13.02.2024 Salz & Pfeffer 1/2024

Feuer, Fun und Fokus

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
In Engelberg treibt ein wildes Duo nicht nur viel Schabernack, sondern auch sich selbst zur Höchstleistung an. Zu Besuch bei John Jezewski und Christian Brangenfeldt in der Villa Hundert.
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«Am Ende ist alles in der Villa Hundert ein gemeinsames Produkt.»

Sie beide scheinen hier enorm viel Spass zu haben. Ist das immer so?
John Jezewski:
Die einfachste Antwort darauf lautet: nein. Wir erleben täglich beides: extreme Freude, aber auch Dämpfer. Momente, in denen wir das Ganze ziemlich hart finden. Was wir tun, ist sehr viel Arbeit – aber jede Minute, die wir in die Villa Hundert stecken, kommt von Herzen und aus tiefster Seele.
Christian Brangenfeldt: Dabei ist Fun quasi die Bassline.

Wie meinen Sie das?
Brangenfeldt: Für John und mich ist Spass sehr wichtig. Dass wir ihn auch in unsere Arbeit einbringen, färbt nicht zuletzt auf unsere Gäste ab. Haben wir Fun, haben sie Fun! Aber klar, dabei ist das Gleichgewicht entscheidend. Wenn wir einfach in der Küche stehen, Wein trinken und uns amüsieren, ohne etwas für die Gäste zu tun, hat am Ende niemand mehr Spass. Ich glaube, wenn es um die Arbeit und um unser Angebot geht, ist es uns beiden eigentlich todernst. Dafür geben wir alles, wir öffnen unsere Herzen und lassen sogar zu, dass uns das regelrecht verletzlich macht. Denn nur auf diesem Weg erreichen wir, was für uns so wichtig ist.

Was ist das?
Jezewski: Ehrlichkeit. Wir geben nicht vor, irgendwas zu wissen oder zu können, sondern bieten einfach an, was wir haben. Wir sind an diesem wunderschönen Ort in diesem wunderschönen Haus, fühlen uns hier daheim und lieben die Umgebung – all das spiegelt sich in unserem Tun.

Sie und die Villa Hundert, das passe perfekt zusammen, sagen Sie. Erzählen Sie doch bitte, wie es dazu kam.
Brangenfeldt: Nachdem John und ich ein paar Jahre hier in Engelberg gearbeitet hatten, beschlossen wir, es sei an der Zeit, gemeinsam unser eigenes Ding zu machen. Zwischen uns gibt es viele Synergien, wir teilen eine Philosophie, eine Vision, unsere Werte. Also suchten wir ein Lokal, bis nach Luzern runter.
Jezewski: Die Villa Hundert liegt direkt am Wanderweg, und wir waren beide immer wieder einmal daran vorbeigegangen, kannten das Haus allerdings nicht so wirklich. Bis ein Freund mir davon erzählte und mir dieses etwas versteckte Juwel genauer zeigte. Kurze Zeit darauf reichten Christian und ich unser Konzept ein.
Brangenfeldt: Drei Monate später fand die Schlüsselübergabe statt. Es ging alles sehr schnell, weil es auf Anhieb stimmte. Auch mit Anna Lisa Braun von der Eigentümerschaft. Wir merkten gleich, dass wir zu dritt gut funktionieren, und führen die Villa Hundert nun gemeinsam. Anna Lisa war auch fürs Design des Hauses zuständig, das perfekt zu unserem Konzept passt.

Wie ist dieses definiert?
Brangenfeldt: Das ist die Eine-Million-Dollar-Frage. In aller Kürze: Wir wollen den Gästen etwas bieten. Unser Produkt ist nicht nur einfach ein Essen.

Sondern?
Brangenfeldt: Wir bieten ein Gesamterlebnis an, das zwischen drei und 72 Stunden dauert – je nachdem, ob die Gäste bei uns übernachten. In der Villa Hundert können sie dem Alltag entfliehen und entspannen. Johns Gerichte sind äusserst verspielt und kreativ – und sie lassen Raum für Gespräche. Das finde ich persönlich wichtig: Die Leute müssen nicht übermässig fokussiert sein, um das Essen zu verstehen. Die Kreationen sind zugänglich, auch wenn sehr viel dahintersteckt. Wer sich dafür interessiert, kann tiefer eintauchen.
Jezewski: Wir versuchen, in jedes Gericht ein unerwartetes Element einzubauen, das unsere Handschrift trägt, aber nicht abgehoben ist. Die Gäste sollen Spass haben, und es wirkt ganz so, als hätten sie den auch.

