20.09.2017

Gekommen, um zu bleiben

Interview: Sarah Kohler - Fotos: Jürg Waldmeier
In der Küche des Zürcher Restaurants Mesa hat mit Sebastian Rösch ein verdammt ehrgeiziger junger Mann das Zepter übernommen. Einer mit langfristigen Plänen und unkonventionellen Ideen.
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Ich suche nach Lebensmitteln, die ich auch mal lassen kann, wie sie sind
Sie stehen zurzeit viel am Herd und machen einen sehr fokussierten Eindruck. Der täuscht nicht, oder?

Sebastian Rösch: Wir befinden uns in der Gourmetgastronomie in einer Blase, in der wir uns voll darauf konzentrieren dürfen, was wir gern tun. Das ist grossartig, und ich habe das Glück, dass meine Freundin dafür Verständnis hat. Ich wollte immer vorankommen und lernen – solange ich so intensiv arbeiten mag. Das ist nicht nur eine körperliche Frage, sondern auch eine der Lebensumstände. Momentan kann und darf ich hier rund um die Uhr stehen, wenn ich will.

Im Mesa starteten Sie mit einem komplett neuen Team. Wie läufts? 
Meine Crew ist grossartig. Am Anfang war mir wichtig, den Druck von meinen Jungs zu nehmen: Ich schrieb die Rezepte bis ins Detail und erledigte die Büroarbeit nachts. Natürlich kann ich als Chef nicht mehr nur kochen und habe zusätzliche Aufgaben, aber ich möchte präsent sein. Ich prüfe jeden Teller, bevor er rausgeht. Das ist auch für die Köche gut: Sie wissen, dass der Alte nochmals draufguckt. Alles in allem: Wir arbeiten sehr intensiv am Herd, klar, aber ich erkläre meinen Mitarbeitern auch, warum wir das tun. 

Warum denn? 
Weil wir als Team etwas erreichen möchten. Wir dürfen mit tollen Lebensmitteln arbeiten: Ob das jetzt die Gurke ist oder das Rosenmark oder das Fleisch. Da fanden Inhaberin Linda Mühlemann und ich bei meiner Einstellung einen gemeinsamen Nenner: mit Topprodukten zu kochen. Dieses Privileg sollen meine Leute sehen. Sie dürfen sich auch einbringen, mir was zeigen. Natürlich kann nicht jeder machen, was er will, das muss schon seine Ordnung haben, aber ich bin offen für Vorschläge. Meine Jungs sind Mitarbeiter: Die arbeiten mit, nicht ab. Und wer das Gefühl hat, es gebe nur einen Ansatz, der hat das Kochen nicht verstanden. 

Ihr Ansatz heisst: Mut zur Lücke.
Das ist ein Punkt, ja. Ich überlege mir gern, was ich auf einem Teller weglassen kann. Das ist schwieriger, als eine weitere Komponente auf den Teller zu packen oder noch eine Technik einzubauen. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, ich sei ein junger Koch, der bloss zeigen will, was er alles kann. Über diesen Punkt bin ich hinaus; ich habe schon einige Stationen absolviert und weiss, dass ich das nicht brauche.

Was brauchen Sie dann? 
Meine grösste Challenge ist es zurzeit, weitere Produzenten zu finden, mein Netzwerk auszubauen. Ich suche nach Lebensmitteln, die ich auch mal lassen kann, wie sie sind, möchte nicht unbedingt 20 Sachen und zig Texturen auf dem Teller, sondern den puren Geschmack. Wenn das passende Produzenten lesen, wäre es also schön, sie würden sich melden: Meine Türen stehen offen. Auch für die Gäste übrigens: Ich begrüsse es sehr, wenn sich diese trauen, mal in die Küche hereinzuschauen. Schliesslich hoffe ich, dass die Leute eines Tages sagen werden: Das hier ist ein Glücksfall für Zürich. Für mich ist es das jetzt schon. 

