10.10.2024 Salz & Pfeffer 5/2024

Entwicklungshilfe für Ehrgeizige

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Die Fundaziun Uccelin schickt junge Talente aus Küche und Service zu den Besten der Branche in aller Welt. Anthea Zinsli und Sarah Caminada sagen, was die Stipendiatinnen und Stipendiaten erwartet – und was von diesen erwartet wird.
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«Das Uccelin-Programm ist ein Zusatzbooster.»

Vor acht Jahren startete das erste Uccelin-Programm. Verglichen mit damals, welchen Stellenwert geniesst ein solches Angebot heute?
Anthea Zinsli (AZ): Schaut man die aktuelle Situation in der Gastronomie mit ihren Herausforderungen an, ist es klar: Eine Stiftung, die sich für junge gastronomische Talente einsetzt, die sich weiterentwickeln möchten, ist extrem wichtig. Entsprechend sind Programme wie jenes von Uccelin bedeutend für die Branche.

Sie spielen auf den Fachkräftemangel an. Der war bei der Stiftungsgründung wohl ein Problem, aber längst nicht so heiss diskutiert wie heute. Welche Überlegungen standen 2016 im Zentrum?
Sarah Caminada (SC): Damals war die grössere Schwierigkeit, dass die Gastronomie einen schlechten Ruf hatte – obwohl es dafür keinen Grund gibt. Entsprechend ging es uns mehr darum, Perspektiven zu schaffen, in die Aus- und Weiterbildung zu investieren und ein Angebot zu lancieren, das die Berufe der Gastronomie attraktiver macht. Das Problem in der Branche ist ja auch, dass es nur eine Schiene gibt, wenn man sich weiterbilden möchte: den Wechsel vom Handwerk aufs Akademische, also an die Hotelfachschule. Wir möchten eine Option bieten, im handwerklichen Bereich zu bleiben und sich doch zu entwickeln – mit dem Ziel, eines Tages ein Level zu erreichen, das wir wohl alle anstreben. Als Küchenchef vielleicht oder als Teamleiterin im Service.

Wie entscheiden Sie konkret, wen Sie ins Programm aufnehmen?
AZ: Wir erhalten rund 100 Bewerbungen pro Runde, die ich sichte und vorselektioniere. 20 Stück, die unseren Vorgaben und Vorstellungen entsprechen, gebe ich an den Stiftungsrat weiter.
SC: Und wir diskutieren dann – über fünf Prozent. In 95 Prozent der Fälle sind wir uns nämlich eh einig. Die anderen fünf Prozent allerdings geben in der Regel recht zu reden.

Welche Grundvoraussetzungen muss ein junges Talent denn mitbringen?
SC: Wir setzen zum Beispiel drei Jahre Praxis nach der Berufslehre oder fünf Jahre Berufserfahrung bei Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern voraus.
AZ: Essenziell ist für uns aber auch, dass die Kandidaten und Kandidatinnen eine gewisse Motivation zeigen. Welche Ziele hat ein junges Talent? Wo möchte es hin? Wir entscheiden aufgrund verschiedener Faktoren, wer sich für das Uccelin-Programm eignet. Und es ist schön zu sehen, wie viele von denen, die es bereits absol- viert haben, sich enorm weiterentwickelt haben. Ein Teilnehmer aus Malaysia beispielsweise hat inzwischen sein eigenes Restaurant eröffnet ...
SC: Oder Caterina Vosti, die im Eden Roc in Ascona zwischenzeitlich eine Brigade mit über 100 Leuten führte. Wow! Und da reden wir nicht von über 50-Jährigen, son- dern von Menschen Anfang 30. Natürlich gilt das nicht für alle, und es ist auch nicht unsere Bedingung, dass man dermassen getrieben sein muss, aber eine grundlegende Neugier und ein grundlegender Ehrgeiz sollten gegeben sein.
AZ: Genau wie die Leidenschaft für den Beruf und das Handwerk.

Das sind alles Eigenschaften, mit denen man es im Beruf auch ohne Ihre Förderung weit bringen könnte, nicht?
SC: Natürlich. Das Uccelin-Programm ist ein Zusatzbooster: Es unterstützt junge Talente auf ihrem Weg, macht sie aber nicht automatisch zu Superstars. Man darf auch nicht vergessen: Das Ganze ist an- strengend, es geht 20 Wochen lang Schlag auf Schlag. Während des Programms sind die Stipendiaten und Stipendiatinnen laufend mit neuen Kulturen, Teams, Sprachen konfrontiert, müssen sich anpassen, ihren Platz finden. Sie sehen und lernen viel, sind auf einer persönlichen Ebene aber auch echt herausgefordert.