Wie schreiben Sie Ihr Menü?
Jezewski: Die meisten Ideen dafür stammen von mir, aber ich präsentiere sie dem Team in einem sehr frühen Stadium. Danach arbeiten wir gemeinsam daran. Wir sind wie eine Band: Jemand schreibt die Melodie, jemand die Lyrics, und es braucht auch den Schlagzeuger und die Bassistin, um den Song fertigzustellen. Alle bringen ihre persönliche Note ein und tragen zum Resultat bei. So gesehen, ist ein Essen bei uns wie ein Konzert – auch die Abfolge der Gerichte zählt.
Brangenfeldt: John ist zwar der Küchenchef, aber ich fände es seltsam, nicht am Menü beteiligt zu sein. Zumal ich ja Erfahrung in der Küche mitbringe – und leidenschaftlich mit Lebensmitteln arbeite. Ich kuratiere den Wein, produziere aber auch eigene Essige und Wermut oder mache Hummus, Senf und Konfitüren fürs Frühstück. Am Ende ist alles in der Villa Hundert ein gemeinsames Produkt.

Dabei scheuen Sie keinen Aufwand, kreieren Gerichte, für die es zig Handgriffe braucht. Wo liegt Ihre Grenze?
Jezewski: Ich glaube, dass wir diese seit unserem Start hier permanent überschreiten. Mir fällt es generell schwer, meine Grenzen zu erkennen – und einzuhalten.
Brangenfeldt: Wobei man sagen muss, dass wir uns in einem sehr engen Rahmen bewegen. Nur schon personell, mit drei Leuten in der Küche, sind wir stark limitiert. Und auch unsere Philosophie gibt klare Grenzen vor: Wir arbeiten ausschliesslich mit Schweizer Lebensmitteln, richten uns konsequent nach der Saison und sammeln, ernten und produzieren selbst, was immer wir können. Gleichzeitig öffnen diese Limiten ganz viel Raum für Kreativität. Aber klar: Wenn wir eine Brigade mit zehn Leuten hätten, die gratis arbeiten, wie das in anderen Lokalen mit ähnlichen Konzepten der Fall ist, könnten wir natürlich noch viel mehr machen.

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Crevette, Milch, fermentierter Knoblauch, Feigenblatt
Crevette, Milch, fermentierter Knoblauch, Feigenblatt
Kohlrabi, fermentierter Knoblauch, Fichte
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Topinambur, gebranntes Brot, Holunder
Topinambur, gebranntes Brot, Holunder
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Wir war das für Sie eigentlich, als Sie plötzlich nicht mehr nur Freunde und Kollegen waren, sondern Geschäftspartner?
Brangenfeldt: John und ich sind in vielen Punkten sehr unterschiedlich, aber im Kern teilen wir die gleichen Werte. Einer davon ist: Die Gäste kommen immer an erster Stelle. Wenn wir uns also gegenseitig mal sagen, dass wir was nicht gut finden, tun wir das nicht, um einander zu ärgern, sondern, weil wir das beste Resultat anstreben. Dadurch, dass die Arbeitsbelastung im ersten Jahr wirklich irrsinnig hoch war, mussten wir beide vielleicht etwas mehr vom anderen ertragen als früher, und natürlich haben wir unsere Differenzen. Aber wir arbeiten kontinuierlich daran und entwickeln immer mehr auch ein Bewusstsein dafür. Jetzt freue ich mich aufs kommende Jahr: Unser Team ist etwas grösser als am Anfang, wir wachsen langsam – und es geht nun darum, die Villa Hundert weiterzuentwickeln.

Ein gutes Stichwort: Was Sie hier tun, hat Ihnen innert Kürze viel Aufmerksamkeit beschert.
Jezewski: Tatsächlich haben wir aber nicht besonders viel Marketing betrieben.
Brangenfeldt: Abgesehen davon, dass ich jeden Abend in den Bars von Engelberg abhänge und allen von uns erzähle...
Jezewski: Abgesehen von Christians Networking, natürlich! Ansonsten aber machen wir hier oben einfach unser Ding. Umso schöner, dass wir dafür so viel Anerkennung bekommen.
Brangenfeldt: Wir hätten vermutlich noch schneller bekannt werden können, wenn wir ein bisschen Werbung gemacht hätten. Wir entschieden uns allerdings für ein organisches Wachstum über Mund-zu-Mund-Propaganda. Das braucht etwas mehr Zeit, ist aber sehr ehrlich und authentisch – und passt zu uns.

Welche weiteren Pläne haben Sie für die Villa Hundert?
Brangenfeldt: Aktuell bauen wir einen Spa. Denn für uns als Schweden ist ein Haus ohne Sauna einfach kein Haus. Wir renovieren ausserdem ein paar Zimmer. Und im Lagerraum im Keller hätten wir gern eine Boulderwand und eine Skaterampe. Wir träumen gross! Dann möchten wir einen Garten anlegen mit Gemüse und Kräutern für die Küche, aber beispielsweise auch Tees. Und wir wollen einen Reifeschrank installieren und selber Charcuterie herstellen.
Jezewski: Darüber hinaus planen wir zusätzliche Angebote für die Gäste. Einen Seminarraum haben wir bereits, dazu möchten wir künftig Workshops durchführen, zum Beispiel rund ums Kochen auf dem Feuer.

