19.03.2018 Salz & Pfeffer 2/2018

Genau und genauer

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Ob Trocken- oder Frischfleisch, an der Theke oder am Tisch: Die Engadiner Metzgerei Hatecke fährt ein schweizweit einzigartiges Konzept. Mit Ludwig und David Hatecke steht dahinter ein dynamisches (und ziemlich perfektionistisches) Vater-Sohn-Gespann.
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«So wie ein Koch seine Teller anrichtet, inszeniere ich Fleisch. Ich will seine Schönheit zeigen.»

Die Metzgerei Hatecke ist längst ein fester Wert im Bündnerland. Seit Juli letzten Jahres führen Sie nun auch in Zürich einen Laden. Warum?
David Hatecke (DH): Im Unterengadin ist die Saison sehr kurz, in St. Moritz noch kürzer. Im April, Mai oder Juni ist es da oben ziemlich einseitig, nicht nur zum Arbeiten, sondern auch zum Leben. Da gibts für einen Mittzwanziger wie mich dann ehrlich gesagt bessere Orte ...

Also haben Sie den Schritt ins Unterland für Ihren Sohn gemacht?
Ludwig Hatecke (LH): Ein bisschen vielleicht. Wir arbeiten hier oben ja in so einer Art geschützter Werkstatt.

Wie meinen Sie das?
LH: Im Engadin können wir im Prinzip tun, was wir wollen. Mal von den Einheimischen abgesehen, kommen die Leute während der Saison, egal, wie gut wir unsere Arbeit verrichten. Und ausserhalb der Saison können wir einen Superjob machen – haben aber trotzdem kaum Kundschaft. In Zürich ist das anders: Hier gibts Konkurrenz, sehr, sehr gute Mitbewerber. Hier können wir uns messen und tatsächlich spüren, wie gut unser Angebot ankommt. In Zürich entlassen wir David am Steuer des Schiffs aufs offene Meer, wo es windet und stürmt.

Wie ist das eigentlich, mit dem eigenen Vater so eng zusammenzuarbeiten?
DH: Ich kann mir wirklich nichts Schöneres vorstellen.

Warum?
DH: Weil mein Vater nicht nur ein guter Vater, sondern auch ein guter Chef ist. Ich kann von ihm sehr viel lernen.

Was macht ihn als guten Chef aus?
DH: Er zeigt den Menschen, die für ihn arbeiten, wie viel Freude er selbst am Handwerk hat. Das färbt ab, steckt an. Wenn ich ihm zuschaue, denke ich: Wow, der Metzgerberuf ist wunderschön! Und das ist er – genau wie der Kochberuf.

Sie absolvierten Ihre Lehre in der Küche des Schlosshotels Tarasp. Was gefällt Ihnen am Kochen?
DH: Etwas zu machen, das ich nachher geniessen kann. Auch wenn ich es nicht selber esse: Ich würde es zumindest gern tun. Meinen Bezug zum Essen wollte ich darum auch einbringen, als ich vor fünf Jahren in unserem Laden in St. Moritz einstieg. Ich kam mit Inputs, mit Ideen. Wir fingen an, nicht mehr nur Bündnerfleisch und Salsiz, sondern auch Frischfleisch zu verkaufen.

Der Junior kam – und stellte den Laden auf den Kopf?
DH: Na, so kann man das nun auch wieder nicht sagen. Aber ich wollte schon etwas anbieten, das über die Panini, die es damals im Bistro gab, hinausgeht: frische Sachen, ein schönes Tatar, Carpaccio, Vitello vom Grill. Heute wählen die Kunden ihr Stück Fleisch aus der Theke – und wir bereiten es vor Ort auf dem Grill zu. Die Leute finden das super.

Sie liessen Ihren Sohn von Anfang an gewähren. Wie ist es denn für Sie, ihn im Betrieb zu wissen?
LH: Es ist der grösste Verdienst, den man haben kann. Ich bin jetzt 64, und mein Sohn steht an meiner Seite im Betrieb. Das ist grossartig, weil er den Beruf gern hat, weil er mit so viel Freude dahintersteht, mitmacht, sich einbringt. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Und David macht einen fantastischen Job. Er ist sogar noch ein bisschen heikler als ich.

