«Alles, was zum Kochen Zeit braucht, ist meine Welt.»
Das Kochhandwerk hat Stefan Wieser gerettet. Das war 1993 in der Küche des Restaurants Hotel Post und unter den Fittichen von Judith Sourvinos. Damals realisierte das Kind mit ADHS, dass es etwas besser kann als die meisten. Innert Monaten wurde aus dem desorientierten Jugendlichen ein Musterschüler. Wieser wollte alles wissen und durfte alles lernen. Wie ein Schwamm sog er das Wissen in sich auf, das tut er bis heute. 600 Bücher stark ist seine Kochbuchsammlung mittlerweile. Und im Gegensatz zu vielen anderen hat er deren Inhalte auch verinnerlicht. Es gibt kaum eine Komposition aus der klassisch-französischen Küche, die er nicht kennt und beherrscht.
Hotel Rössli, Zentraleck, Freieck und Weisse Rose, allesamt in Zürich, so lauten Wiesers Stationen als Selbstständiger. Seit Anfang Sommer wirkt der Toggenburger nun als Wirt im Zunfthaus zur Haue, das er in eine Weinstube verwandelt hat. Es ist jene Art von Gastronomie, die ihm schlicht am besten entspricht.
Wirklich schwierig ist das Einfache. Wer Wiesers Ochsenschwanz kostet, einzig begleitet von etwas Gemüse und ein paar Tranchen (ausserordentlich gutem) Brot, spürt augenblicklich, dass in den mit zartem Fleisch behangenen Knochen ein ganzes Leben an Erfahrung steckt. «Alles, was zum Kochen Zeit braucht, ist meine Welt», sagt Wieser. In der kalten Jahreszeit blüht der 43-Jährige jeweils richtig auf. Dann zelebriert er Brasato, Blanquette de Veau, Kalbsmilken, Rindsbacken oder Coq au Vin – einfach, aber in Perfektion. Für Punkte, Sterne oder andere Formalitäten ist in der Weinstube zur Haue kein Platz. Es gibt eine kleine Auswahl an Gerichten, regionalen Wein, fertig, Schluss.
An seiner vorherigen Station, als Wirt der Weissen Rose, der kleinsten Weinstube der Stadt, brachte Wieser das Kunststück fertig, seine Klassiker mit einer mangelhaften Kücheninfrastruktur (es gab lediglich eine Kochplatte und einen Ofen) herzustellen. «Das war wie eine zweite Lehre», sagt er rückblickend. Damals perfektionierte er seine Gerichte, nicht nur bezüglich Geschmack, sondern auch punkto Rentabilität. Und gleichzeitig entwickelte sich der versierte Koch weiter zu einem vielleicht streckenweise grossspurigen, aber herzensguten Gastgeber. Seither fühlt er sich vor seinen Gästen genauso zu Hause wie hinter dem Herd.
Weinstube zur Haue
Limmatquai 52, 8001 Zürich
044 252 33 62
zurhaue.ch