Feuer spielt für Sie beide eine grosse Rolle. Was fasziniert Sie daran?
Jezewski: Ich fühlte mich von Feuer schon als Kind angezogen, liebte es, zu zündeln oder Feuerwerk abzulassen, und ja, das war nicht immer ganz ungefährlich. Als ich dann Koch wurde, verlagerte sich die Faszination auf die berufliche Ebene. Das Kochen auf dem Feuer ist archaisch und geerdet, ich fühle mich ihm sehr verbunden. Im Restaurant Svartengrens in Stockholm, in dem Christian und ich uns kennenlernten, war das Feuerkochen ein zentrales Element. Damals tauchten wir beide richtig tief in die Thematik ein.
Brangenfeldt: Das stimmt. Ich war in Schweden zudem eine Zeit lang in diverse Pop-ups involviert, und Feuer spielte eigentlich immer eine wichtige Rolle – egal ob für 40 Gäste in einem Gewächshaus mitten im Nirgendwo oder für 500 Leute an einem Festival. Was ich am Kochen auf dem Feuer besonders mag, ist die Kontrolle über ein Element. Ich liebe das Gefühl, etwas so Wildes zähmen zu können – oder zumindest damit zusammenzuarbeiten, es zu lesen und mich damit zu verbinden.
Jezewski: Und abgesehen vom philosophischen Spektrum schmeckt Essen, das auf dem Feuer zubereitet wurde, einfach fantastisch. Die Palette an Geschmäckern, die dabei entstehen, ist wahnsinnig breit. Nur schon die verschiedenen Raucharomen – je nachdem, womit man räuchert oder bei welcher Temperatur. Wir haben das Glück, in der Villa Hundert das perfekte Set-up dafür vorzufinden: Die Küche liegt quasi im Garten, ist nur durch ein Fenster davon getrennt. Es gibt mehrere Feuerstellen, und die Aussicht in die Berge ist phänomenal.
Brangenfeldt: Ich bin überzeugt, dass unser Konzept total anders aussähe, wenn John und ich zusammen ein Restaurant in der Stadt eröffnen würden. Was wir in der Villa Hundert tun, ist nämlich massgeblich davon geprägt, dass die Natur und die Berge direkt vor unserer Haustür liegen. Wir sind beide passionierte Snowboarder, wandern gern und lieben es, an der frischen Luft zu sein. Die ganze Umgebung hier ist für unser Konzept eine grossartige Inspiration.


Villa Hundert
Fellenrütistrasse 100, 6390 Engelberg
079 100 50 33
villa-hundert.ch

John Jezewski
Wenn es ums Kulinarische geht, ist John Jezewski in der Villa Hundert der kreative Kopf: Als Küchenchef zieht er alle Register – und holte sich damit von Gault & Millau auf Anhieb 14 Punkte. Seine Karriere startete der 33-Jährige in seiner Heimat Schweden mit diversen Engagements als Chef de Partie, unter anderem im mit zwei Sternen dotierten Gastrologik in Stockholm. 2017 übernahm Jezewski ebenda seinen ersten Küchenchefposten, wechselte allerdings bereits ein Jahr später in die Schweiz. In Engelberg leitete er erst die Küche der Ski Lodge, dann der Restaurants Alpenclub und Ober. Seit Herbst 2022 macht er gemeinsam mit seinem engen Freund Christian Brangenfeldt sein eigenes Ding und führt die Villa Hundert, ein Boutiquehotel hoch oben am Berg mit neun Zimmern und einem kleinen Restaurant.

Christian Brangenfeldt
Die Gastgeberrolle in der Villa Hundert übernimmt Christian Brangenfeldt. Auch wenn der gebürtige Schwede einen Bachelor in Business Administration im Sack hat, schlug sein Herz seit jeher stärker fürs Gastgewerbe als für die Wirtschaftsbranche. Und so zog es ihn erst in die Profiküche, dann in den Gastraum. Im Herbst 2019 folgte der 38-Jährige John Jezewski, den er aus Stockholm kennt, in die Schweiz. Er heuerte in der Ski Lodge Engelberg an, in der er zuletzt als F&B-Manager amtete. In der Villa Hundert, die er seit Herbst 2022 mit Jezewski führt, ist Brangenfeldt nicht nur für die Gästebetreuung, Reinigung und Buchhaltung zuständig, sondern frönt auch seiner Passion für Getränke und Lebensmittel: Er kuratiert den Weinkeller, produziert aber auch selbst – zum Beispiel Essige und Wermut, Senfe oder Konfitüren.