Das geht?
LH: In der Tat. Ich bin ja auch schon sehr genau, aber David ist noch eine Stufe perfektionistischer. Es muss alles ganz, ganz, ganz gut gemacht sein.

Zum Beispiel?
LH: Wenn ich das Tatar schneide und der Meinung bin, es sei jetzt gut, findet das mein Sohn nicht zwingend. Er sagt dann, die Sauce binde noch nicht richtig, und ich müsse weiterhacken. Das nächste Mal versuch ichs nach zehn Minuten Hacken und denke, diesmal passts bestimmt ... Aber nein: Für David ist es noch nicht fein genug.
DH: Ich bin nicht der Meinung, dass ich der Genauere von uns beiden bin. Wenn, dann habe ich das sowieso von meinem Vater. Er ist der Perfektionist.

Und das Tatar?
DH: Das mach ich halt seit Jahren. Es stimmt schon, dass er das Fleisch nicht so fein hackt wie ich – weil er sagt, man spüre bei einer gröberen Machart das Filet besser. Was unser Tatar aber auszeichnet, ist die Knackigkeit. Und knackig wirds nur, wenn sich die Sauce wirklich mit dem Fleisch verbindet.
LH: Er hat ja recht.

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Sie betonen beide, Sie hätten nie Streit. Aber wer setzt sich in einer solchen Diskussion nun durch?
DH:
Am Ende schon mein Vater. Ich denke dann nach und finde: warum nicht? Er ist 40 Jahre älter, wahrscheinlich weiss er es besser.

Was haben Sie als Vater denn eigentlich von Ihrem Sohn gelernt?
LH: Das ist eine gute Frage, die ich so spontan gar nicht beantworten kann ... Eben: Ich bin erstaunt, mit welcher Präzision er alles macht, das auf jeden Fall. Er wägt alles ab, aufs Gramm genau.

Warum tun Sie das?
DH: Damit unsere Produkte am Ende immer gleich schmecken. Wenn meine Mitarbeiter sich alle ans Rezept halten, ist das gewährleistet.
LH: Ja, das habe ich von ihm schon gelernt, muss ich sagen. Und was David von seiner Mutter hat, ist eine gewisse Selbstsicherheit. Wenn er etwas für gut hält, dann ist es gut – und fertig. Mich bringt man da leichter aus dem Konzept. Ich habe oft das Gefühl, es genüge noch nicht. David zeigt da mehr Haltung.

Apropos Haltung: Sie decken nicht nur die ganze Kette vom Schlachten bis zum Anrichten auf dem Teller ab, sondern mischen sich sogar in die Aufzucht der Tiere ein.
DH: Das ist richtig. Uns beliefern rund 120 Bauern aus der Region mit ihren Tieren, und wir besuchen diese immer mal wieder, um sie uns anzuschauen. Wir sagen auch, wie sie gefüttert werden sollen – weil das einen Einfluss auf die Beschaffenheit das Fleischs hat.
LH: Das wuchs ja alles organisch: Unsere Familie schlachtete immer schon, für die Bauern rundherum, aber auch für die eigene Metzgerei. Das ist heute noch so: Wir verarbeiten rund 80 Prozent von dem, was wir schlachten, für uns selbst und den Rest für die Landwirte. Aus dem Schlachtbetrieb heraus entwickelte sich das Ladengeschäft, die Metzgerei, ganz klassisch, erst in Zernez, dann in Scuol. 1993 folgte mit der Expansion nach St. Moritz das erste angegliederte Bistro. Ein zweites gibts seit Juli in Zürich. Auch hier kommt nur Fleisch auf den Teller, von dem wir sicher wissen, dass es besonders gut ist, weil wir die gesamte Produktionskette abgedeckt haben. Dazu kommt, dass es mir persönlich wichtig ist, zu wissen, wie ein Tier getötet wurde.

Worauf achten Sie da?
LH: Wir schlachten jedes einzeln, und der Bauer muss es von Hand zu uns hereinführen. Da gehts um Respekt. Denn auch das Resultat ist für mich am Ende mehr als ein Stück Fleisch. Wir haben hier das Gefühl fürs grosse Ganze. Und weil wir von Anfang an Einfluss nehmen, können wir unsere Produkte am Ende auch anders präsentieren.

