12.06.2017 Salz & Pfeffer 4/2017

Feuer und Flamme

Text: Sarah Kohler – Foto: annetparadi – Fotolia.com
Sie ist so beliebt wie rar: Holzkohle aus Romoos. Unter den glühenden Verfechtern des Entlebucher Originals sind insbesondere Profiköche.
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«Mit Güsel kann man nicht feuern.»

Kenner wissen, dass sie sich sputen müssen: Wenn bei Otto’s die Holzkohle aus Romoos eintrifft, dauert es jeweils nicht lang, bis sämtliche Säcke einen Abnehmer gefunden haben. «Wir tätigen darum regelrechte Hamsterkäufe», gesteht Valentin Diem. «Wir fragen nach, wann die Kohle kommt – und kaufen dann gleich ein ganzes Palett.» Für sein Pop-up-Projekt Wood Food, das in wenigen Tagen in die dritte Runde geht und den Rohstoff Holz in all seinen 

Facetten in Szene setzt, braucht der Zürcher Autodidakt täglich rund drei Sechs-Kilo-Säcke Kohle. Er mache «eigentlich alles» mit dem Entlebucher Produkt, sagt Diem: «Sie wurde von Hand in der Schweiz hergestellt und ist ein Kulturgut. Darum ist es für mich sinnvoll, sie einzusetzen.»

Eine Tatsache, die auch Willy Renggli unterstreicht: «Holz ist ein Rohstoff, der hier vor unserer Tür nachwächst», sagt der Präsident des Romooser Köhlerverbands. Er lernte das Handwerk vor 25 Jahren und ist heute noch begeistert: «Ich finde es faszinierend, dass man dem Holz alle seine Stoffe entzieht und die Kohle am Ende trotzdem noch so viel Hitze und Energie abgibt.» Renggli gehört zu den verbleibenden neun Köhlern im Napfgebiet, die zusammen rund 100 Tonnen Holzkohle pro Jahr produzieren. Dem gegenüber stehen rund 1000 Tonnen, die jährlich in die Schweiz importiert werden – aus Ost­europa, aber auch aus Übersee, den USA oder Südafrika. Die vergleichsweise kleine Menge an Schweizer Holzkohle macht diese gerade für Profiköche mit einer
Affinität zur Herkunft eines Produkts attraktiv.

Die Knappheit ist aber nicht der einzige Grund. Die Romooser Kohle ist explizit für ihre Güte bekannt. «Wichtig für die Qualität ist in erster Linie die Kalibrierung», erklärt Diem. «Je grösser die Stücke sind, umso mehr eignen sie sich, weil sie die Luftzirkulation besser gewährleisten.» Dass die Brocken in den Säcken aus dem Entlebuch tendenziell gross ausfallen, gilt unter Grillprofis als Fakt. Bei ausländischer Industriekohle, sagt Doris Wicki, finde man indes auch mal kleinere Ware in der Tüte. Wicki, ihres Zeichens die einzige Event-Köhlerin der Schweiz, findet deutliche Worte: «Mit Güsel kann man nicht feuern.» Gleichzeitig betont das Präsidiumsmitglied des europäischen Köhlervereins, ausländische Kohle sei nicht automatisch schlecht. «Auch darunter findet sich gute Qualität.»

Neben der Grösse ist für die Güte von Holzkohle das Grundmaterial entscheidend. Harthölzer sind für die Produktion ideal: Sie brennen intensiver, glühen fester und länger als andere. Die Romooser Köhler verwenden, was in ihrer Umgebung wächst: hauptsächlich Buche, deren schweres, gut brennbares Holz sich besonders gut eignet, aber auch Fichte, Esche, Ahorn und mehr.

Für John Daly, Big-Green-Egg-Botschafter und ausgewiesener Grillexperte, ist die Romooser Holzkohle «ganz einfach die beste Holzkohle der Schweiz»: «Wir empfehlen und lieben sie.» Verbandspräsident Renggli führt die hohe Wertigkeit aufs alte Handwerk zurück, das die Köhler im Entlebuch pflegen. Für die sogenannte Retortenkohle, die industriell in Öfen gefertigt wird, gehe das Köhlern zu schnell vonstatten, begründet er: «In so kurzer Zeit ist es nicht möglich, dem Holz alle Stoffe zu entziehen und reinen Kohlenstoff zu bekommen.» In Romoos indes nimmt man sich Zeit: In der Regel geben die Köhler hier knapp 60 Ster Holz an einen Meiler, der dann rund zwei Wochen brennt.

