26.10.2023

«Ganz oder gar nicht»

Interview: Simone Knittel - Fotos: Adrian Ehrbar / Andy Ruf
Der Koch und Gastronom Arno Sgier steht auch nach 30 Jahren noch täglich am Herd. Zum Jubiläum in der Traube Trimbach spricht er über seine Karriere, seine Küche – und seine Gäste.
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«Für mich gilt die Devise: Weniger ist mehr.»

Drei Jahrzehnte erfolgreiches Kochen und Wirtschaften – wie fühlt sich das an?
Arno Sgier: Wenn ich endlich zum Durchatmen komme, fühlt es sich gut an. Nach all den Jahren stehe ich noch immer morgens um neun Uhr am Herd – tagein, tagaus. Es ist das, was mich ausmacht. Im Büro sitzen und das Tageswerk delegieren: Das bin nicht ich. Manche Arbeit geht zwar nicht mehr so einfach wie früher, aber ich habe die Dinge schon immer entweder ganz oder gar nicht gemacht. Diese Arbeitshaltung wurde wohl von meiner Kindheit auf dem Bauernhof in Surin geprägt.

Sie haben in Ihrer Karriere viel erlebt: wechselnde Trends, zunehmende Konkurrenz, die Digitalisierung, eine Pandemie, den Fachkräftemangel… Wie hält man stets die Ohren steif?
Das klingt sehr dramatisch, aber sehen Sie, ich habe meinen Betrieb über Jahre aufgebaut, entsprechend hält er auch einigem stand. Wir sind kein Pop-up, das kommt und wieder geht. Wenn man so lange wirtschaftet, kann man viele Entwicklungen antizipieren. Und ich habe fantastische Mitarbeitende. Logisch, die Pandemie beispielsweise war nicht lustig. Aber sich zu beschweren, das kommt für mich nicht in Frage. Ich habe nie verstanden, warum manche Menschen immer jammern. Dafür geht es uns in der Schweiz viel zu gut. Jede Krise ist auch eine Chance, etwas daraus zu machen. Beim Fachkräftemangel bedeutet das etwa, dass wir halt auch selber Berufseinsteiger und -einsteigerinnen ausbilden.

Wie hat sich die Gastronomie in diesen Jahren verändert?
Es gibt ein Thema, das mich beschäftigt, und das ist die steigende Erwartungshaltung der Gäste. Wir bieten unseren Gästen eine Dienstleistung an, im Gegenzug erwarte ich ein faires Verhalten uns gegenüber. Wenn Gäste in letzter Minute absagen oder gar nicht auftauchen, stört mich das schon. Ich glaube, viele verstehen nicht, wie viel Aufwand in unserer Arbeit steckt. Auch dass man vermehrt Alternativen anbieten soll, also neben einem Fleisch- und einem vegetarischen Menü, auch noch laktosefreie und vegane Alternativen… Der zusätzliche Aufwand, der bei einem Mehrgänger mit vielen Komponenten entsteht, ist immens. Manche Gäste sind dann auch nicht konsequent und wollen in diesem oder jenen Gang dann doch wieder etwas anderes. Ich würde mir etwas mehr Entgegenkommen wünschen.

Sie halten seit vielen Jahren 17 Gault-Millau-Punkte und einen Michelin-Stern. Gewöhnt man sich an diese Lorbeeren oder ist man stets auf den Erfolg bedacht?
Ich schätze beide Institutionen sehr, denn sie bringen mir eine Klientel, die sonst wohl nicht kommen würde. Und die Punkte und Sterne interessieren einen durchaus auch nach all den Jahren noch. Aber das Wichtigste ist das Feedback der Gäste. Wenn ich höre, dass diese zufrieden sind, selbst wenn ich immer wieder Neues ausprobiere, bin ich glücklich. Wenn ich je stagnieren würde, müsste ich aufhören.

Arno Sgier kennt viele Produzenten persönlich.
Arno Sgier kennt viele Produzenten persönlich.
Kingfisch-Gang von Arno Sgier
Kingfisch-Gang von Arno Sgier
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Auch nach all den Jahren gilt Ihre Küche als innovativ. Wie schaffen Sie das?
Im Kern ist meine Philosophie immer die gleiche: Die Qualität muss stimmen, der Geschmack ist das Wichtigste. Ich setze auf Kompositionen mit klaren Aromen. Wenn ich eine Rande serviere, soll sie als Rande erkennbar sein. Ich möchte die Gäste nicht verwirren. Für mich gilt die Devise: Weniger ist mehr. Darüber hinaus macht es mir Spass, immer wieder Neues zu entdecken. Aktuell braue ich selber Bier und Cider. In den letzten Jahren habe ich mich dem Fermentieren gewidmet. Ich habe grossen Respekt vor der Tradition, die hinter einer Technik steckt, und wenn mir beispielsweise ein Gast aus Korea sagt, das Kimchi schmecke wie zuhause, freut mich das sehr.

Wird es Ihnen nach 30 Jahren nicht langweilig in Trimbach?
Trimbach ist nicht der Nabel der Welt, aber man ist doch schnell überall. Unsere Gäste kommen aus Basel, Bern, Zürich schnell zu uns. Das ist schon ein Vorteil. Der Betrieb gehörte meinem Schwiegervater, und bevor ich ihn übernahm, hatte ich mich noch umgeschaut. Vor- und Nachteile hat man überall: Mal ist der Preis zu hoch, dann ist die Lage nicht gut oder das Gebäude zu alt. Seit die Traube nach meinen Vorstellungen umgebaut wurde, bin ich zufrieden. Dass der Betrieb inzwischen mir gehört, gibt mir eine Freiheit, die ich brauche, um kreativ zu sein.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Kurzfristig bin ich meistens mit der neusten Menüplanung beschäftigt. Wir wechseln ja alle paar Wochen die Karte. Das ist sehr aufwendig, und manchmal denke ich, dass wir das Konzept etwas straffen könnten. Diese Zwölf- bis 15-Stunden-Schichten: Mal sehen, wie lange ich das noch mache. Und sonst? Es gibt immer etwas zu tun. Neben dem Kochen brauche ich eine Abwechslung. Vielleicht werde ich mich dem Töpfern widmen oder dem Schweissen? Ich habe immer sehr genaue Vorstellungen davon, wie etwas aussehen sollte, und viele Ideen. Nur kochen geht für mich nicht – sonst drehe ich mich im Kreis.

Seit 30 Jahren führt Arno Sgier das Restaurant Traube in Trimbach im Kanton Solothurn. Ursprünglich kommt der Koch und Gastgeber aus Surin im Bündnerland, nach einigen Stationen in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum liess er sich in Trimbach nieder. Sein Wirken im Mittelland brachte raschen und anhaltenden Erfolg: Seit 2005 hält Sgier in der Traube 17 Gault-Millau-Punkte und einen Michelin-Stern.
traubetrimbach.ch