Wie meinen Sie das?
LH: Wir prägen von Grund auf, welches Bild unser Fleisch abgibt. Unser Salsiz zum Beispiel kommt in der für Hatecke typischen Dreieckform daher. Und während herkömmliches Bünderfleisch auf dem Teller liegt wie jedes andere auch, kann man unseres total schön aufstellen. Es sieht am Ende anders aus, weil wir es von Anfang an begleiten.

Diese Designgeschichte ist Ihr Ding. Ging an Ihnen ein Grafiker verloren?
LH: Überhaupt nicht, nein. Ich wuchs in der Metzgerei auf, mit meinen Eltern und Geschwistern, und mit sechs, sieben Metzgern, die zum Teil auch bei uns wohnten. Das kann, wenn man nicht aufpasst, ein recht grobes Umfeld sein. Ich bin aber eher ein feiner, feinfühliger Mensch, und seit ich das Metzgerhandwerk gelernt habe, versuche ich, meine Sicht aufs Fleisch zu zeigen. Es ist für mich sehr wertvoll und sehr ästhetisch. So wie ein Koch seine Teller anrichtet, inszeniere ich Fleisch. Ich will seine Schönheit zeigen. Das beginnt bei unseren Läden, die alle sehr puristisch sind – als Bühne für die Produkte. Die Wände sind weiss, man hält sich gern bei uns auf, die Beratung ist kompetent und wichtig. Es geht um den Wert des Fleischs – und darum, diesen zu steigern. Von Anfang an.

Und mit Blick aufs Ende: Wohin geht die Reise von Ihnen beiden? Übernehmen Sie das Geschäft eines Tages von Ihrem Vater?
DH:
Ich denke schon. Oder? Also mein Ziel wärs eigentlich. Der Rest hängt von ihm ab.
LH: Doch, doch, ich glaube auch. Wir haben uns noch gar nicht so wirklich darüber unterhalten, um ehrlich zu sein. Ich würde mir eine Nachfolgeregelung wie in einem dieser italienischen Familienbetriebe wünschen, in denen das einfach irgendwie vonstattengeht, Hand in Hand. Vielleicht stehe ich irgendwann noch ein bisschen in der Wursterei, helfe da mit, oder mache mich sonst in einer Form nützlich. Einen Masterplan gibts nicht.

Vor vier Jahren erwähnten Sie in einem Doppelinterview, Sie hätten gern einen Laden in Zürich. Den gibt es nun. Vielleicht möchten Sie Ihrem Vater an dieser Stelle ja auch noch etwas sagen?
DH:
Allerdings. Ich würde gern ein Geschäft in Mailand eröffnen. Das wäre wirklich grossartig.
LH: Das will er unbedingt ... ich weiss schon.
DH: Natürlich, die Italiener sind so essfreudig und lieben unsere Produkte. Weisst du, so eine kleine Metzgerei mit Trockenfleisch und Salsiz ... komm, lass uns das machen!

Die Macher
In der Familie Hatecke hat das alpine Fleischhandwerk eine jahrzehntelange Tradition, und die Verbundenheit zum Unterengadin geht gar bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Ludwig Hatecke (64), der den Betrieb seit 1987 in dritter Generation führt, hält beides hoch – ohne Neuland zu scheuen. Unterstützung erhält er von seinem Sohn David Hatecke (25), der seit fünf Jahren im Unternehmen arbeitet. Während sich der Vater als gelernter Metzger hauptsächlich um die Geschäfte am Hauptsitz respektive in der Produktion in Scuol sowie um den Laden in Zernez kümmert, prägt der Junior als gelernter Koch die Filialen in St. Moritz und Zürich, in denen es auch einen bedienten Restaurantteil gibt. Hateckes Abdecken der gesamten Produktionskette – nämlich von der Schlachtung des Tiers übers komplette Verarbeiten bis hin zum Servieren des Fleischs auf dem Teller – ist in der Schweiz in dieser Form einzigartig.

Die Adressen
Hatecke betreibt in der Schweiz an vier Standorten ein Geschäft.
in Scuol: Stradun 197, 081 864 11 75
in St. Moritz: Via Maistra 16, 081 833 12 77
in Zernez: Plaz 86, 071 856 17 18
in Zürich: Usteristrasse 12, 044 542 86 85
im Internet: www.hatecke.ch