Herzstück des Hauses ist der begehbare Kirsch-Sarkophag. Hier lagern die 150 kostbarsten Flaschen der Sammlung, wie etwa ein Jahrgangskirsch von 1887 aus dem Hause Dettling, «die Mona Lisa unter den Kirschbränden», wie Fassbind sagt. Zu den Highlights zählt auch eine Zweier-Kollektion Baur-au-Lac-Kirsch, produziert in den Jahren 1921 und 1942 auf dem Gut Mädikon, dem Zuhause der Gründerfamilie des Zürcher Luxushotels Bar au Lac. Was damals am Fuss des Üetlibergs als «Zuger Kirsch» und «Rigi-Kirsch» gebrannt wurde, liefe zwar heute sämtlichen AOP-Bestimmungen zuwider, resultierte aber in Spirituosen allererster Güte, um die sich jeder Auktionator reissen würde. Den Marktwert von derlei Juwelen möchte Fassbind nicht explizit nennen, macht ihn aber mit einem Vergleich deutlich: «Unlängst erzielte ein Whisky aus dem Jahr 1921 auf einer Versteigerung in England 800000 Pfund. Raritäten aus dem Kirsch-Sarkophag spielen etwa in der gleichen Liga.» Wären die edlen Tropfen auch noch geniessbar? «Oh ja», sagt Fassbind. Er sei kürzlich in den Genuss einer geöffneten Flasche aus dem Jahr 1888 gekommen: «Das Geschmackserlebnis war sensationell. Wenn Spirituosen gut verschlossen und fachgerecht gelagert werden, überleben sie Jahrhunderte ohne sensorische Einbussen. Ob man eine solche Flasche öffnen kann, ist eine reine Preisfrage.»
Seine Schätze hat Fassbind aus allen Ecken des Landes zusammengetragen, sie kommen fast ausschliesslich aus privaten Sammlungen. Die Jahrgangstradition, wie sie heute nur noch wenige Häuser pflegten, sei eine Besonderheit der Schweizer Kirschbrenner, die bei anderen Obstdestillaten kaum üblich sei. «Jahrgangskirschbrände sind immer ein Abbild der Ernte und der Produktionsepoche eines bestimmten Jahres. Sie werden sorgfältig in Korbflaschen abgefüllt, mit einer Plombe verschlossen und je nach Firmenphilosophie mindestens ein Jahrzehnt gelagert», sagt Fassbind.
Für Schweizer Obstbrenner ist das Marktumfeld in den vergangenen Jahrzehnten schwieriger geworden, dafür sorgten Änderungen in der Spirituosenbesteuerung, die Vorteile für einheimische Produzenten abschafften, aber auch immer knappere Obsternten, begünstigt durch eingeschleppte Schädlingsarten und klimatische Veränderungen. Vor allem um die Kirsche werde jedoch wieder verstärkt gekämpft, sagt Fassbind. Das freut ihn: «Mit der sensorischen Vielfalt, die uns Kirschbrände bieten, kann es kein Whisky aufnehmen, das zeigen Blindverkostungen immer wieder eindrücklich. Je nach Sorte oder Jahrgang schmeckt ein Produkt komplett anders. Bei Prämierungen weltweiter Top-Destillate rangieren Schweizer Kirschbrände regelmässig auf Spitzenplätzen. Es gibt so viel zu entdecken.» Letzteres gilt auch für das Jahrgangskirschhaus, in dem Liebhaber edler Tropfen auf den Spuren dieses Innerschweizer Kulturguts wandeln und sich dabei in geschichtswürdiger Umgebung wiederfinden. Im Stammhaus der Familie Fassbind wurde nicht nur der legendäre Rigi-Kirsch, sondern unter anderem auch die Schwyzer Kantonalbank gegründet: Im Büro, in dem Fassbind heute seine Kirsch-Aktivitäten koordiniert, unterzeichnete sein Ururgrossvater einst noch von Hand die Banknoten.