So richtig heiss wirds hier nie.
Die neue Lässigkeit der gehobenen Gastronomie – vor einigen Jahren viel beschworen bis frenetisch gefeiert – ist nicht mehr neu, aber immer noch ziemlich lässig. Erklärte Meister im Zelebrieren der gepflegten Lockerheit sind nach wie vor die Skandinavier, deren Coolness sich vielleicht nicht direkt aus dem Klima ihrer Umgebung heraus erklärt, aber immerhin prima dazu passt. Das ist im Relæ nicht anders: Das mit einem Michelin-Stern dotierte Lokal im Kopenhagener Trendviertel Nørrebro kommt ohne Schnickschnack und weisse Tischdecken aus, setzt auf viel Holz, gradliniges Design und Funktionalität. Auf dem Teller liegt nichts zu viel, im Service gibt man sich unkompliziert und lieber selbstbewusst als servil. In der Summe macht das Spass, ohne an Ernsthaftigkeit einzubüssen: Im Relæ geht mit dem Essen eine Menge Philosophie einher und orientiert sich die Küche am Manifest der Neuen Nordischen Küche. 90 bis 100 Prozent der verarbeiteten Produkte sind biozertifiziert, und beim verantwortungsvollen Umgang mit ebendiesen ist man hier wenig kompromissfreudig.
Eiserne Garanten für die konsequente Umsetzung von ökologischem Gedankengut sind die Inhaber und Begründer des Relæ: Christian F. Puglisi und Kim Rossen lernten sich im Noma kennen und eröffneten ihr eigenes Restaurant 2010. Seither wichen sie von ihrer ursprünglichen Vision kaum ab. Warum auch? Schliesslich halten sie genau dafür seit 2012 einen Stern (als erstes biozertifiziertes Restaurant überhaupt), und auf der San-Pellegrino-Weltrangliste besetzen sie aktuell Platz 39. Relativ neu ist, dass Jonathan Tam als Küchenchef die Verantwortung trägt: Der Kanadier mit chinesischen Wurzeln gehört seit Anbeginn zur Relæ-Crew, amtet aber erst seit etwas über einem Jahr als Küchenchef. Seine asiatische Prägung fliesst in die nordische Küche des Hauses ein, was weniger widersprüchlich ist, als es im ersten Augenblick scheinen mag. Das raffinierte Spiel mit Schärfe oder Säure und die Kombination von rohen Elementen mit heissen Komponenten sind der fernöstlichen Küche genauso eigen wie der nordischen Variante im Relæ. Wobei: So richtig heiss wirds hier nie. Man bleibt cool, auch auf dem Teller.
Was nicht heissen soll, dass nicht wenigstens die Emotionen mitunter hochkochen. Das Programm, das die Relæ-Equipe bei unserem Besuch an einem sonnigen Samstagmittag zeigt, sorgt in vielerlei Hinsicht für Spannung, Lust und Lebensfreude. Dass es nie auch nur ansatzweise langweilig wird, mag zwar auch am Tempo liegen, in dem die Gänge aufgetragen werden. Aber eben nicht nur: Bei aller Reduktion (beispielsweise auf maximal drei Komponenten pro Gericht) schafft es Tam, Facetten zu zeigen und wiederholt zu überraschen. Gleich zu Beginn etwa, mit Celtuce, einem Gemüse, das man hierzulande allenfalls unter dem Namen Salat-Spargel kennt, das geschmacklich die Charakteristiken von Kopfsalat und Sellerie vereint und im Relæ mit Oregano und angefrorener Mandelmilch serviert wird. Oder mit einem mit Kiefern aromatisierten Saft von grünen Zitronen, der anstelle des obligaten Naturweins zur nur minimal erwärmten Forelle mit Sauerklee und geräuchertem Rahm in die Gläser kommt. Und immer wieder auch mit den Gemüsegängen, der eigentlichen Kür des Hauses. Wenn die gedämpfte Zwiebel im Sud von grillierten Artgenossen und begleitet von fermentierten Stachelbeeren, Fenchelsamen und Dill im Suppenteller landet, ist das eine gelungene Geschichte, der es an nichts fehlt.