Warum ausgerechnet hier abgewichen wird, wissen Humm und der Himmel.
Die Zürcher Marktküche betreibt, was den Stil des Essens angeht, Understatement. «Wir positionieren uns nicht als veganes Restaurant», sagt dazu Küchenchef Tobias Hoesli. «Manche Gäste wissen es bis zum Schluss nicht.» Und sind wohl nur gekommen, weil sie gehört haben, dass es hier feine Speisen geben solle, frisch und nachhaltig, sehr persönlich dazu. Das muss reichen. Und das reichte auch schon vor sieben Jahren, als der Laden eröffnete. Schweizweit, sagt Hoesli, seien sie damals ein Unikum gewesen – was freilich nur diejenigen merkten, die der veganen Sache aus Prinzip auf den Grund gehen.
Was sich seitdem in veganer Hinsicht getan hat, ist faszinierend, sowohl in Zürich als auch im Rest der Welt. Unter der Oberfläche brodelte das Thema schon länger, doch als der Exil-Schweizer und Chef des New Yorker Restaurants Eleven Madison Park die Umstellung auf eine so-gut-wie-vegane Küche verkündete, brach der Vulkan aus. Spätestens nach Daniel Humms Ankündigung, sein Drei-Sterne-Restaurant auf Essen ohne tierische Zutaten umzupolen, begannen die Gastronomen weltweit nachzudenken. Kochen ohne Fisch, Fleisch und Käse – oder zumindest weitgehend ohne tierische Zutaten – kann auch im Mainstream funktionieren. Mehr noch: Die Gastronominnen erkannten, dass sich das anspruchsvolle Publikum überzeugen lässt, selbst dann, wenn statt echten Kaviars Samen der Sommerzypresse aufgetischt, wenn die trocken gereifte Ente oder der pochierte Hummer gegen Randen und Auberginen ausgetauscht werden. Humm machte das Abenteuer bekannt, indem er PR-Sätze nachschob (zum Beispiel: «Luxus neu definieren») und den Menschen Rätsel aufgab; komplett vegan soll sein Restaurant nämlich nicht sein, sondern nur fast. Milch für Tee und Kaffee bleibt. Warum ausgerechnet hier abgewichen wird, wissen Humm und der Himmel.
Auch in der Schweiz oder in Deutschland begannen sich Köchinnen und Köche am Kopf zu kratzen – sofern sie nicht schon längst nachdenklich waren. Sebastian Rösch etwa hatte im Mesa ja bereits ein veganes Menü neben dem «normalen» etabliert. Und die vegetarische Küche geniesst bei ihm ohnehin einen festen Platz im Menü. Über das Restaurant Kle und seine vegan kochende Chefin wurde in den letzten beiden Jahren viel geschrieben, was wohl auch mit Person und Geschichte von Zineb Hattab zu tun hat. Und spätestens 2021 kam das Essen ohne Fisch und Fleisch im Mainstream an. «Der ‹Trend› ist schon seit langem kein Trend mehr», sagt Dolder-Starkoch Heiko Nieder. «Es ist unser normales tägliches Geschäft geworden.» Vegetarisches ist selbstverständlich, und Nieder hat im Zürcher Gourmetlokal für den Fall einer angefragten veganen Alternative immer eine Lösung parat. Die Nachfrage nach veganen Menüs respektive Alternativen sei sogar gestiegen, sagt er. «Allerdings noch im Rahmen, sodass ich nicht gezwungen war, auf vegan umzusteigen.» Auch im französischsprachigen Teil des Landes hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Franck Reynaud hat in der Hostellerie du Pas de l’Ours in Crans-Montana keine Probleme damit, ein komplett veganes Menü zusammenzustellen. Und international ist die neue Form des Essens eh üblich. «Wir haben beides – ein veganes sowie ein vegetarisches Tasting Menu», sagt Kamilla Seidler vom Restaurant Lola, Kopenhagens wohl bekannteste Köchin. «Es wird mehr oder weniger täglich bestellt.» Was es aber auch viel gebe, seien Pescetarier, die Fleisch ablehnen, aber Fisch essen. «Ich glaube, der Trend ist bewussteres Konsumieren, nachhaltiges Essen», fasst es Hoesli von der Zürcher Marktküche zusammen. Sogar in Frankreich, wo anno 1987 mit der Oustau de Baumanière das erste Toprestaurant ein vegetarisches Menü einführte, sich danach aber für lange Zeit wenig bewegte.
Dass man ganz oben mithalten kann, zeigt eben Eleven-Madison-Park-Küchenchef Humm. Drei-Sterne-Küche, rein vegetarisch oder vegan: Das geht. Wenngleich der Beweis durch einen Renegaten erbracht wurde, nicht durch eine Beförderung über alle Ränge hinweg. Dass es schwieriger ist, aus einem Stück Gemüse einen hochkomplexen Gang zu kochen als aus einer Taube oder einem Steinbutt, merken freilich alle, die sich mal an derartigen Speisen versuchen. «Man muss komplett anders an eine Komposition herangehen», so Hoesli. Gerichte neu zu denken, ist unumgänglich. Genau das hat Andreas Krolik getan, einer der respektiertesten teilzeitveganen Köche, die Europa anzubieten hat. Was der nicht alles ausgetüftelt hat in seinem Lafleur in Frankfurt am Main, etwa mit Fond aus Pilzen statt den üblichen Knochen- und Gräten-Auszügen. Kroliks vegane Experimente auf Zwei-Sterne-Level sprachen sich herum, führten schliesslich zu einer Einladung zur nächsten Madrid Fusión, in deren Rahmen das Thema Nachhaltigkeit längst etabliert ist. Daheim in Frankfurt serviert Krolik als Zwischengang im veganen Menü vielleicht Erbsen und Karotten mit Chicoree-Chutney, Kräutercrème und Basilikumöl im Karotten-Kimchisud oder einen Crunch von Miso-Blumenkohl aus dem Ofen mit Piquillo-Salzzitronenjus, getrockneten Oliven, Paprika und Schnittlauch. Ein paar Euro billiger als die «normale» Speisenfolge ist die vegane Variante zwar – aber gross ist die Differenz nicht, kann sie wegen des Arbeitsaufwandes auch gar nicht sein. All die Vorbereitungsstunden fressen die Einsparung bei Carabinero und Wagyu Beef rasch auf.