«Mit Güsel kann man nicht feuern.»
Kenner wissen, dass sie sich sputen müssen: Wenn bei Otto’s die Holzkohle aus Romoos eintrifft, dauert es jeweils nicht lang, bis sämtliche Säcke einen Abnehmer gefunden haben. «Wir tätigen darum regelrechte Hamsterkäufe», gesteht Valentin Diem. «Wir fragen nach, wann die Kohle kommt – und kaufen dann gleich ein ganzes Palett.» Für sein Pop-up-Projekt Wood Food, das in wenigen Tagen in die dritte Runde geht und den Rohstoff Holz in all seinen
Facetten in Szene setzt, braucht der Zürcher Autodidakt täglich rund drei Sechs-Kilo-Säcke Kohle. Er mache «eigentlich alles» mit dem Entlebucher Produkt, sagt Diem: «Sie wurde von Hand in der Schweiz hergestellt und ist ein Kulturgut. Darum ist es für mich sinnvoll, sie einzusetzen.»
Eine Tatsache, die auch Willy Renggli unterstreicht: «Holz ist ein Rohstoff, der hier vor unserer Tür nachwächst», sagt der Präsident des Romooser Köhlerverbands. Er lernte das Handwerk vor 25 Jahren und ist heute noch begeistert: «Ich finde es faszinierend, dass man dem Holz alle seine Stoffe entzieht und die Kohle am Ende trotzdem noch so viel Hitze und Energie abgibt.» Renggli gehört zu den verbleibenden neun Köhlern im Napfgebiet, die zusammen rund 100 Tonnen Holzkohle pro Jahr produzieren. Dem gegenüber stehen rund 1000 Tonnen, die jährlich in die Schweiz importiert werden – aus Osteuropa, aber auch aus Übersee, den USA oder Südafrika. Die vergleichsweise kleine Menge an Schweizer Holzkohle macht diese gerade für Profiköche mit einer
Affinität zur Herkunft eines Produkts attraktiv.
Die Knappheit ist aber nicht der einzige Grund. Die Romooser Kohle ist explizit für ihre Güte bekannt. «Wichtig für die Qualität ist in erster Linie die Kalibrierung», erklärt Diem. «Je grösser die Stücke sind, umso mehr eignen sie sich, weil sie die Luftzirkulation besser gewährleisten.» Dass die Brocken in den Säcken aus dem Entlebuch tendenziell gross ausfallen, gilt unter Grillprofis als Fakt. Bei ausländischer Industriekohle, sagt Doris Wicki, finde man indes auch mal kleinere Ware in der Tüte. Wicki, ihres Zeichens die einzige Event-Köhlerin der Schweiz, findet deutliche Worte: «Mit Güsel kann man nicht feuern.» Gleichzeitig betont das Präsidiumsmitglied des europäischen Köhlervereins, ausländische Kohle sei nicht automatisch schlecht. «Auch darunter findet sich gute Qualität.»
Neben der Grösse ist für die Güte von Holzkohle das Grundmaterial entscheidend. Harthölzer sind für die Produktion ideal: Sie brennen intensiver, glühen fester und länger als andere. Die Romooser Köhler verwenden, was in ihrer Umgebung wächst: hauptsächlich Buche, deren schweres, gut brennbares Holz sich besonders gut eignet, aber auch Fichte, Esche, Ahorn und mehr.
Für John Daly, Big-Green-Egg-Botschafter und ausgewiesener Grillexperte, ist die Romooser Holzkohle «ganz einfach die beste Holzkohle der Schweiz»: «Wir empfehlen und lieben sie.» Verbandspräsident Renggli führt die hohe Wertigkeit aufs alte Handwerk zurück, das die Köhler im Entlebuch pflegen. Für die sogenannte Retortenkohle, die industriell in Öfen gefertigt wird, gehe das Köhlern zu schnell vonstatten, begründet er: «In so kurzer Zeit ist es nicht möglich, dem Holz alle Stoffe zu entziehen und reinen Kohlenstoff zu bekommen.» In Romoos indes nimmt man sich Zeit: In der Regel geben die Köhler hier knapp 60 Ster Holz an einen Meiler, der dann rund zwei Wochen brennt.
Bleibt anzumerken: Gewerbsmässig lässt sich das Handwerk, das von der Unesco als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist, in der Schweiz längst nicht mehr betreiben. Die Entlebucher Köhler brennen ihre Meiler im Nebenverdienst ab. «Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis», sagt Wicki. Das ist schade, zumal die Nachfrage nach Romooser Kohle das Angebot bei weitem übersteigt. Beim Detailhändler Otto’s, der die Entlebucher Ware exklusiv vertreibt, würde man den Köhlern gern auch die doppelte Menge abnehmen, das wissen die Romooser genau. Renggli spricht von einer «guten Vereinbarung»: Bei einem Kilopreis von knapp 2.50 Franken, den die Abnehmer im Laden zahlen, gehen 1.80 Franken an die Produzenten. «Und wir könnten die Arbeit des Direktvertriebs selber nicht leisten.» Trotzdem erhält der Verbandspräsident Tag für Tag Anfragen: «Die Leute würden unsere Kohle am liebsten gleich abholen – darunter explizit viele Gastronomen.»
Wood-Food-Pionier Diem ist also in bester Gesellschaft – und erklärt auch gleich, warum er Holzkohle kulinarisch spannend findet: «Sie besteht zwar einfach aus Kohlenstoff und hat keinen eigentlichen Eigengeschmack, aber sie sorgt für ein Sinneserlebnis, haptisch und visuell; sie ist körnig und färbt ein», schwärmt er. Diem mischt Kohle gern mit Aschen, die ihrerseits eine Aromatik mitbringen. Ausserdem preist er die reinigende und bindende Wirkung auf den Körper: «Sie kann in manchen Gerichten durchaus von Interesse sein.»
Mindestens so begeistert von der Arbeit mit Holzkohle ist Naturköchin Rebecca Clopath. Sie empfängt ihre Gäste auf ihrem Hof im bündnerischen Lohn zur sogenannten Esswahrnehmung und gart in diesem Rahmen aktuell Äpfel in der Holzkohle (unser Kolumnist Wolfgang Fassbender beschreibt auf Seite 7, wie er das erlebte). «Ich kochte allerdings schon in ganz verschiedenen Formen mit Kohle», erzählt die ehemalige Küchenchefin des Entlebucher Hexers Stefan Wiesner. Sie vermahlt die Kohle auch mal ganz fein, bäckt damit Brot, stellt Chutney her oder macht einen Teeauszug, den sie anschliessend reduziert.
Clopath mag die archaische Komponente der Holzkohle. «Auf dem Feuer zu kochen, hat diese ehrliche Tiefe, die mir gefällt», sagt sie. Und weiter: «Holzkohle ist für mich ein wahnsinnig schönes Grundprodukt, total ästhetisch – vor allem so, wie Doris Wicki sie macht.» Die junge Köchin gehört wie ihr ehemaliger Lehrer Wiesner zu den wenigen Ausgewählten, für welche die Event-Köhlerin auch schon mal Spezialitäten herstellt. «Sie verkohlte für mich unter anderem Arven- und Birkenholz», erzählt Clopath und erinnert sich: «Von der Birkenkohle gab ich damals ein ganzes Stück auf den Teller, einfach weil sie so schön aussah – man erkannte noch immer, dass die Rinde einmal weiss gewesen war.»