04.06.2025 Salz&Pfeffer 2/25

Ferrans Zöglinge

Interview: Claudia Salzmann – Fotos: Njazi Nivokazi
Die Küche der Villa Sommerlust in Schaffhausen gleicht schon eher einer Werkstatt. Das wundert nicht, denn hier arbeiten drei Chefs im Disfrutar-Stil zusammen: Alejandro Pérez Polo, Dan Rodriguez-Zaugg und Katiuska Villalba.
Alejandro Pérez Polo, Katiuska Villalba und Dan Rodriguez-Zaugg
2025.04.23 Salz Und Pfeffer O Ton Schafhausen 111

Sie ist die Neuentdeckung des Jahres 2025. Mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und mit zwei ehemaligen Disfrutar-Köchen am Werk. Wohin steuert die Sommerlust?
Alejandro Pérez Polo: Wir haben hier ein klares Ziel, und das ist der zweite Stern. An diesem wunderschönen Ort mit dem Garten und dem nahe gelegenen Rhein haben wir alles, damit das Abenteuer weitergehen kann. Wir verfolgen unseren Weg und der führt hoffentlich zu einem zweiten Stern. Der ist nicht nur für die Sommerlust wichtig, sondern nicht zuletzt auch für die Stadt Schaffhausen.

Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es auch eine ausgezeichnete Pâtissière. Das ist Ihre Rolle in der Küche, Katiuska Villalba.
Katiuska Villalba: Genau. Man spricht immer über die salzigen Gänge, das Dessert verkommt dabei oft zur Nebensache. Alles, was ich kreiere, ist haus- und handgemacht. Und ich rede ohne Unterbruch mit Alejandro und Dan, damit das Menü ein stimmiges Ganzes wird.

Dan Rodriguez-Zaugg: Bei uns hat alles eine Linie, von den Snacks bis zu den Friandises. In manchen Lokalen harmoniert das Dessert nicht mit dem Rest, uns ist das aber sehr wichtig. Bei uns gibt’s beispielsweise einen Gang mit Gartenerbsen, die hat dann Kati auch im Dessert aufgenommen – als Glace.

Vieles in Ihren Menüs erinnert an die molekularen Vorreiter um Ferran Adrià. Ist das Ihre Religion?
Rodriguez-Zaugg: Ich bin von uns allen der grösste Fan von Ferran. Was er mit seinem Küchenstil erreicht hat, finde ich einfach grossartig. Ohne ihn als Vorbild hätte ich vielleicht sogar einen anderen Beruf gewählt. In meiner Ausbildungszeit im Disfrutar, dem Nachfolgerestaurant des El Bulli, habe ich so unbeschreiblich viel gelernt. Ich habe Ferran nonstop beobachtet, um aufs nächste Niveau zu kommen.

Pérez Polo: Es war ja nicht nur Ferran, sondern die ganze Equipe. Sie haben unsere Sicht auf die Küche komplett verändert, uns die Augen geöffnet, was neue Techniken anbelangt. Alles, was wir zuvor kannten, war klassisch französisch. Diese Köche überlegten sich: Wie können wir Essen so präsentieren, wie es noch nie jemand getan hat? Beispielsweise die Espumas, wie sie heute gang und gäbe sind, wurden im El Bulli erfunden. Oder die Conchiermaschine haben sie umfunktioniert, um darin ganz andere Zutaten als Kakao zuzubereiten.

Rodriguez-Zaugg: Sie haben sich auch überlegt, wie man den Gästen mehr Sachen servieren könnte und haben die Gänge verkleinert. So ist das Degustationsmenü entstanden. Davor gab es 40 Jahre lang Butter und Brot vor dem Essen, jetzt sind es Snacks. Das Parmesan-Sandwich, welches wir hier servieren, ist eine Hommage ans El Bulli. Es stammt aus dem Jahr 1997.

Villalba: Wir kochen hier nicht, um den Magen zu füllen. Das kannst du auch daheim tun. Wir haben einen durchdachten Plan, einer mit vielen Perspektiven. Wir wollen überraschen.

