«Gastfrei zu sein vergesset nicht», übersetzte Martin Luther, «denn dadurch haben etliche von euch ohne ihr Wissen Engel beherbergt.» Steht im Hebräerbrief Kapitel 13. Und nein, mit «gastfrei» ist nicht «frei von Gästen» gemeint. Sondern gastfreundlich. Ein Dach über dem Kopf, ein Bett und etwas zu beissen. Das wird bei einem Gastfreund goppel noch drinliegen, die Beiz ist ja schon gebaut und kostet nichts mehr, das Hotel sowieso schon ein paar Mal abgeschrieben, und wenn man schon einen Gast im Haus hat, soll er doch auch ins Spa können, das sprudelt und dampft ja ohnehin, und es will ja niemand einen Engel brüskieren, nur weil der sich nicht ausgewiesen hat.
Andererseits – wenn der Gast umsverworgen etwas bezahlen will, dann wäre es respektlos, ihn daran zu hindern. Und so ist der Gast von heute, wie jeder Gastgeber weiss. Es bedeutet ihm viel, ein faires Entgelt zurückzulassen, das die sozialen, ökologischen, ökonomischen, ethischen und moralischen Aspekte seines Aufenthaltes berücksichtigt. Das hat der Gastgeber zu respektieren. Für die meisten Gäste ist es mit das Wichtigste, möglichst viel Geld dazulassen. So mancher Gastgeber kann ein Lied davon singen, weil er kaum mehr weiss, wohin mit dem vielen Geld seiner engelsgleichen Gäste.
Der gastfreie Gastgeber, der womöglich regelmässig im Hebräerbrief liest, gerät da natürlich in einen Clinch. Soll er die Geldannahme beharrlich verweigern oder soll er eigene Prinzipien verletzen? Fachleute raten davon ab, übertrieben dankbare Gäste am Bezahlen zu hindern. Studien mit von Dankbarkeitsattacken betroffenen Gästen haben gezeigt, dass das Unterdrücken von Dankbarkeit gesundheitliche Schäden nach sich ziehen kann. Fühlt ein Gast sich auf dem Heimweg wie der Schmarotzer eines Wirtstieres, dann setzen Schuldgefühle ein – mit den bekannten Folgen. Und mit strafrechtlichen Konsequenzen für den Verursacher, den Gastgeber, der ziemlich sicher mutwillig gehandelt hat, die Annahme von Geld geschieht schliesslich nur selten unbewusst, jedenfalls nicht absichtlich.
Der Rat der Fachleute an die Gastgeber lautet deshalb: Geld annehmen und Danke sagen. Damit vermeidet man auch ein überaus zeitraubendes Hin und Her beim Auschecken an der Rezeption: «Ihre Beherbergung war mir ein Vergnügen, liebe Frau Knutsen-Bröhnsleet, das geht aufs Haus.» – «Keinesfalls, lieber Herr Knellwolf, ich möchte gerne etwas geben.» – «Aber nein, ich halte viel von Gastfreundschaft, nicht der Rede wert.» – «Ich bitte Sie, zwei Wochen Vollpension im Vier-Sterne-Haus, da haben wir Ihnen bestimmt diese oder jene Auslage bereitet, ich bestehe darauf, das anständig zu honorieren, ich weiss doch, was das kostet, hier nehmen Sie diese 50 Franken, von dem, was zu viel ist, machen Sie wieder einmal Ferien, Sie wirken etwas blass.»
«Die Annahme von Geld geschieht selten unbewusst, jedenfalls nicht absichtlich.»
Ähnliches gilt für das Restaurant. Der Kellner, der 15 Tische betreuen muss,hat nicht die Zeit, jeden Gast im individuellen Gespräch vom Bezahlen abzuhalten und ihm noch ein Trinkgeld auf den Heimweg mitzugeben. Das macht nicht einmal bei ungelerntem Personal betriebswirtschaftlich Sinn.
Und der arme gastfreie Gastgeber, der ständig Geld annehmen sollte, das er nicht will? Misslungene Unentgeltlichkeit kann zu schlaflosen Nächten voller Gewissensbisse führen, und keine Krankenkasse übernimmt Gewissensbisswunden. Und was, wenn Frau Knutsen- Bröhnsleet womöglich ein Engel war? Hat man ihr an der Rezeption auch entschlossen genug signalisiert, dass man kein Geld sehen will? Zweifel steigen auf und man wird bleich. Daran liegts.
Man könnte an der Rezeption eine Bibel auflegen, mit einem Buchzeichen bei Hebräer Kapitel 13. Wenn ein Gast dann zu viel bezahlen möchte, lässt man ihn den entsprechenden Vers lesen und sagt dann: «Sehen Sie, liebe Frau Knutsen- Bröhnsleet, wenn Sie mich bezahlen wollen, verletzen Sie meine religiöse Integrität.» Man könnte sich natürlich im Sinne eines Kompromisses gütlich einigen und die übertriebenen 50 Franken für die zwei Wochen stattdessen an eine wohltätige Organisation überweisen.
Es kann natürlich auch sein, dass Frau Knutsen-Bröhnsleet in der Bibel blättert und dann einen Vers zitiert aus dem zweiten Tabasco-Kapitel eins: «Eine gute Dienstleistung fair zu entgelten vergesset nicht, denn etliche von euch wurden ohne ihr Wissen von einem Engel beherbergt.» Dann wird Frau Knutsen-Bröhnsleet Herre Knellwolf lustig zuzwinkern: «Sie sind mir doch wohl nicht noch ein Engel?» Herr Knellwolf wird antworten: «Also, ursprünglich gelernt habe ich Koch, aber Sie machen mich jetzt grad unsicher. Sind Sie denn einer?» «Aber ja doch. Ich habe das KV gemacht, dann umgesattelt auf Witwe und schliesslich bin ich gereift bis zum Engel. Wissen Sie was, wir machen es einfach so: Sie geben Ihr Bestes und sagen mir, was es kostet, sodass Ihre Rechnung aufgeht. Und ich bezahle gern einen fairen Preis und komme gern wieder.»
Tut immer wieder gut, so ein Sommermärchen.