11.10.2022 Salz & Pfeffer 5/2022

Flüssiges Gold

Text: Wolfgang Fassbender – Fotos: Razoomanet, Rebecca_RCP – Shutterstock.com
Beim Whisky hat das Sammelfieber so manchen Genussmenschen infiziert. Die Destillerien haben die Zeichen der Zeit erkannt und bringen immer wieder neue Abfüllungen auf den Markt. Wessen Budget begrenzt ist, muss sich trotzdem keine Sorgen machen.
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Man sollte beim Thema Whisky nicht allzu sehr in Schablonen denken. 

Über die Trink- und Esssitten der verstorbenen Queen Elizabeth II. drang immer wieder etwas in die Öffentlichkeit. Angeblich genehmigte sich Her Majesty gern einen Mix aus Gin und Dubonnet, also einen feinen Aperitifcocktail. Das kann man nur als halbwegs britisch bezeichnen: Dubonnet wird in Frankreich hergestellt. Allerdings kann ja auch die eifrigste Britin nicht ihr ganzes Leben lang strikt Britisches konsumieren. Oder doch? Echte Whisky-Sammler würden mit dem Kopf nicken und darauf hinweisen, dass es noch nie zuvor in der Geschichte dermassen viele Malt-Sorten gegeben habe. Kritikerinnen indes würden sich an die Stirn tippen und höflich anmerken, dass viele dieser Abfüllungen für Normalverdiener – gut, dazu gehörte die Queen nicht – kaum erschwinglich seien. 

Bei Balvenie gibt es zum Glück vieles, sowohl Preiswertes als auch Luxuriöses. Von Schloss Balmoral, in dem die oberste Britin ihren letzten Lebenshauch tat, ist es nur ein Katzensprung bis zur Brennerei, ein paar Kilometer. In puncto Geschichte kann sich das Unternehmen zwar nicht mit den ältesten Anlagen Schottlands messen, in Bezug auf die Kreativität aber schon. Anno 1892 begann William Grant mit dem Bau der Brennerei, heute ist Malt Master David C. Stewart zuständig für alles, was mit Geschmack zu tun hat. Weil der Mann, längst eine Legende unter den schottischen Whisky-Blendern, sein 60-Jahre-Jubiläum (!) feiert, wird demnächst in würdigem Rahmen ein 60 Jahre alter Whisky präsentiert. Eine Rarität, die zu probieren manchem Sammler und mancher Sammlerin ein halbes Vermögen wert wäre. 

Einstweilen müssen diese sich aber mit dem 16-jährigen Malt French Oak begnügen, einem Whisky, der in Fässern reifte, die mal Pineau des Charentes enthielten, jenen Likörwein, der aus Traubenmost und Cognac hergestellt wird und ausserhalb Frankreichs ein Schattendasein führt. Ist mal was anderes, mag der eine oder andere Marketingexperte der grossen Brennerei gedacht haben. Tatsächlich schmeckt der 16-Jährige von Balvenie prima, bekommt den Dreh hin zwischen rauchiger Würze und dezenter Frucht, ist weder aufdringlich noch langweilig. Da kann man sich schon mal mit dem Preis, für den man auch eine Flasche feinsten italienischen Rotwein bekäme, anfreunden. Doch ist Alter beim Whisky tatsächlich immer alles? «Ich halte das für einen ganz blöden und überflüssig teuren Irrglauben», sagt dazu die Berliner Whisky-Expertin Juliane Reichert. Es komme total auf den Whisky an, ob er eine bestimmte Reife vertrage. «Ausserdem kann man auch mit jungen Whiskys tolle Vermählungen herstellen.»

Man muss sich halt nur ein bisschen auskennen, um Schnäppchen zu machen. So wie bei Ardbeg, einer der kultigsten Brennereien Schottlands. Befindet sich Balvenie in der Region Speyside, gut mit dem Auto zu erreichen, muss ich den Flieger ab Glasgow nehmen, um nach Islay und zu Ardbeg zu kommen. Gerade mal neun Brennereien existieren auf der Insel, und die Kennerinnen und Kenner streiten sich, ob man zuerst Laphroaig und dann erst Lagavulin nennen sollte oder ob Ardbeg gleich hinter den mythenumwobenen Luxus-Whiskys von Port Ellen rangiert. 