Viele halten die Molekularküche für eine unnütze Spielerei. Geschmack oder Optik – was kommt zuerst?
Rodriguez-Zaugg: Ganz klar der Geschmack, dann die Textur und die Technik.

Villalba: Unbedingt. Ich folge auf Instagram einem Pâtissier, der im Mezzaluna in Bangkok arbeitet. Seine Desserts sehen wahnsinnig schön aus, aber ich wollte wissen, ob sie denn auch gut sind. Er hat mir ein ganzes Menü, das nur aus Desserts bestand, zubereitet. Und tatsächlich war jede einzelne der sieben Nachspeisen fantastisch.

2025.04.23 Salz Und Pfeffer O Ton Schafhausen 97
Dan Rodriguez-Zaugg
Dan Rodriguez-Zaugg
Ein vegetarisches Ceviche mit Rüebli-Ingwer-Crème, nixtamalisierte Cherrytomaten, eingelegtes Gemüse, Pico de Gallo und Basilikumöl.
Ein vegetarisches Ceviche mit Rüebli-Ingwer-Crème, nixtamalisierte Cherrytomaten, eingelegtes Gemüse, Pico de Gallo und Basilikumöl.
Alejandro Pérez Polo
Alejandro Pérez Polo
Ente an einem Bärlauchpesto mit Markbein-Crème und Lauchpulver, Oxalis, Piparra-Chili und Kapuzinerblättchen.
Ente an einem Bärlauchpesto mit Markbein-Crème und Lauchpulver, Oxalis, Piparra-Chili und Kapuzinerblättchen.
Katiuska Villalba
Katiuska Villalba
Erdbeer-Trio: fermentiert, Carpaccio und als Schleier. Unter dem Geissenmilchschaum versteckt sich eine Glace aus Gartenerbsen.
Erdbeer-Trio: fermentiert, Carpaccio und als Schleier. Unter dem Geissenmilchschaum versteckt sich eine Glace aus Gartenerbsen.

Pérez Polo: Der Protagonist ist immer der Geschmack. Ist er gut, ist das aber erst der Anfang. Wie wollen wir diesen Geschmack nun repräsentieren? Als Luft, als Crème, als Espuma? Um das herauszufinden, machen wir viele Experimente, manchmal bis zu 150 einzelne Tests. Das dauert seine Zeit, denn unsere Menüs enthalten bis zu 250 Komponenten.

Butterluft, Sphären, veränderte Strukturen, Öl mit Biss – wo sind denn die Grenzen?
Rodriguez-Zaugg: Es gibt keine Grenzen, nein. Das wurde mir im Disfrutar klar, als ich mit den einflussreichsten Köchen der Welt gearbeitet habe. Sie haben mir auch beigebracht, keine Angst zu haben. Und übrigens: Einige der weltbesten Köche haben nicht einmal einen ordentlichen Lehrabschluss, auch Ferran nicht. Sie sind Praktiker, die sich alles selbst beigebracht und jahrelang geübt haben.

Pérez Polo: In der Disfrutar-Küche arbeiten Menschen, die von der anderen Seite des Globus kommen, um von Ferran und seinem Team zu lernen. Das ist unglaublich toll.

Was steuert der spanische Stil zur klassischen französischen Gastronomie bei?
Rodriguez-Zaugg: Neben den Degustationsmenüs auch die Mentalität in der Küche. Genaues Arbeiten und respektvoller Umgang miteinander wurden dank diesen spanischen Köchen in den Küchen etabliert. Das hat die Equipe vom damaligen El Bulli übrigens aus japanischen Küchen nach Europa gebracht. Nach diesen Grundsätzen arbeiten wir hier in der Sommerlust auch – es wird nicht geschrien und Meinungsverschiedenheiten werden ausdiskutiert.

Pérez Polo: Auch die Pinzetten, die heute Usus sind, um anzurichten, sind ein Erbe der El-Bulli-Ära. Und eine molekulare Küche ist ganz anders organisiert. Früher waren es der Entremetier, der Saucier, und wie sie alle heissen. Bei uns gibt es zwar auch warme und kalte Küchenposten, aber darin dann mehrere Untersektionen.

