«In der Gastronomie werden immer öfter Hauptgerichte durch mehr kleine Gerichte ersetzt. Die Esskultur wird dadurch vielfältiger.»
Was sind die Top-Themen des neuen Food Reports 2024?
Hanni Rützler: Ich habe diesmal den Schwerpunkt auf grosse Themen im Foodbereich gelegt. Zurzeit haben viele Zukunftsängste. Dem können und sollten wir mit Mut und Strategie begegnen. Es ist eine Zeit des grossen Wandels und wir müssen aktiv ins Handeln kommen. Der Food Report soll dafür Orientierung bieten.
Mit welchen grossen Themen haben Sie sich beschäftigt?
Es sind drei: «Plants for Future», also wie der Klimawandel und die Moralisierung des Essens Pflanzen zur neuen Leitsubstanz der Esskultur machen. «The New Job Normal»: Wie der Wandel der Arbeitswelt unser Essen und die Mahlzeitenstrukturen beeinflusst. Und «The Green Taste of the Future»: Wie neue Technologien unseren Geschmack verändern und einen Paradigmenwechsel in der Lebensmittelproduktion ermöglichen.
Pflanzen werden in unserer Ernährung zentraler?
Genau. Ein signifikanter Wandel, der uns bevorsteht, ist der Übergang von einer auf tierischen Produkten basierenden Ernährung zu einer pflanzenbasierten. In den vergangenen 70 Jahren hat sich unsere Esskultur stark in Richtung tierischer Lebensmittel entwickelt. Die «Veredelungswirtschaft», in der pflanzliche Kalorien in tierische umgewandelt wurden, war ein historischer und verständlicher Weg. Jetzt kippt das Ganze. Denn die Ressourcenprobleme in der Milch- oder in der Fleischindustrie sind nicht mehr zu übersehen. Gerade in Bezug auf den Klimawandel. Pflanzen werden zu Rohstoffen für «Plant Based Food», für tierfreie, sprich vegane Lebensmittel. Parallel dazu entwickelt sich – ausgehend von der Spitzengastronomie – eine neue «Plant Based Cuisine», eine Küche, die pflanzliche Ausgangsprodukte ins Zentrum des Tellers rückt und Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst vom Status der Beilagen emanzipiert.
Welche Veränderungen sehen Sie in der Arbeitswelt?
Die Pandemie hat unsere Arbeitswelt und die Struktur unserer Mahlzeiten stark verändert. Vor Corona gab es eine Tendenz zur «Snackification», also zu kleineren, unregelmässigen Mahlzeiten statt den traditionellen drei Mahlzeiten am Tag. Mit dem Lockdown und dem Arbeiten von zu Hause aus haben viele Menschen wieder regelmässiger gekocht. Mahlzeiten haben wieder verstärkt unseren Alltag strukturiert. Die Präferenz für kleinere, vielfältigere, aus mehreren Komponenten bestehende Mahlzeiten hat die Pandemie aber überdauert. Diese Entwicklung stellt eine Herausforderung für die Betriebsverpflegung dar, die sich anpassen muss. Auch in der Gastronomie werden immer öfter Hauptgerichte durch mehr kleine Gerichte ersetzt. Die Esskultur wird dadurch vielfältiger.
Welchen Einfluss haben Technologien auf das Essen?
Der Klimawandel, die Notwendigkeit der Treibhausgasneutralität und der weiter steigende Bodenverbrauch sind grosse Herausforderungen für unsere Agrar- und Lebensmittelwirtschaft. Avancierte Technologien – von der Präzisionsfermentation über In-Vitro-Fleisch bis zu neuen gentechnischen Verfahren – werden unsere Lebensmittelproduktion verändern. Auch wenn viele Landwirte und Konsumentinnen technologischen Innovationen nach wie vor mit grosser Skepsis begegnen, eröffnen diese auch der biologischen und regenerativen Landwirtschaft neue Chancen.
Ihr Report thematisiert auch den Einfluss von Frauen auf die F&B-Welt. Was haben Sie dabei herausgefunden?
Frauen haben, historisch gesehen, eine starke Verbindung zur Ernährung, und es ist faszinierend zu beobachten, wie sich das im Laufe der Zeit weiterentwickelt hat. Nicht nur sind Köchinnen selbst in der Top-Gastronomie längst nicht mehr exotisch, auch und vor allem in anderen Sektoren der F&B-Branche behaupten sich Frauen zunehmend. Statt in traditionellen Unternehmen und Institutionen auf mehr Sichtbarkeit zu warten, haben sich in den vergangenen Jahren viele ihre Repräsentanz einfach selbst geschaffen. Bei Start-ups in der Branche stehen immer mehr Frauen im Zentrum, die Food-Blogger-Szene wird weltweit von Frauen dominiert, in der Diätologie und Oecotrophologie ist die Frauenquote ohnehin übererfüllt. Öfter und deutlicher als Männer stellen sie soziale und ökologische Kriterien in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und verändern damit auch die Unternehmenskultur.