«In der Spitzenküche wird allzu oft ein Machtgefälle zelebriert, das ich unproduktiv finde.»
Sie sagen, Ihnen gehe es als Gastronom nicht nur ums Essen, sondern darum, die Welt zu verändern. Was haben Sie vor?
Claus Meyer: Die Nahrungsmittelproduktion verursacht einige der dringendsten Probleme unserer Zeit: Gesundheitsschäden wie Fettleibigkeit oder Mangelernährung, Umweltverschmutzung und Armut. Das müssen wir verbessern. Dabei kommt uns Gastronomen eine besondere Rolle zu. Noch nie hatten Köche so viel Publikum wie heute, sie werden von den Medien auf Schritt und Tritt verfolgt, so viele Augen sind auf sie gerichtet. Die Art, wie sie mit Rohstoffen umgehen, hat Signalwirkung. Die Köche von heute prägen die Welt von morgen. Für mich geht gutes Essen über guten Geschmack hinaus, es muss der Welt etwas bringen, sie ein Stück weit verbessern, wenn auch nur lokal. Das war eines der Hauptanliegen, als mein Partner René Redzepi und ich 2003 in Kopenhagen das Restaurant Noma eröffneten.
Das Noma ist die Geburtsstätte der Neuen Nordischen Küche, die zu einer Art Sozialbewegung avancierte. Spitzenköche aus ganz Skandinavien unterzeichneten Ihr Manifest, das 2005 vom Nordischen Ministerrat verabschiedet wurde. Was hat es damit auf sich?
Wir setzen auf das Heimische: regionale Rohstoffe, lokale Traditionen. Und wir verpflichten uns zu tier- und umweltfreundlichen Produktionsweisen. Das soll den Problemen der Massenproduktion entgegenwirken, aber auch ein Stück Identität verteidigen. Wenn ich die Schweiz besuche, esse ich keinen spanischen Käse. Ich will Geschmäcker kennen lernen, die einzigartig für dieses Land sind. Fast-Food-Industrie und Kettenbetriebe untergraben solche Besonderheiten. Eintönigkeit finden wir aber auch in der Spitzenküche, die in ihren Grundzügen fast immer französisch daherkommt. Diese Erfahrung habe ich gestern in einem Basler Fünfsternehotel gemacht. Das Essen war exzellent, aber ohne Charakter. Uns im Norden war der ganz abhandengekommen. Wo es gutes Essen gab, wurde mit Zutaten aus Südeuropa gekocht. Ich wollte zeigen, dass wir über eigene Schätze verfügen, Köche und Produzenten ermutigen, damit eine eigene Esskultur aufzubauen. Ich wollte beweisen, wie gut unsere Zutaten sind.
Das ist Ihnen gelungen. Das Noma wurde viermal in Folge als bestes Restaurant der Welt ausgezeichnet. Was erklärt diesen Erfolg?
René Redzepi gelang es als Küchenchef, eine neue kulinarische Sprache zu entwickeln, unverkennbar und radikal anders. René orientierte sich an Geschmacksprofilen statt an Produktgruppen und brach dafür mit der üblichen Hierarchie auf dem Teller. Er war mutig genug, sich von traditionellen Vorstellungen zu lösen, etwa der, dass Protein ein Muss ist. Diese neue Sprache war stark von der Natur inspiriert. Unsere Gerichte sollten eine Interpretation der Landschaft sein, aus der sie stammten. Denken Sie an ein Rind auf einem Jus aus Gras, von dem sich das Tier ernährt hat, begleitet von Beeren aus dem Wald nebenan. Das ist Poesie. Die Saison beschränkten wir nicht auf Jahreszeiten, sie inspirierte uns wöchentlich neu. Das Noma übertrumpft Wettbewerber aber auch in Sachen Ambiente.
Inwiefern?
In der Spitzenküche wird allzu oft ein Machtgefälle zelebriert, das ich unproduktiv finde. Man erhebt den Gast zum König und gibt ihm zu verstehen, dass ihm alle untertan sind, man bedient im wörtlichen Sinn. Im Noma setzten wir von Beginn weg auf einen weniger prätentiösen, eher informellen Umgang mit dem Gast. Als Gastgeber sollten wir ihm Umständlichkeit ersparen, Essen soll Spass machen – dass dies mit höchsten Ansprüchen vereinbar ist, beweist das Noma vorbildlich.
Dennoch scheint es ausgereizt zu sein: René Redzepi hat angekündigt, das Restaurant in seiner jetzigen Form zu schliessen.
Ich denke nicht, dass sein Potenzial ausgeschöpft ist. Aber der Neuanfang ist eine gute Idee. Er wird auf einem urbanen Bauernhof stattfinden, etwas ausserhalb des Stadtzentrums von Kopenhagen. Direkt beim Restaurant wird auch angepflanzt, die Nähe zum Produzenten wird damit noch grösser. Die Eröffnung ist auf 2018 geplant, bis dahin wird das Noma, soviel ich weiss, normal weiterbetrieben.