Rodriguez-Zaugg: Die Techniken und Einflüsse aus anderen Küchen ergänzen wir mit Schweizer Produkten. Mit Bärlauch zum Beispiel, den es in Spanien nicht gibt.

Villalba: Oder mit dem Sanddorn. Als ich diesen entdeckte, habe ich mich richtig verliebt und alles damit gemacht: die Petit Fours, die Saucen – einfach alles.

Pérez Polo: Ich hingegen bin der Belper Knolle verfallen. Als ich eines Tages eine Spätzlipfanne mit diesem speziellen Käse der Berner Käser Jumi’s gegessen habe, war das ein richtiger Augenöffner.

Verstehen die Leute hier in der Schweiz Ihre Küchensprache?
Pérez Polo: Oh ja, sie verstehen uns. Es gab ja schon mehrere Versuche, die mediterran-avantgardistische Küche hierzulande zu etablieren. Wir haben es nun wohl erreicht.

Haben alle Stimmen in Ihrer Küche das gleiche Gewicht?
Pérez Polo: Alle – auch die der Praktikanten. Einer hatte gerade kürzlich eine wunderbare Idee. Er schlug vor, den Schaum mit blauen St. Galler Kartoffeln zu machen. Das haben wir dann genau so umgesetzt. Das war nicht nur für uns toll, sondern auch für ihn.

Ihre Küche gleicht eher einer Werkstatt. Täuscht dieser Eindruck?
Rodriguez-Zaugg: Wir brauchen ganz andere Geräte als normale Küchen. Wir nennen das unseren Chemiebaukasten. Diese Pulver sind aber alle natürlich, bestehen aus Algen und anderen Naturprodukten, die aus der Molekularküche bekannt sind.

Welches Pulver ist so wichtig wie Salz und Pfeffer?
Pérez Polo: Xanthan – damit kann man eine Sauce textualisieren. Wenn man eine Flüssigkeit hat, kann man diese in eine Sauce, Suppe oder Crème verwandeln.

Villalba: Ich habe früher oft Maizena verwendet, aber das hat einen Beigeschmack. Heute nutze ich nur noch Xanthan, weil es geschmacksneutral ist. Isomalt benutze ich auch oft – es erlaubt mir, Formen und Blumen zu kreieren.

Rodriguez-Zaugg: Wir testen ständig neue Produkte des Herstellers Sosa. Zurzeit eines, das die Panade viel krosser macht.

Sind Sie Kollegen, Freunde oder Familie?
Rodriguez-Zaugg: Ganz klar Familie. Wir sind ja jeden ganzen Tag zusammen. Alejandro und Kati sind mir wichtig; ich will, dass sie glücklich sind.

Pérez Polo: Ein bisschen von allem. Ich sehe die zwei öfter als meine Eltern. Wir sind zur Familie geworden und sehen uns auch an freien Tagen.

Was könnte besser laufen in der Sommerlust?
Rodriguez-Zaugg: Wir sind in der Küche nun vollzählig, im Service hat’s noch etwas Luft nach oben.

Pérez Polo: Es gibt immer etwas, was besser laufen könnte. Immer.

Was treibt Sie an?
Pérez Polo: Für mich ist es langweilig, nur für den Lohn arbeiten zu gehen. Wir wollen auf dem höchsten Niveau arbeiten. Es geht Stück für Stück voran. Wir wollen jeden Tag ein bisschen besser werden.

Wird man bei all dem Tüfteln nicht rastlos?
Rodriguez-Zaugg: Wir sind wie eine Fabrik – da geht es auch immer weiter. Gerade experimentieren wir mit Sandwich-Cocktails vor dem Dessert. Ein Pina Colada ist uns bereits gelungen, jetzt ist es ein «Sunset Peach».

Pérez Polo: Auf dem Sommermenü haben wir Lamm mit Pfirsich. Jetzt probieren wir alle Pfirsiche, die es weltweit gibt. Wenn uns das Gericht nicht gefällt, verwerfen wir es. In den zwei letzten Wochen vor dem neuen Menü geht es nur noch um Details.

