Deutschland könnte stolz sein auf seine Küche. Müsste man halt kundtun!
Unbeliebt kann man sich schnell machen in Wolfsburg. Ein paar eingestreute Hinweise auf den Diesel-Skandal von Volkswagen reichen schon, ein paar Nachfragen nach jenen Gästen, die früher gern kamen, aber inzwischen die Öffentlichkeit meiden. Martin Winterkorn, früher CEO von VW und nun Persona non grata, soll sich bereits wohlgefühlt haben im The Ritz-Carlton, das auf dem Gelände der Autostadt liegt, in einem Freizeitpark, in dem sich die Kunden ihren neuen Golf abholen können, Diesel oder nicht. Hotelgäste dürfen natürlich auch mit anderen Marken reinfahren, aber als ein vor Ort logierender Londoner Popstar mal den Wunsch äusserte, ausgerechnet mit einem Mercedes vom Hubschrauberlandeplatz zum Hoteleingang chauffiert zu werden, musste der Direktor passen. Das nun doch nicht.
Derartige Allüren sind Sven Elverfeld fremd, aber ein Star ist der Fast-Fünfziger schon. Seit zehn Jahren hat das von ihm geleitete Restaurant Aqua drei Sterne im Michelin, auf der Liste der besten Lokale nach Version eines italienischen Mineralwassers besitzt er als einer von wenigen deutschen Köchen einen Stammplatz. Nur Joachim Wissler (Vendôme) ist weiter vorn und Tim Raue, das Gang Kid aus Berlin. Niemand wird behaupten können, dass sich Elverfeld in gleichem Masse inszeniert, aber dass eine Präsenz auf modernen Plattformen nicht schaden kann, ist ihm bewusst. Mehr als 20 000 Follower hat der Wahl-Wolfsburger auf Instagram, eifrig hält er seine Fans mit Fotos und Videos bei Laune. Und er schaut sich auch sonst in der Welt um.
Auf Gastspielen zum Beispiel – allerdings nur, wenn das Restaurant in Wolfsburg geschlossen hat. Kompromisse bei der Produktqualität, der Zubereitung, dem Anrichten seien auch in der Ferne nicht drin. 100-prozentig müsse das Ganze umsetzbar sein, sagt Elverfeld beim ersten Treffen im Tschuggen von Arosa. Dieter Müller hat eingeladen zur alljährlichen Party, auch Elverfeld ist gekommen. Mit Müller verbindet ihn schliesslich eine Geschichte. Auf Müllers Schloss-Lerbach-Restaurant bei Köln hat Elverfeld erstmals erfahren, wie Drei-Sterne-Küche geht, einst als Chef de Partie. 1992 bis 1995 war er da. Lange her.
Beim zweiten Treffen in Wolfsburg ist zum Ausgleich Andreas Caminada Gastkoch. Ein paar Mitarbeiter hat er dabei, gerade ist er gelandet, am nächsten Morgen geht es in aller Herrgottsfrühe zurück vom nahen Flughafen Hannover nach Zürich. Elverfeld hat 2018 nicht nur den Bündner, sondern auch ein paar andere Kollegen von Irland bis San Francisco in die niedersächsische Provinz geladen. Zehn Jahre drei Sterne wollen gefeiert werden, die Gäste sind heiss auf Four-Hands-Dinner, bei denen sich Gänge des Hausherrn und jene eines Eingeladenen abwechseln. Geld spielt da keine Rolle.
An anderen Tagen dagegen trifft auf das Aqua zu, was auch bei anderen deutschen Restaurants der Champions League zu beobachten ist: Die Angebote sind günstig. Manche würden sagen: zu günstig. Für 160 Euro gibt es schon ein Abendmenü mit allem, was dazugehört. In Paris würde man ausgelacht, setzte man sich diese Summe als Limit. In Schweden auch, in Spanien eh. Zumal da ja noch Heerscharen von wenig oder gar nicht bezahlten Praktikanten in der Küche mancher Edelrestaurants stehen.
Undenkbar in Deutschland, wo ja der Mindestlohn gilt, auch in der Schweiz keine Lösung. Sven Elverfeld sieht die Gegebenheiten und Probleme und macht das Beste draus. Deutsche Gastronomie auf allerhöchstem Niveau ist immer noch etwas, was man im Ausland erklären muss. Andere Nationen sind da weiter. Auch bei der Vermarktung. Dabei könnte Deutschland stolz sein auf seine Küche. Müsste man halt kundtun!
Doch die Aufbauarbeit scheint sich immer öfter zu lohnen. Kenner mit Sinn für grosse Produkte und durchdachte Kompositionen reisen von weiter entfernt her an. Ein erheblicher Teil der Aqua-Gäste kommt aus Berlin, der Bahnhof von Wolfsburg ist nur einen Verdauungsspaziergang weit weg von der Autostadt, vom Restaurant, vor dessen Fenstern sich schon mal eine halbzahme Nutria räkelt.
Elverfelds Stammgäste wissen, dass sie nur an wenigen Orten in Europa besser essen, durchdachter, logischer. Die Oliven als Appetizer, zum Beispiel. Kalamata natürlich, leicht karamellisiert, eine wundersame Verquickung aus herben, pflanzlichen und süssen Geschmackseindrücken. Dutzendfach möchte man sie verspeisen, bis in alle Ewigkeit werden sie hier zum Repertoire gehören.