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Schweizer Angus – Petersilienwurzel – La-Ratte-Kartoffel – Perlchampignon
Schweizer Angus – Petersilienwurzel – La-Ratte-Kartoffel – Perlchampignon
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Sebastian Rösch mit Souschef Luca Aufdenblatten
Sebastian Rösch mit Souschef Luca Aufdenblatten
Gurken vom Brunner Eichhof – Papaya – Nori-Alge – Cashewnuss
Gurken vom Brunner Eichhof – Papaya – Nori-Alge – Cashewnuss
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Seeteufel aus Roscoff – Anapurna-Curry – Okra – Zerbinati-Kürbis
Seeteufel aus Roscoff – Anapurna-Curry – Okra – Zerbinati-Kürbis
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Die Gäste feierten unser Essen total
Die Geschichte des Mesa ist geprägt von grossen Namen wie Markus G. Lindner und Antonio Colaianni. Die Erwartungen dürften hoch sein. 

Das ist so – und das ist nicht so einfach. Mir ist das schon ernst, ich plane hier langfristig. 

Im Oktober stehen für Sie erstmals die Wertungen an: Was ist Ihr Ziel? 
Als ich hier anfing, dachte ich, ich würde mich in erster Linie wegen der Sterne und Punkte unter Druck setzen – nur schon im Hinblick auf einige meiner Vorgänger im Mesa. Es kam anders: Ich denke eher darüber nach, wie wir es schaffen, viele neue Gäste für uns zu begeistern. Wobei ich gestehen muss, dass ich mir schon in der Lehrzeit vornahm, einmal einen Stern zu holen. 

Also Klartext: Was ist das Ziel? 
Natürlich wünsche ich mir was. Am liebsten hätte ich einfach, dass das Mesa zum Hotspot von Zürich wird. Wenn wir es schaffen, dass im Lokal 40 Gäste sitzen, es hier lebt und der Laden brummt, macht es allen Spass. Das ist mir mehr wert als ... 

... wie viele Punkte? 
(Lacht.) Sagen wir es so: Mein Vorgänger Marcel Schmitutz hielt einen Stern und 15 Punkte. Die möchte ich verteidigen. Mindestens. 

Die Branche zumindest ist seit Ihrem Debüt als Küchenchef voll des Lobes. 
Wirklich?

Wissen Sie das nicht? 
Ab und zu erzählen mir Kollegen schon, dass sie nur Gutes hören. 

Und das setzt Sie nicht unter Druck? 
Im Gegenteil. Das ist doch das Schöne! Aber klar, ich hatte zu Beginn die eine oder andere schlaflose Nacht. Mit Linda Mühlemann und ihrem Team hatten wir zum Glück Menschen mit viel Erfahrung um uns herum, die uns in der Startphase etwas Druck nahmen. Schön ist, dass wir bislang kaum Reklamationen bekamen – das wäre bei einem Neustart ja nicht einmal ungewöhnlich. 

Bei der Qualität der Produkte machen Sie keine Kompromisse. Wenns um die Regionalität geht, sehen Sie es hingegen nicht ganz so eng. 
Daraus mache ich keinen Hehl. Selbstverständlich sind wir auf nachhaltige Geschichten bedacht. Aber es ist simpel: Ich entscheide aufgrund der Qualität. Wenn die beste Haselnuss aus dem Piemont kommt, will ich die haben. Zeigt mir einer jedoch eine bessere aus der Schweiz, bevorzuge ich diese. 

Einen Fokus legen Sie auf vegane Gerichte. Immer mittwochs gibts ein veganes Menü. 
Das ist eine Bereicherung, ja. Kochtechnisch, weil wir viel Neues lernen und es Spass macht, aber auch, weil es uns Gäste bringt und wir ein neues Publikum erschliessen können. 

Warum ausgerechnet die Veganer? 
Warum denn eigentlich nicht? Die Veganer, die ich persönlich kenne, sind sehr interessiert an dem, was sie konsumieren, und schätzen genussvolles Essen. Den Ausschlag gab dann ein Pärchen, das eines Abends spontan vor der Tür stand. Das Lokal war voll, wir konnten es aber einrichten, den beiden einen Tisch zu geben. Dann stellte sich heraus, dass sie vegan essen wollten. Wir rotierten ziemlich, beschlossen aber, das Beste daraus zu machen und zu improvisieren. Die Gäste feierten unser Essen total – und da dachten wir uns: Wieso setzen wir nicht darauf ? Mir ist das eh recht: Ich möchte bei den Preisen, die unsere Gäste zahlen, nicht improvisieren müssen, wenns um vegane Gerichte geht, sondern diese mit dem gleichen Ansatz und Ehrgeiz verfolgen. 

