27.08.2024 Salz & Pfeffer 4/2024

Einer für alles

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Im Burgdorfer Restaurant Zur Gedult hat sich Lukas Kiener kontinuierlich in die Sterne-Liga gekocht. Jetzt nimmt der Einzelkämpfer das nächste Ziel ins Visier.
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«Ich mache mein eigenes Ding.»

Auf Ihrem Niveau – 17 Punkte, ein Stern – tun sich viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen gern hervor. Sie hingegen bleiben eher im Hintergrund. Warum so zurückhaltend?
Lukas Kiener: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass ich ein bescheidener, bodenständiger Mensch ohne Starallüren bin. Gleichzeitig bin ich durchaus ein Perfektionist und stelle hohe Ansprüche an mich selbst. Ich will stetig besser werden, bleibe immer dran, investiere viel Leidenschaft und Zeit in meinen Beruf, um ihn auf diesem Level überhaupt machen zu können. Der erste Stern kam 2019 ja aus dem Nichts. 

Sie haben auf diesen nicht hingearbeitet?
Naja, ich sagte schon in der Lehre, dass ich eines Tages gern einen Stern hätte. Das wollen wir doch alle! Das Ziel gab es also, aber es stand nicht unbedingt im Vordergrund. Ich übernahm das Zur Gedult 2015 als 13-Punkte-Betrieb, und seither ging es kontinuierlich aufwärts, von Jahr zu Jahr. Erst 14 Punkte, dann 15 – und dazu plötzlich der erste Stern. Ich erinnere mich gut: Das E-Mail von Michelin war bei mir im Spam gelandet, und ein paar Tage vor der Verleihung, die im KKL in Luzern stattfand, rief mich Ralf Finkenflügel an, weil ich auf die Einladung kein Feedback gegeben hatte ... Das kam schon sehr überraschend. Und ich hinterfragte mich.

Inwiefern?
Ich machte mir Gedanken, ob das, was ich hier tue, gut genug ist. Das klingt vielleicht blöd, war im ersten Moment aber so.

Der Stern verunsicherte Sie?
Nein, das nicht. Er hatte vielmehr einen positiven Effekt: Ich steckte danach in jedes Gericht noch ein paar Überlegungen mehr. Der Stern pushte mich. Inzwischen arbeite ich auf den zweiten Stern hin. Im Kanton Bern gibt es aktuell keinen einzigen Zwei-Sterner – wenn ich das ändern könnte, das wäre schon ziemlich cool! Ich glaube, dass wir vom Essen her das Niveau dafür hätten. 

Wie würden Sie Ihre Küche denn beschreiben?
Innovativ, modern und leicht, regional und saisonal, vorwiegend mit Schweizer Produkten. Und der Geschmack steht immer an erster Stelle. Ich mache mein eigenes Ding, man muss nicht allen Trends nachrennen. Sauerteigbrot, zum Beispiel. Ich backe mein Brot ebenfalls selbst, variiere aber. Wobei das sicher auch daran liegt, dass ich sowohl den Käse als eben auch das Brot mit einem Tellergericht als eigenen Gang ins Menü einbaue – und mir dafür regelmässig was Neues einfallen lassen muss respektive darf.

Warum ein Brot-Gericht?
Ganz pragmatisch: Es fällt weniger Foodwaste an, weil die Leute das Brot aufessen. Es wird mit einem eigenen Gang regelrecht zelebriert. Bei den Gästen kommt das gut an, und ich kann mich mit diesem Konzept von anderen abheben – eben mein eigenes Ding machen. 

Woran orientieren Sie sich im kreativen Prozess?
Ich spaziere viel, bleibe ganz bei mir. Wobei ich in der Freizeit versuche, auch mal komplett runterzufahren, nicht ans Kochen zu denken. Ich verbringe gern Zeit mit meiner Familie, habe zwei kleine Kinder. Meine Frau arbeitet nicht in der Gastronomie, und obschon sie mich extrem unterstützt, sagt sie mir hin und wieder auch, dass ich mich daheim auf etwas anderes konzentrieren soll. Das ist gut; es sorgt für einen Ausgleich – und schafft Raum für Kreativität. Oft sind es Blitzideen, ich kann das nicht so richtig erklären. Prinzipiell koche ich, was ich mag und wozu ich stehen kann. Und natürlich orientiere ich mich an der Saison.

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Snacks: Rind, Eigelb, Olive – Kohlrabi, Frischkäse, Wasabi – Belperknolle, Pflaume, Aroniabeere – Kichererbse, Fenchel, Tomate
Snacks: Rind, Eigelb, Olive – Kohlrabi, Frischkäse, Wasabi – Belperknolle, Pflaume, Aroniabeere – Kichererbse, Fenchel, Tomate
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Blumenkohl, Yuzu, Estragon
Blumenkohl, Yuzu, Estragon
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Fromage Mauerhofer, Mandel, Kirsche
Fromage Mauerhofer, Mandel, Kirsche
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Wobei Sie klar sagen: Sie mögen sich nicht einschränken.
Richtig, in der Produktpalette bin ich sehr offen, ich setze mir keine Grenzen. Die Bedingung ist immer, dass das Produkt gut ist. Selbstverständlich beziehe ich Fisch und Fleisch aus der Schweiz. Wenn ich jedoch ein neues Gericht kreiere, zum Beispiel mit einer Seezunge aus der Bretagne oder einem Gambero rosso von Porto Santo Spirito, gehe ich gern auch mal Kompromisse ein. Aktuell habe ich aber die Aemme Shrimps vom Eyhof in Burgdorf im Menü – die hole ich sogar selbst mit dem Velo ab. 