Dabei werden die Nachwuchstalente von Ihnen tatkräftig unterstützt. Man könnte fast sagen: luxuriös betreut.
AZ: Tatsächlich machen wir viel für sie. Wir organisieren ihre Reisen, buchen Flüge und Zugfahrten, kümmern uns um Visa, Unterkünfte, Einsatzpläne. Wenn etwas ist, können sie mich immer anrufen. Für mich ist das auch schön: Ich bin nah dran und erlebe mit, wie es ihnen geht, was sie fordert, was sie freut.

Wie oft läuft es für jemanden nicht gut?
SC: Sehr selten. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem wir von unserem Küchenchef im Schloss Schauenstein die Rückmeldung erhielten, dass ein Stipendiat ein Attitüde- Problem habe. Darauf reagierten wir umgehend. Dass die Teilnehmenden ihr Programm hier in Fürstenau starten, hat logistische und administrative Gründe, aber eben auch den Vorteil, dass wir sie kennenlernen und wissen, wen wir in unsere Partnerbetriebe entsenden. Das ist uns wichtig, denn wir wollen nicht, dass diese schlechte Erfahrungen machen.

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Wie schwierig ist es denn, neue Partnerschaften für das Programm zu finden?
AZ: Mit dem bestehenden Netzwerk nicht besonders. Wir erhalten auch Anfragen von Restaurants und Produktionsbetrieben, die sich gern beteiligen möchten.
SC: Die Fundaziun Uccelin stösst in der Branche auf offene Ohren, heute noch mehr als früher. Unser Programm ist einzigartig und auch für Betriebe im Ausland spannend: Nachwuchstalente gibt es überall, und wir bieten die Möglichkeit, sie international zu fördern.

Und wie wichtig ist da der Name Caminada als Türöffner?
SC: Da müssen wir ehrlich sein: Der Name Uccelin hat international gesehen vermutlich noch nicht die Schlagkraft wie der Name Caminada.

Wir haben bislang vom Lernfaktor und von der sozialen Entwicklung gesprochen. Aber ist es nicht dieses Netzwerk, von dem junge Talente im Programm am meisten profitieren?
SC: Es ist sicher ein entscheidender Faktor. Ich glaube, alle Stipendiatinnen und Stipendiaten bislang haben während der 20 Wochen mindestens drei Jobangebote bekommen. Das ist wertvoll, auch für unsere Partnerinnen und Partner, die junge Talente kennenlernen. Menschen, die für den Beruf brennen, mit viel Leidenschaft, Freude und Engagement bei der Sache sind! Es kommt nicht von ungefähr, dass viele Absolventinnen und Absolventen irgendwo hängenbleiben. Man muss sich während der Stages aber schon auch gut anstellen, Eigeninitiative und Einsatz zeigen.

Was lässt sich denn zur Qualität der Bewerbungen sagen, die bei Ihnen eingehen?
SC: Wir erhalten teilweise halbe Doktorarbeiten: vom Video über selbstgemachte Produkte mit Bewerbungsschreiben. Der Wahnsinn! Dann gibt es allerdings auch die anderen ...
AZ: Die Spannbreite ist gross.
SC: Schade ist einfach, dass sich nach wie vor zu wenige Frauen bewerben.

Woran liegt das?
SC: Vermutlich trauen sie sich einfach zu wenig zu. Die Erfahrung mache ich auch in Jobinterviews im Schloss Schauenstein. Überspitzt gesagt, haben Männer im Vorstellungsgespräch tendenziell das Gefühl, sie seien komplett überqualifiziert – während Frauen zwar überqualifiziert, sich aber nicht sicher sind, ob sie den Job gut machen können. Das ist so schade. Drum: Frauen, bewerbt euch!
AZ: Und Leute aus dem Service! Wir hätten im Programm auf jeden Fall auch noch Kapazitäten für mehr davon. Insgesamt vergeben wir pro Bewerbungsrunde etwa zehn Plätze, bei mehr geeigneten Eingaben könnten wir auch aufstocken.
SC: Wobei wir das Gleichgewicht zwischen Einnahmen und Ausgaben halten müssen. Ein Programm kostet immerhin an die 15 000 Franken.