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Das Sortiment ist jedenfalls riesig, allein bei Ardbeg reicht es vom zehnjährigen Klassiker über den Uigeadail bis zur raren Limited Edition Ardcore. Letztere ist tatsächlich dermassen limitiert, dass sich der Keeper einer einschlägig bestückten Bar in Edinburgh am Vorabend geweigert hatte, mehr als eine Vier-Zentiliter-Portion herauszurücken. Eine einzige Flasche habe er bekommen, bedauerte der Mann, und die müsse eine Weile halten. Gut ist der Rare unter den Raren tatsächlich, aber nicht besser als der viel billigere Ardbeg Corryvreckan, der sich jodig, würzig, rauchig, im Nachhall aber auch fruchtig und pfeffrig präsentiert. 57 Volumenprozente besitzt dieser, schmeckt aber auch ohne Wasserzugabe herrlich. Eine Altersangabe auf dem Label sucht man hier übrigens vergebens – ein Hinweis darauf, dass man beim Thema Whisky nicht allzu sehr in Schablonen denken sollte. Und dass man sich schon vor dem Kauf überlegen muss, ob es um eine Geldanlage geht oder um den baldigen Genuss. Weil Whisky hungrig macht, lasse ich mir bei Ardbeg noch grossartige Scones im hauseigenen Café schmecken und – da die Imbissbude im Innenhof geöffnet hat – schiebe ein delikates Brötchen mit Pulled Pork nach. Den Hummer, den man im Meer vor Islay fängt, werde ich ein anderes Mal ausfindig machen.

Wirkliche Sorgen muss sich auch Bruichladdich nicht machen. Die Islay-Destillerie hat schon eine Weile mit verschiedenen Gerstensorten experimentiert und hebt den Aspekt Terroir auf eine neue Ebene: Was früher lediglich ein Thema für Weintrinker war, wird für so manche Whisky-Geniesserin gerade ebenfalls interessant. Wenn dann auch noch Bio-Getreide zum Tragen kommt, wie das bei Bruichladdichs soeben präsentiertem elf Jahre gereiften Organic Malt der Fall ist, spürt man nachhaltigen Zeitgeist über die Inselwiesen wabern. Dabei hat die Brennerei schon vor beinahe 20 Jahren begonnen, erstmals Gerste eines speziellen, biologisch arbeitenden Betriebes zu beziehen; dass dieser nicht auf Islay selbst residiert, ist zu verschmerzen. Und weil auch alle anderen Ingredienzien aus zertifizierter Bio-Herstellung stammen, kann sich das Produkt tatsächlich und ernsthaft Bio-Whisky nennen.

Apropos Islay. Auch Prince Charles kam gern mal auf die Insel: Schliesslich ist Laphroaig offizieller Hoflieferant des Fürsten von Wales. Klar, habe man auch Charlie schon mit dem Boot durchs Meer vor Islay geschippert, bestätigt der Skipper meines Bootes grinsend, bevor er die eben ertauchten Jakobsmuscheln mit einem Schuss Whisky aromatisiert. Ob auch der neue König schon in den Genuss dieser Kombination kam? Der Käpt’n schweigt vornehm. Ahnt wahrscheinlich, dass das Interesse an Islay und Whisky-Raritäten unter neuer Regentschaft eher zunehmen wird. Echte Kenner und Kennerinnen lässt das kalt, sie schwören auf Authentisches, das kein Vermögen kostet. «Wer gerne torfig trinkt, bekommt aus jüngeren Whiskys tolle Aromen von Leder, Sommerwiese oder nassem Seil, die im Alter verfliegen würden», sagt Expertin Reichert. Bleibt nur zu hoffen, dass sich das nicht allzu schnell herumspricht … 

Auf Islay muss man sich auch ohne auswahlreiche Gastronomie – das Essen im feinen Hotel The Machrie, der Nummer eins der Insel, darf als mittlere Katastrophe bezeichnet werden – nicht um Kundschaft sorgen. Schliesslich ist der vor Ort gestochene Torf, die Basis des unglaublich rauchigen, manchmal ins Medizinale vorstossenden Whisky-Charakters, ein schlecht zu imitierender USP. Die Nachfrage nach echtem Islay-Brand ist sogar derart gross, dass die neun bislang existierenden Brennereien – von Ardnahoe gibt es gar noch kein zu kaufendes Produkt – bald schon um eine zehnte Destillerie ergänzt werden: Port Ellen, die Legende, wird gerade wiederbelebt und soll im kommenden Jahr eröffnen. Eine Lizenz zum Gelddrucken für den Konzern, dem die Marke mittlerweile gehört.

Whisky-Trends 

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Allmählich setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein 15-jähriger Whisky nicht zwingend besser schmeckt als ein zehnjähriger oder einer ohne Altersangabe. Auch junge Whiskys können Klasse haben.

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Was nur an wenigen Orten zu produzieren ist und über einen ausgefallenen Geschmack verfügt, hat besonderen Wert. Wie die Islay-Whiskys, deren Produktionsbetriebe sich um Absatz nicht zu kümmern brauchen.