet, dass manche und mancher im Publikum die Augenbrauen hebt. Kommt da noch was?
Ja. Und wie. Die 20. Ausgabe der Madrid Fusión bringt den Profis, die leider kaum aus der Schweiz stammen, viele Inspirationen. Im Trend liegt etwa, das wird auf diesem Gastrosymposium deutlich, die Hinwendung zu Team, Gast und zur Nachhaltigkeit. «Wir sind getrieben von Liebe», sagt Eric Vildgaard, und man glaubt dem grossflächig tätowierten Chef des dänischen Restaurants Jordnær aufs Wort, weil er eine fast schüchterne Selbstverständlichkeit ausstrahlt. «Alles beginnt mit Respekt.» Dem fürs Produkt natürlich auch. Vildgaard bereitet Jakobsmuscheln zu, handgetaucht. Und er versteht sich trotz seines Erfolges nicht als Star. Überhaupt scheinen die vor allem mit sich selbst beschäftigten Alphaköche auszusterben. Der Drei-Sterne-Koch Quique Dacosta repräsentiert noch ein bisschen den alten Stil, aber die emsigen, still und leise Kon- und Rezepte entwickelnden Kolleginnen und Kollegen dominieren.
Der Deutsche Andreas Krolik (Lafleur in Frankfurt am Main) zum Beispiel, einer der wenigen Fusión-Teilnehmer, die nicht dem spanischsprachigen oder skandinavischen Kulturkreis entstammen. Mit seinem veganen Gericht auf Zwei-Sterne- Level ist er noch eine Ausnahme in der europäischen Spitzengastronomie. Joan Roca, einer der Brüder aus dem Celler de Can Roca, legte eh niemals Allüren an den Tag. Ausführlich referiert er, mit welchen Techniken er sich in den vergangenen 20 Madrid-Fusión-Jahren beschäftigt habe. Was er anschliessend an Gemüsegerichten zusammenfügt, aus Topinambur und dehydrierter Rande, wirkt gegenüber früheren Jahren puristisch. Auch Rodrigo de la Calle (Restaurant El Invernadero, Madrid) spricht enthusiastisch über Grünzeug und andere Gemüse. Eine im Kühlschrank vergessene Karotte, weich und unansehnlich? «Es gibt keinen Grund, sie fortzuwerfen», befindet er. Und Denise Monroy vom Elektra in Bogotá zeigt aus südamerikanischer Perspektive, wie pflanzenbasierte Küche aussehen kann: cool, spicy, nachhaltig und mit viel Maniok.
Es scheint, als wäre die Epoche der Küchenzauberei mittels Rotationsverdampfern und Texturgebern in ihrem Spätherbst angelangt: Der 3D-Drucker, aus dem das Kopenhagener Restaurant Alchemist Essbares auswerfen lässt, mutet an wie das letzte Zucken einer vergehenden Technikgläubigkeit. Dazu passt, dass Oriol Castro (Disfrutar in Barcelona) eine halbe Stunde lang darüber plaudert, was sich aus Käse und einer stinknormalen Mikrowelle machen lässt. Artur Martínez (Restaurant Aürt in Barcelona) philosophiert lieber über lokale Produkte als über Geräte. «Wir glauben, dass es in der Umgebung viel Exotismus gibt», sagt er. Und das soll bis zum letzten Krümel oder Tropfen verwendet werden – so wird etwa das Kochwasser der Bohnen genutzt, so wird die Sojasauce zum Thunfisch selbst angesetzt. Authentizität statt Show, plausibles Storytelling und Eigenständigkeit statt pompöser Inszenierung. Dass in seinem Restaurant die Gäste nah den Herden sitzen, ist übrigens kein Zufall – Gastrobars und Chef ’s Tables liegen im Trend. Noch nicht angekommen in allen Regionen Europas ist dagegen die Bedeutung der Patisserie. Die Dessertschule Espai Sucre in Barcelona zeigt süsse Kombinationen mit Schweineschmalz und Thai- Ingwer, und sie führt Begriffe ein, die für viele Patissiers noch suspekt sind: Fragilität und Dynamik.
Als René Redzepi und Andoni Luis Aduriz auseinandergehen, hat Letzterer noch lange nicht alle Fragen gestellt: Journalisten und Journalistinnen sollten sich an seiner Vorbereitung ein Beispiel nehmen. Und Köchinnen und Köche ihrerseits am Noma-Chef. Dieser war nämlich schon eine Weile nicht mehr auf der Madrid Fusión, und ob er im Jahr 2023 wiederkommt, steht in den Sternen. Sich rar zu machen als Koch, nicht jedem Trend nachzuhecheln, das gehört ebenfalls zur Gastronomie von morgen.