«Jetzt will ich so kochen, wie ich will.»
Als Küchenchef von Jonnie Boer standen Ihnen viele Türen offen. Warum haben Sie ausgerechnet das Restaurant Sens in Vitznau für Ihr Debüt ausgewählt?
Jeroen Achtien: Zu meinen Aufgaben im Restaurant De Librije von Jonnie Boer gehörte auch die Umsetzung des Gourmetmenüs Taste of De Librije auf den Kreuzfahrtschiffen der Holland American Line. Dort lernte ich Executive Travel Chef Robert Schumann kennen, den Vater von Karim Schumann, meinem Vorgänger hier im Restaurant Sens. So führte das eine zum andern.
Erzählen Sie.
Ich wusste von Robert Schumann, dass hier eine Stelle frei wird. Die Schweiz kannte ich ein bisschen, da ich mit Jonnie Boer Caterings in Lugano ausrichten durfte. Letztes Jahr während der Sommerferien war ich mit meiner Freundin bei Tanja Grandits essen. Wir reisten weiter zu Massimo Bottura, legten auf dem Weg aber spontan einen Stopp im Vitznauerhof ein und schauten uns alles an. Allerdings plante ich damals nicht, das De Librije zu verlassen.
Aber?
Irgendwann gelangte ich an einen Punkt, an dem ich mir sagte: Jetzt will ich so kochen, wie ich will. In den letzten Jahren genoss ich im De Librije viele Freiheiten, weil Jonnie Boer erkannt hatte, dass ich zusammen mit Souschef Nelson Tanate und Executive Chef Maik Kuijpers Gerichte in seinem Sinne kreierte. Boer setzte am Schluss nur noch ein paar Retuschen. Meistens war es nachher noch besser. Aber manchmal dachte ich auch: Das bin nicht mehr ich. Ich musste mich entscheiden, ob ich weiterhin einem grossartigen Koch folgen oder etwas Eigenes machen will. Ich wählte die zweite Option.
Sie kochten neun Jahre im Restaurant De Librije. Was faszinierte Sie an dem Lokal?
Zuerst muss man sagen, dass dort viel gearbeitet wird. Als ich anfing, waren es 75 bis 80 Stunden pro Woche. Später entschied die Brigade gemeinsam, noch eine Stunde früher zu starten, weil wir so eine bessere Qualität erreichen konnten. Aber die Atmosphäre, die Stimmung im Haus war einfach aufregend. Es ist ein grosses Team, alle beschäftigen sich mit Essen und Trinken, konstant, die ganze Zeit, Tag und Nacht. Zudem ist Jonnie Boer ein Koch, der ständig an seinen Gerichten arbeitet und sein Menü regelmässig wechselt. So blieb es immer spannend.
Was war Ihre anspruchsvollste Aufgabe?
Das kann man so nicht sagen. Ich brauchte drei Jahre, um die 34 Saucen des Hauses zu beherrschen. Saucen sind etwas vom Schönsten, was man kochen kann, aber sehr schwierig, um jemandem beizubringen. Kompliziert war auch das Geschäft auf den Kreuzfahrtschiffen. Auf den grösseren organisierten wir jeweils das De-Librije-Dinner. Das war ein frei wählbares Fünf-Gang-Menü für bis zu 100 Gäste. Es brauchte also eine Karte mit rund 15 Gängen, die dem Stil des De Librije entsprachen, aber für die Kochcrew auf dem Schiff umsetzbar waren, mit Zutaten, die 365 Tage pro Jahr überall auf der Welt erhältlich sind.
Seit April haben Sie das eigene Restaurant. Wie gehts mit der Entwicklung der Küche voran?
Dafür blieb bis jetzt nicht viel Zeit. Aus dem De Librije bringe ich einen Stil mit, der von mehreren Leuten beeinflusst wurde. Und auch hier im Sens ist mir das Team sehr wichtig. Klar bin ich der Chef, aber alleine schaffe ich es nicht. Wir kreieren die Gänge gemeinsam, etwa mit meinem Souschef Marcel Koolen, der auch zwei Jahre im De Librije arbeitete.
Was ist in Ihrer Küche wichtig?
Ich liebe es, anders zu sein. Wir fermentieren relativ viel. Das habe ich im De Librije gelernt. Im Sens treiben wir das aber noch weiter. Das funktioniert, weil ich wieder mehr koche. Bei Jonnie Boer produzierte ich irgendwann auch Kochbücher und kümmerte mich um andere Dinge. Hier stehe ich wieder jeden Tag am Herd, das fühlt sich gut an.
Im Sens trifft der Gast gleich beim Eintreten auf getrocknete Rinderherzen und Behälter mit fermentierendem Inhalt.
Die stillgelegte Feuerstelle in der Mitte des Gastraums ist ein Glücksfall. Es ist warm, was die Fermentation begünstigt, zudem hat es einen Abzug, so riecht der Gast nichts, sieht aber, was wir so machen. Die Rinderherzen legen wir während dreier Tage ein, dann trocknen und räuchern wir sie lange. Am Schluss werden sie über einen Gang geraspelt. Daneben lagern dort zurzeit ein Paprika-Kimchi, im Zucker eingelegte junge Tannenschösslinge und Bärlauchsamen in einer süss-sauren Flüssigkeit.
Sie scheinen glücklich hier im Luzerner Hinterland.
Meine Freundin wollte immer im Ausland arbeiten, dachte aber, dass ich das De Librije nicht mehr verlassen würde, dabei war ich damals erst 29 Jahre alt. In der Schweiz passt alles zusammen. Ich liebe Wassersport, zum Beispiel Wakeboarding, um den Kopf freizukriegen. Und ich liebe Skifahren. Darum ist es perfekt hier. Ich kann alles, was ich im Privaten mag, mit meiner Arbeit verbinden.