«Ich habe diese Plattform fast zu Tode gedacht und weiss, wie das Ding in vier Jahren aussieht.»
Letzten Oktober zogen die Mitglieder des Coworking-Projekts Das Provisorium in den zweiten Stock der Bäckerei Buchmann in Zürich Binz und machten aus der einstigen Backstube ein Büro, das jederzeit wieder zur Backstube werden könnte: Die Rührbesen stehen still, die Öfen sind kalt, aus der Maschine, die Mandeln und Zucker in Marzipan verwandeln kann, wächst eine Zimmerpflanze. Die alten Geräte stehen wie Findlinge zwischen den Schreibtischen, unverrückbar und unkaputtbar, bereit, bei Bedarf ihren Dienst wiederaufzunehmen.
So ähnlich ist das bei Tobias Zihlmann, der an einem der Tische vor aufgeklapptem Laptop sitzt. Seit zwei Jahren ist der gelernte Koch als Alleinunternehmer unterwegs. Auch er hat sein Handwerk nicht verlernt, könnte jederzeit zurück an den Herd, wenn er denn wollte. Tut er aber nicht. Der 28-Jährige vermittelt in diversen Projekten zwischen Gastronomen und Produzenten und setzt sich für die «Rekultivierung des guten Geschmacks» ein. Ins Provisorium, das er einst mitbegründete, kommt er noch zwei bis drei Mal pro Woche: «Hier bin ich nahe bei Menschen, die sich selbst nicht so ernst nehmen. Was nicht heisst, dass sie das, was sie tun, nicht ernst nehmen.»
Laura Schälchli ist so ein Mensch. Die Slow-Food-Gastronomin betreibt im Nebenraum eine kleine Schokoladenmanufaktur, im Provisorium sind die beiden Freunde geworden: «Ich kenne wenige, die jeden Schritt so sauber durchdenken, wie Tobias das macht. Er lässt sich Zeit und bezieht alle Parteien mit ein.» Bestes Beispiel dafür ist das Projekt Diversitas-Forum (siehe Box): Mit der Plattform will er Gastronomen und Produzenten, die heute an entgegengesetzten Enden der Lieferkette stehen, im digitalen Raum zusammenbringen, in dem sie wieder miteinander reden und handeln können.
Vor zwei Jahren war Zihlmann das letzte Mal in den Ferien, unter seinen hellen Augen liegen Schatten, neue Aufträge nimmt er keine mehr an. Nun steht das Projekt, das immer mehr von seiner Energie und Aufmerksamkeit beanspruchte, an der Schwelle zur Realisierung. Die ganzen Dokumente und Visualisierungen liegen auf der Festplatte, der Rest ist im Kopf: «Ich habe diese Plattform fast zu Tode gedacht und weiss, wie das Ding in vier Jahren aussieht.» Sitzen die Investoren und Partner erst einmal im Boot, gibt es kein Zurück mehr.
Das ist Tobias Zihlmann auch ganz recht so. Er gehört zu jenen, die eine Türe schliessen müssen, um den Kopf frei zu kriegen für das, was hinter der nächsten liegt. Von den vielen Türen, durch die er in seiner jungen Karriere ging, führten die meisten in eine Sterne-Küche: «Ich wollte nicht fünf Jahre lang an einem Ort sein, sondern rein, Neues lernen und weiter.» Obwohl Zihlmann nicht gerade erpicht ist auf diese Erinnerungsreise zurück zu den Anfängen, beginnt er zu erzählen. Mit leiser Stimme, um die anderen nicht zu stören.
Vom Birnenspalier, den Quittenbäumen und Gemüsebeeten im Elternhaus im aargauischen Boniswil. Vom Wachstumsschub, der seinem Rücken nicht gutgetan hat und der durch die niedrigen Arbeitsflächen in der Küche nicht besser wurde. Von der Verbissenheit, die ihm im ersten Lehrjahr im Lenkerhof eingeimpft worden sei. Von der Zeit als Stagiaire in Stockholm und Oslo, wo jeder Handgriff durchgetaktet war. Und auch von seiner damaligen Einstellung, die er heute als «es bitzli biireweich» und ungesund bezeichnet: «Ich habe mir gesagt, jeder Betrieb, in dem ich arbeite, muss besser sein als der davor. Gemessen an Punkten und Sternen.» So ging das neun Jahre lang, bis es vor zwei Jahren zum grossen Bruch kam.