«Fisch und Hummer profitieren oft vom Manzanilla, Schweinbauch ist ein Gedicht zum Oloroso.»
Reden wir erst mal nur vom Hotel Paradis (Name von der Redaktion geändert). Ein nobler, historischer Kasten in einer sehr grossen Schweizer Stadt, viele Sterne, eine gediegene Bar. Sherry stehe auf der Karte, verrät die von jeglicher Ahnung unbefleckte Bedienung. Ein Fino, der helle, hefeduftige Wein aus Andalusien, findet sich tatsächlich zwischen Campari und Himbeergeist. Vier Zentiliter, also zwei mittlere Schlucke, für stolze zehn Franken. Macht 25 pro Dezi, 250 für einen Liter. Ergibt angesichts eines Einkaufspreises von geschätzten zehn Franken für die Flasche eine Gewinnspanne, wie sie sonst nur in der illegalen Drogenszene üblich ist. Weisses Pulver, in Linien gezogen, in dunklen Ecken abgegeben. Kenner wissen, wovon die Rede ist.
Beim Sherry, dessen Besitz und Vertrieb noch nie unter Strafe stand, reden freilich alle aneinander vorbei. Die Gäste, die keinen Schimmer haben, zu welcher Gelegenheit sie den Manzanilla Pasada bestellen sollen und was um Himmels Willen ein Palo Cortado ist. Die Kellnerin im Paradis, der ihr Manager nie erklärt hat, dass für einen derartigen Preis niemand einen Fingerhut voll Sherry bestellt, der nicht bei der Mafia engagiert ist oder als Edelbanker über unbegrenzte Spesenbudgets verfügt. Was man der Dame auch nicht verraten hat, ist die Fragilität des spanischen Spezialweines. Selbst der Mafioso wird wieder auf frisches Koks ausweichen, wenn er einmal fade schmeckenden, überlagerten Sherry eingeschenkt erhalten hat. Nach ein paar Tagen in der offenen Flasche verliert der beste Fino an Charakter, nach einigen Wochen lassen auch extrem dunkle Olorosos den Kopf hängen. Wer solch flüssigen Ausschuss kredenzt bekommt, spielt wenigstens kurzzeitig mit dem Gedanken, die Bar zu Kleinholz zu machen.
Zum Glück gibt es ja noch Engagierte, die sich um die Sherry-Kultur bemühen. Im Maison Manesse, einem von Zürichs unkonventionellsten Restaurants, haben sie ein Faible für ungewöhnliche Weine und folglich für Sherry entwickelt. Küchenchef Fabian Spiquel und der ehemalige Restaurantleiter Miguel Ledesma investierten ins Beste vom Besten, es wimmelt von limitierten Abfüllungen der Top-Erzeuger. Equipo Navazos etwa, eine Gruppe von Sherry-Fans, hat sich einen Namen gemacht für individuelle Kleinstserien: Einzelstücke, Sammlerware. Die Nummer 19, ein Viejo Cream, ist eher komplex als wirklich süss, die Nummer 51, ein Palo Cortado, zeigt abgrundtiefe Nusswürze, mit der Nummer 56, einem dichten Pedro Ximénez, will man auf die einsame Insel. So was steht, halbe oder ganze Flasche, auch mal für über 80 oder mehr als 100 Franken auf der Liste. Ein Schnäppchen, denkt man an den ebenso teuren Langweil-Sherry aus dem Paradis.