Was heisst das? 
Wir versuchen, die vegane Küche auf ein neues Genusslevel zu heben, sodass der Gast nichts vermisst. Da tut sich ein weites Feld auf: Wir entsaften und fermentieren, wir beschäftigen uns mit der Biodiversität ... 

Und Sie erwischten den richtigen Zeitpunkt dafür. 
Es scheint so, ja. Der Start im Mai war dezent, aber schon nach einigen Wochen war das Restaurant am Mittwoch voll. Zuerst schrieb ich die normale Karte in eine vegane Version um; das war aber ein mörderischer Aufwand, weil selbst manche meiner Pürees auf einer Geflügelfondbasis sind. Jedes davon doppelt im Stock zu haben, ist schon krass. Nun bieten wir mittwochs einen eigenständigen veganen Fünfgänger an – zusätzlich zur regulären Karte. Ich will niemandem etwas aufzwingen. Allerdings wählten schon im August 90 Prozent der Gäste am Mittwochabend die vegane Variante. Inzwischen ist der Mittwoch ein sehr beliebter Tag; mit teilweise Reservationen zwei Wochen im Voraus. 

Neben den wechselnden veganen Menüs schreiben Sie auch die reguläre Karte oft um. 
Das ist richtig. Wir veränderten allein im ersten halben Jahr viermal die komplette Karte, dazu einzelne saisonale Gänge. Wir setzten Schwerpunktthemen, kreierten Spezialmenüs für Gastrokollegen und führen eine Klassikerkarte. Das ist viel Arbeit, aber ich bin überzeugt, dass wir nächstes Jahr alle davon profitieren werden. Ich halte nichts davon, jedes Jahr alles über den Haufen zu werfen. 

Ist denn das À-la-carte-Geschäft für Sie ein Muss? Viele Kollegen setzen ausschliesslich auf Menüs. 
Beides hat meiner Meinung nach seine Berechtigung. Klar wäre es für mich toll, nur ein Menü zu kochen. Das wäre sehr unkompliziert, ich könnte spontan auf die Produkte eingehen, die verfügbar sind ... 

Aber? 
Die Gastronomie ist ein hartes Business. Wenn man es sich zu einfach macht, verliert man unter Umständen Gäste. Das À-lacarte- Geschäft ist Teil des Mesa-Konzepts. Der Gast soll die Wahl haben – das finde ich cool.

Der gebürtige Bayer Sebastian Rösch lernte das Kochhandwerk im mit 17 Gault-Millau-Punkten dotierten Laudensacks Parkhotel in Bad Kissingen von der Pike auf, unterstützt von erfahrenen Ausbildnern, die ihn ordentlich unter Druck setzten, aber stets konstruktiv blieben. Schon nach vier Wochen arbeitete der ehrgeizige Schüler allein auf dem Patisserie-Posten. Im Anschluss an den Dienst in der deutschen Bundeswehr wollte er in die Welt hinaus, vielleicht in Südafrika arbeiten oder nach Dubai ziehen. Beides klappte nicht. Rösch kaufte sich stattdessen einen Schweizer Gault-Millau-Führer, schlug diesen bei A wie Ascona auf – und heuerte dort 2009 bei Rolf Fliegauf im Ecco an. Zum Saisonende zog er nach Zürich, arbeitete zwei Jahre bei Tobias Buholzer im St. Meinrad und wechselte schliesslich ins Restaurant Spice im Sorell Aparthotel Rigiblick. Hier hatte gerade Christian Nickel das Zepter übernommen, und als Dennis Puchert 2012 vom Sous- zum Küchenchef befördert wurde, konnte Rösch auf dessen Posten nachrücken. Die folgenden fünf Jahre waren intensiv, die Arbeitstage lang. Im Mai 2016 verabschiedete sich Rösch, um als Alleinkoch im Marmite Tasty seine ersten Schritte ausserhalb der Gourmetgastronomie zu gehen. Die Liebe zur Spitzenküche entpuppte sich als stärker. Im Januar 2017 kehrte Rösch zu seinen beruflichen Wurzeln zurück und übernahm die kulinarische Leitung im Mesa. Hier führt er im Auftrag von Inhaberin Linda Mühlemann und an der Seite von Gastgeber Christian Gujan, den er vom Rigiblick her kennt, erstmals ein eigenes Team.

Restaurant Mesa
Weinbergstrasse 75
8006 Zürich
043 321 75 75
www.mesa-restaurant.ch