Bleibt anzumerken: Gewerbsmässig lässt sich das Handwerk, das von der Unesco als immaterielles Kulturerbe anerkannt ist, in der Schweiz längst nicht mehr betreiben. Die Entlebucher Köhler brennen ihre Meiler im Nebenverdienst ab. «Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis», sagt Wicki. Das ist schade, zumal die Nachfrage nach Romooser Kohle das Angebot bei weitem übersteigt. Beim Detailhändler Otto’s, der die Entlebucher Ware exklusiv vertreibt, würde man den Köhlern gern auch die doppelte Menge abnehmen, das wissen die Romooser genau. Renggli spricht von einer «guten Vereinbarung»: Bei einem Kilopreis von knapp 2.50 Franken, den die Abnehmer im Laden zahlen, gehen 1.80 Franken an die Produzenten. «Und wir könnten die Arbeit des Direktvertriebs selber nicht leisten.» Trotzdem erhält der Verbands­präsident Tag für Tag Anfragen: «Die Leute würden unsere Kohle am liebsten gleich abholen – darunter explizit viele Gastronomen.»

Wood-Food-Pionier Diem ist also in bester Gesellschaft – und erklärt auch gleich, warum er Holzkohle kulinarisch spannend findet: «Sie besteht zwar einfach aus Kohlenstoff und hat keinen eigentlichen Eigengeschmack, aber sie sorgt für ein Sinnes­erlebnis, haptisch und visuell; sie ist körnig und färbt ein», schwärmt er. Diem mischt Kohle gern mit Aschen, die ihrerseits eine Aromatik mitbringen. Ausserdem preist er die reinigende und bindende Wirkung auf den Körper: «Sie kann in manchen Gerichten durchaus von Inter­esse sein.»

Mindestens so begeistert von der Arbeit mit Holzkohle ist Naturköchin Rebecca Clopath. Sie empfängt ihre Gäste auf ihrem Hof im bündnerischen Lohn zur sogenannten Esswahrnehmung und gart in diesem Rahmen aktuell Äpfel in der Holzkohle (unser Kolumnist Wolfgang Fassbender beschreibt auf Seite 7, wie er das erlebte). «Ich kochte allerdings schon in ganz verschiedenen Formen mit Kohle», erzählt die ehemalige Küchenchefin des Entlebucher Hexers Stefan Wiesner. Sie vermahlt die Kohle auch mal ganz fein, bäckt damit Brot, stellt Chutney her oder macht einen Teeauszug, den sie anschliessend reduziert.

Clopath mag die archaische Komponente der Holzkohle. «Auf dem Feuer zu kochen, hat diese ehrliche Tiefe, die mir gefällt», sagt sie. Und weiter: «Holzkohle ist für mich ein wahnsinnig schönes Grundprodukt, total ästhetisch – vor allem so, wie Doris Wicki sie macht.» Die junge Köchin gehört wie ihr ehemaliger Lehrer Wiesner zu den wenigen Ausgewählten, für welche die Event-Köhlerin auch schon mal Spezialitäten herstellt. «Sie verkohlte für mich unter anderem Arven- und Birkenholz», erzählt Clopath und erinnert sich: «Von der Birkenkohle gab ich damals ein ganzes Stück auf den Teller, einfach weil sie so schön aussah – man erkannte noch immer, dass die Rinde einmal weiss gewesen war.»

Kontrollierter Entzug
Es klingt simpel: Holz wird zur Kohle, wenn es ohne Sauerstoff hohen Temperaturen (ab etwa 315 Grad Celsius) ausgesetzt ist. Dann verbrennt es nicht, sondern es werden Wasser, Gase und diverse organische Stoffe aus dem Holz gelöst. Zurück bleibt reiner Kohlenstoff – zumindest in der Theorie, denn die sogenannte Pyrolyse läuft nie ganz perfekt ab. Die älteste Methode, Kohle zu gewinnen, ist der aus dem Altertum stammende Meilerbetrieb, die sogenannte Köhlerei. Das Holz wird in kegelförmigen Haufen in grossen Scheiten regelmässig um in der Mitte errichtete Pfähle aufgesetzt. Der Meiler wird mit Tannenreisig und Löschi (Kohlenstaub, Erde, kleine Kohlenstücke) bedeckt. Darunter entzündet und erhält man eine Glut. Die Hitze (rund 500 Grad) wird durch Zuglöcher an der Seite des Meilers nach aussen gezogen – und zwar etagenweise von oben nach unten, bis der ganze Meiler verkohlt ist. Die Kunst besteht darin, die Luftzufuhr so zu regulieren, dass nur die aus dem erhitzten Holz austretenden Gase oder Dämpfe destilliert werden (sogenannte Trockendestillation) – und eben nicht das ganze Holz verbrennt.