Auf dem Teller schauen Sie in die ganze Welt, selbst sind Sie beruflich aber immer in der Region geblieben. Was gefällt Ihnen hier so gut? 
Ich könnte jetzt sagen: die Natur, die Berge. Aber ganz ehrlich: Das war nie eine bewusste Entscheidung, sondern hat sich einfach ergeben. Es war auch nicht von Anfang an geplant, dass ich so lange im Zur Gedult bleibe, da kam eins zum anderen. Und es ist super, wie es ist: Ich kann mich voll entfalten, habe alle Freiheiten. Und ich bin mit dem Velo in fünf Minuten daheim, um mit meiner Familie zu Mittag zu essen. 

Klingt super. Kein Druck? 
Natürlich muss ich auch liefern: Schliesslich trägt sich der Betrieb ohne Mäzen im Hintergrund selbst. Aber ich bin ganz ehrlich, den grössten Druck mache ich mir selber. Ich denke viel nach und bin vermutlich mein härtester Kritiker. Allerdings weiss ich inzwischen auch, dass ich es ohnehin nicht allen recht machen kann. Die Geschmäcker sind verschieden. Also konzentriere ich mich darauf, meiner eigenen Linie treu zu bleiben. Dass wir im Restaurant Zur Gedult so viele Stammgäste haben, bestätigt mich darin. 

Zu diesen gehörte ursprünglich auch Barbara Schütz, die Geschäftsführerin und Präsidentin der Genossenschaft, die heute hinter dem Zur Gedult steht. Wie läuft das genau? 
Als sich hier ein Pächterwechsel abzeichnete und klar war, dass ich das Ganze nicht als alleiniger Nachfolger übernehmen wollte, rief Barbara Schütz eine Genossenschaft ins Leben, um das Restaurant Zur Gedult zu erhalten. Sie ist eine Quereinsteigerin in der Branche, fungiert als Gastgeberin und unterstützt unsere Chef de Service Nadine Studer. Ich wiederum bin von der Genossenschaft angestellt, aber das eigentliche Aushängeschild des Lokals. Viele Gäste kommen wegen meiner Küche zu uns, und entsprechend macht mir hier kulinarisch auch niemand Vorgaben. Das Zur Gedult ist also ein bisschen wie mein eigenes Lokal, und so behandle ich es auch – indem ich zum Beispiel vernünftig einkaufe. Ich bin aber froh, dass ich die Büroarbeit abgeben und mich voll aufs Kochen konzentrieren kann. 

Zumal Sie allein in der Küche stehen. 
Neben meinem Abwäscher Sivakumar Rasadurai, ja. Er gehört seit sechs Jahren zum Team und ist mir eine grosse Unterstützung. Ich mache alles selbst, stehe auf sämtlichen Posten, backe unser Brot, stelle unsere Pralinen her ... Das ist für mich hier das Schönste: Ich geniesse die Abwechslung. Deshalb schreibe ich auch alle sechs bis acht Wochen das Menü neu – sonst würde es mir langweilig. 

Was ist Ihnen denn beim Kochen so richtig wichtig? 
Die Freude daran. Ich gehe jeden Tag mit Überzeugung ans Werk und gebe immer 100 Prozent. Und es gibt mir eine Menge zurück, glückliche Gäste zu erleben, wenn ich sie verabschiede und sie einen tollen Abend bei uns hatten. Ich bringe auch schon die Snacks selber an den Tisch, damit ich weiss, für wen ich koche. Gleichzeitig sehen auch die Gäste von Anfang an, wer sie kulinarisch verwöhnt. 

Spielt das eine Rolle? 
Für mich durchaus. Ich koche für alle Gäste gleich, weiss aber gern, wer da am Tisch sitzt. Bei acht Tischen ist das Lokal überschaubar, und so habe ich jeweils wirklich vor Augen, für wen ich einen Teller anrichte. Das ist doch schön!

Der Region verbunden 
Lukas Kiener (35) ist in Aefligen im unteren Emmental aufgewachsen. Die Lehre absolvierte er in der mit 14 Punkten dotierten Küche des Hotels Stadthaus Burgdorf, in der er anschliessend noch eine Weile als Commis blieb. Es folgten diverse temporäre Einsätze in der Region sowie Stationen im Schwellenmätteli in Bern, im Landgasthof Lueg in Kaltacker und im Restaurant Eisblume in Worb. 2015 wechselte Kiener ins Restaurant Zur Gedult in Burgdorf und rutschte als Nachfolger von Pablo Alonso auf den Posten des Küchenchefs. Seither hat sich der inzwischen zweifache Vater kontinuierlich 17 Punkte sowie einen Stern erkocht. Dabei steht Kiener, unterstützt von Abwäscher Sivakumar Rasadurai, allein in der Küche. Das Lokal mit acht Tischen wird von einer Genossenschaft betrieben. 

Zur Gedult, Metzgergasse 12, 3400 Burgdorf, 034 530 02 72, gedult.ch