Das ist eine Stange Geld. Sie bezahlen den Teilnehmenden sogar ein Taschengeld. Warum?
SC: Auf dem Level unserer Stipendiatinnen und Stipendiaten verdient man in der Gastronomie eh nicht die Welt, Ersparnisse haben die wenigsten. Dann fällt während des Programms das Einkommen plötzlich weg, fünf Monate lang, obwohl die Fixkosten zu Hause weiterlaufen. Mit dem Taschengeld wollen wir ein Stück weit verhindern, dass jemand Schulden anhäuft. Deshalb fragen wir in den Bewerbungsunterlagen auch nach den finanziellen Verhältnissen. Das Uccelin-Programm soll eine Bereicherung sein, eine Zeit, in der die Stipendiaten und Stipendiatinnen sorgenfrei alles aufsaugen können – um danach vielleicht bei null zu starten, aber sicher nicht im Minus.

Und dann sollen Sie finanziell auch ein bisschen was zurückgeben: in Form eines selbstentwickelten Produkts.
AZ: Genau, das entspricht unserem Nachhaltigkeitsgedanken. Die Einnahmen aus dem Verkauf des Produkts fliessen in die Stiftung und sollen neue Teilnahmen unterstützen. Inzwischen sind schon ganz viele verschiedene Sachen entstanden, vom Sanddorn-Weizen übers Schoggibrot bis zum Kürbiskernkäse.
SC: Apropos zurückgeben: Mir ist da unsere Zusammenarbeit mit Smiling Gecko besonders wichtig. Uccelin-Absolventinnen und -Absolventen können nach dem Programm für sechs bis zwölf Wochen als Mentorinnen und Trainer in Gastroberufen in Kambodscha wirken – und das Know-how und alles, was man ihnen in den Rucksack gesteckt hat, weitergeben. Da schliesst sich für mich der Kreis. 

Die Geschäftsführerin
Anthea Zinsli (34) hat bereits in verschiedenen Bereichen Erfahrung gesammelt; sie machte unter anderem einen Bachelor in Tourismus an der Fachhochschule Graubünden, arbeitete im Marketing und war zuletzt als Head of Sales bei den Lenzerheide Bergbahnen tätig. Seit April 2022 amtet sie als Geschäftsführerin der Fundaziun Uccelin und ist neben zahlreichen anderen Aufgaben auch für die Betreuung der Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie für die Organisation von deren Förderprogrammen zuständig.

Die Stiftungsrätin
2016 gründete Sarah Caminada (47) gemeinsam mit ihrem Mann Andreas die Fundaziun Uccelin. Die Zürcherin ist Absolventin der Hotelfachschule Lausanne und war im Laufe ihrer Karriere für verschiedene in- und ausländische Unternehmen unter anderem in London, in Brüssel und in Amsterdam tätig. Seit gut zehn Jahren verantwortet sie als Chefin die Geschäfte der Caminada Group. Vor zwei Jahren hat sie die Geschäftsleitung der Fundaziun Uccelin an Anthea Zinsli übergeben, sie sitzt aber weiterhin im Stiftungsrat.

Volles Programm
Seit 2016 fördert die von Sarah und Andreas Caminada initiierte Fundaziun Uccelin den gastronomischen Nachwuchs: Im massgeschneiderten 20-wöchigen Programm absolvieren Koch- respektive Servicetalente unter 35 Jahren Stages bei den Besten ihres Fachs in aller Welt. Nach zwei Wochen im Schloss Schauenstein in Fürstenau erhalten sie für je vier Wochen Einblick in drei Restaurants sowie für je eine Woche in vier Produktionsbetriebe. Am Ende kehren sie nach Fürstenau zurück, wo sie unter anderem ein Abschlussprodukt kreieren. Pro Bewerbungsphase werden rund zehn Plätze vergeben, die nächste Runde startet im März 2025.

Die Förderprogramme sind vollständig von der Uccelin-Stiftung finanziert, die dafür auf Gönnerinnen und Spender respektive Patenschaften angewiesen ist. Geld kommt unter anderem aber auch im Rahmen von Charity Events zusammen, so zum Beispiel mit dem traditionellen Eight-Hands-Dinner, das dieses Jahr am 2. Dezember stattfindet: An diesem Abend empfangen Andreas Caminada und Marcel Skibba mit ihrem Team die Weltstars Dominique Crenn und Björn Frantzén.
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