In der Schweiz gibt es im Napfgebiet neun aktive Köhler, die auf dem Gebiet der Gemeinde Romoos Kohlemeiler abbrennen. Sie sind als Verband organisiert.
www.koehlerei.ch

Als einzige Event-Köhlerin ist Doris Wicki unterwegs: Sie hat jährlich vier bis sechs Projekte in der ganzen Schweiz. Heuer, im Alter von 59 Jahren, plant sie allerdings, sich allmählich zurückzuziehen. Eine Vision hat sie indes noch: von einem kleinen Köhlerzentrum in der Schweiz, um das Handwerk und das Wissen weiterzugeben. Sollte ein solches je zustandekommen, kann sich die Köhlerin auch vorstellen, für Gastronomen kleinere Kohlenmengen wie 200 oder 300 Kilo extra zu produzieren. Momentan, sagt sie, liege das leider nicht drin.
www.event-koehlerei.ch

Holz in allen Facetten
Und der dritte Streich folgt sogleich: Valentin «Valefritz» Diem und Konsorten beziehen am 20. Juni für vier Wochen ihren Sommersitz beim Bahnhof Letten in Zürich und legen den Fokus einmal mehr auf den Rohstoff Holz. Das Pop-up-Projekt Wood Food besetzt mittlerweile über die Grenzen der Zürcher Gastroszene hinaus einen festen Platz, und auch in der dritten Runde verspricht spannend zu werden, was Diem wieder räuchert und äschert, verkohlt und grilliert. Immerhin verzichtet er in der Küche diesmal komplett auf Strom und heizt ausschliesslich mit Holz ein. In bester Tavolata-Manier werden die Gerichte am 21 Meter langen Holztisch aufgetragen: Das sogenannte Family Dinner kostet inklusive Getränkepairing mit oder ohne Alkohol 160 respektive 120 Franken. Zusätzlich zum Restaurantbetrieb gibts in der Sommerbar, die schon nachmittags öffnet, Craft Beers, Naturweine, Cocktails sowie lokal produzierte Sodas. Neben Drahtzieher Diem sind 2017 auch weitere angestammte Wood-Foodies am Start: Lili Friedrich amtet als Gastgeberin, die Bar schmeissen Nathalie Leinweber, Daniel Hürst und Lee Legis, und Miss Marshall sorgt mit ihren Glacekreationen für selig-erfrischte Gäste.

Wood Food, am Bahnhof Letten, Zürich, 20. Juni bis 15. Juli 2017, www.woodfood.ch

Asiatische Härte
Wer keine Romooser Holzkohle mehr bekommt, weicht gezwungenermassen auf ein ausländisches Produkt aus. Wobei von Zwang keine Rede sein soll, wenn es um die sogenannte Binchotan-Kohle aus Asien geht: Diese geniesst nämlich ihrerseits einen herausragenden Ruf. Einer, der sich damit hierzulande eingehend damit beschäftigt hat, ist Globus-Foodscout Richard Kägi – nicht zuletzt, weil er daheim unter anderem einen japanischen Konro-Grill besitzt, für den er die besondere Holzkohle verwendet.

Die edelste Binchotan-Variante nennt sich weisse Kohle: Sie wird in nur einer Präfektur Japans in einer traditionellen und langwierigen Prozedur aus der Ubame-Steineiche gefertigt, erreicht Temperaturen von bis zu 1000 Grad Celsius, brennt sehr lang und ist steinhart. «Der Wahnsinn», sagt Kägi. Und: «Wenn man zwei Stück davon aneinanderschlägt, klirren sie wie Weingläser.» Die weisse Kohle hat allerdings ihren Preis: Der Foodscout, der sich schon welche aus New York liefern liess, spricht von Kilo­preisen von zwischen 60 und 70 Franken.

Kägi ist aber ganz generell ein Fan von Binchotan-Kohle, die gepresst wird und vorwiegend aus Vietnam stammt. Sie enthält keine chemischen Zusätze, entwickelt keinen Rauch – und ein kleines Stück davon glüht vier bis fünf Stunden. In ihren Eigenschaften ähnlich ist Kohle aus Kokosnussschale sowie aus Bambus. «Letztere gefällt mir sehr gut», befindet Kägi. Bambuskohle wird ebenfalls bis zu 950 Grad heiss, entwickelt praktisch keinen Rauch und glüht über mehrere Stunden. «Sie sprüht keine Funken, produziert kaum Asche und ist vor allem aus einem rasch nachwachsenden Rohstoff gefertigt», preist der Foodscout seine Entdeckung an. Ihn erstaunt, dass Bambuskohle in der Schweiz noch immer ein Nischenprodukt zu sein scheint: «Sie bringt wirklich viele Vorteile.»