Wer hat das letzte Wort in der Küche?
Pérez Polo: Beide Küchenchefs. Ich bin sehr kompetitiv. Niemand will die Nummer zwei oder drei sein – das ist eine Lüge. Wir wollen Nummer eins werden. Und dafür arbeiten wir.

Wenn wir uns in einem Jahr wieder treffen – wo stehen Sie?
Rodriguez-Zaugg: Mein Traum ist der zweite Michelin-Stern und zwei Punkte mehr bei Gault Millau.

Pérez Polo: Die Leute sollen darüber reden, dass es in Schaffhausen Sterne gibt – und dass man hier richtig gut essen kann.

Katiuska Villalba ist gelernte und ausgezeichnete Pâtissière. In der Sommerlust arbeitet sie mit einer Auszubildenden zusammen – eine bemerkenswerte Leistung, denn in anderen vergleichbaren Restaurants, die Desserts und Friandises für rund 30 Plätze zubereiten, sind in der Regel fünf Konditorinnen oder Konditoren angestellt. Villalba hält es für falsch, dass hauptsächlich Frauen in dieser Position arbeiten. «Die Tatsache, dass die Arbeit delikat und fein ist, bedeutet nicht, dass es mehr Frauen in dieser Position gibt», sagt sie. Kreativität kommt bei ihr nur auf, wenn sie sich erholt fühlt. «Meine Leidenschaft wurde auch schon getötet, weil ich nicht geschätzt wurde und mir niemand zugehört hat, aber hier haben mir die Jungs absolute Freiheit gegeben, das zu tun, was ich wollte.» Während die beiden Küchenchefs nicht streiten, mache sie ihr lateinamerikanisches Blut zu einer streitbaren Frau, sagt sie. Sie verteidigt gerne ihre Meinung – stets mit dem Hintergedanken: «Unser Menü muss immer besser werden.»

Alejandro Pérez Polo ist 26 Jahre alt, stammt aus Spanien und traf Dan Rodriguez-Zaugg im Spitzenrestaurant Disfrutar. Er absolvierte seine Ausbildung in renommierten gastronomischen Häusern wie dem Noor, dem Bardal oder dem Come. Für ihn steht fest: «Wenn etwas nicht gut ist, funktioniert es nicht.» Seine Stärke sei sein Ehrgeiz. «Eine gut gemachte Arbeit kann immer noch verbessert werden», sagt er. Zwölf bis vierzehn Stunden Arbeit am Tag sind für ihn völlig normal. Gleichzeitig räumt er ein: «Ich kümmere mich überhaupt nicht um mein Privatleben, weil ich praktisch meine gesamte wache Zeit bei der Arbeit verbringe – das ist etwas, das ich verbessern muss.» Derzeit stimme für ihn aber alles: «Kochen ist nicht Arbeit, sondern einfach mein Leben.» Rezepte betrachtet er nicht als sein Eigentum. «Alles ist öffentlich, alles wird geteilt.»

Dan Rodriguez-Zaugg ist 31 Jahre alt und wuchs in La Palma auf – als Sohn eines Hoteliers. Nach dem Verkauf des Familienbetriebs kam er im Alter von 13 Jahren in die Schweiz. Seine Kochlehre startete er in Grindelwald, beenden konnte er sie im Restaurant Schwarzseestärn in Schwarzsee unter Küchenchef Hans Jungo. Bereits vor der Covidkrise war Rodriguez-Zaugg Küchenchef in der Villa Sommerlust und entwickelte während des Lockdowns über 300 Gerichte. Danach brauchte er eine kreative Pause – die ihn nach Spanien führte und schliesslich ins Disfrutar. «Es war einfach Schicksal. Als ich Alejandro dort traf, war es Freundschaft auf den ersten Blick», erinnert er sich. Rodriguez-Zaugg beschreibt sich selbst als Kontrollfreak, der bei jedem Gericht nach Perfektion strebt.