«In Asien werden Quallen seit Jahrhunderten gegessen. Mit ihnen peppt man zum Beispiel Salate oder kalte Vorspeisen auf.»
Behutsam taucht Mathias Clausen einen Löffel in die blassgoldige Flüssigkeit. Versucht, dabei nicht zu zittern. Es riecht nach Putzalkohol und kaltem Kaffee, und das grelle Neonlicht, das von der Decke auf die weisse Tischplatte fällt, verleiht der Szenerie etwas Klinisches. Im Hintergrund stehen Hightechmikroskop, Präzisionswaage und Petrischalen in Medizinschränken. Aber auch ein riesiges silbriges Sieb und eine Fritteuse. Ein Arztkittel hängt an der Wand. Langsam setzt Clausen den Löffel an, als würde er von einem überdimensionalen Wackelpudding kosten wollen, und hebt schliesslich ein glibberiges, kleines Etwas aus dem Nass.
Clausen, Professor für Biotechnologie, forscht und unterrichtet hier an der Universität Süddänemark in der Kleinstadt Odense. Zu seinen wichtigsten Forschungsobjekten zählt seit mehreren Jahren ein Tier, dem schon unzählige negative Adjektive an den geisterhaften Kopf geworfen wurden: glitschig, schleimig, giftig, nervig. Die Qualle. Clausen und sein Team versuchen, das zu ändern. Sie wollen die Glibbertiere in ein anerkanntes Nahrungsmittel der Zukunft verwandeln und dazu beitragen, dass man Quallen neu sieht. Dass man Essen neu denkt.
«In Asien werden Quallen seit Jahrhunderten gegessen. Mit ihnen peppt man zum Beispiel Salate oder kalte Vorspeisen auf», erklärt Clausen. Interessant für seine Forschung wurde das Tier, als man sich eine spezifische Art der Zubereitung genauer anschaute. «Über einen Monat legt man die Quallen hierfür in Salz ein, sodass ihr Wasser langsam entweicht.» Am Ende dieses langwierigen Prozesses hat das Tier viele seiner natürlichen Grundeigenschaften verloren. Ohne die 96 Prozent Wasser, die sich in einem Quallenkörper befinden, bleibt das zurück, was viele in einer Pringles-Verpackung vermuten würden. «Ein hauchdünner, salziger Chip.»
Die Forscher holten eigenhändig Qualle um Qualle aus den kalten Gewässern der Nordsee und suchten Möglichkeiten, den Zubereitungsprozess zu perfektionieren. «Wir wollten auch herausfinden, wieso Quallen es noch nicht in die europäische Küche geschafft haben. Schliesslich sind die Meere voll von ihnen», sagt Clausen.
Dabei sind die Meere nicht nur voll, sie werden – glaubt man Biologen – immer voller. Vor allem in geschlossenen Gewässern wie dem Mittelmeer steigt die Quallenpopulation seit Jahren rasant. Grund dafür sind unter anderem übersäuerte und zu warme Gewässer. Aber auch Überfischung. Weil die Meere weniger bevölkert sind, landen Quallen viel seltener in den Mägen von Fischen. Das treibt die schleimigen Bestände nach oben. Gleichzeitig trauen sich Strandurlauber nicht mehr in die Wellen, Fischer verlieren Zeit und Geld, weil sie ihre Netze von ätzenden Tentakelknäueln befreien müssen. Die Qualle – für viele eine Plage – ist stiller Nutzniesser des menschlichen Einflusses auf die Umwelt.
Auch deshalb rief die Weltgesundheitsorganisation schon 2013 einen für viele unverständlichen Slogan ins Leben: «Kannst du sie nicht bekämpfen, dann iss sie!» Der Verzehr von ausgewählten ungiftigen Quallenarten wird von der WHO seither offiziell empfohlen.
«Unser Hauptziel war es jedoch nie, Quallen auf die Speisekarte zu setzen, um damit die Meere zu befreien», stellt Mie Thorborg Pedersen fest. Sie ist eine Forschungskollegin von Clausen und beschäftigt sich seit über vier Jahren mit den ballonartigen Wassertieren, genauer gesagt mit einer spezifischen Art davon: der Aurelia aurita, zu Deutsch Ohrenqualle. «Uns ging es vor allem um die Verarbeitung und Zubereitung dieses einzigartigen Lebensmittels.»
Pedersen hatte die Idee, die Quallen mit anderen Arten von Lösungsmitteln zu behandeln. «Nicht nur Salz ist in der Lage, Stoffen Wasser zu entziehen. Ich entschied mich stattdessen für harten Alkohol.» Hunderte von Ohrenquallen schwimmen seither im Labor des Forschungsteams in hochprozentigen schimmernden Alkoholbädern. Wie welkende, ockerfarbene Rosenblätter treiben die Tiere dort. Auch deshalb nennen einige Forscher sie die «Blumen der Meere».