10.10.2024 Salz & Pfeffer 5/2024

Gerüttelt, nicht gerührt!

Text: Sara Witmer – Fotos: Benjamin Hohlmann, z. V. g.
Was in der Specialty-Coffee-Szene getestet und erfunden wird, landet selten direkt in einer Kaffeebar. Doch einige der Tüfteleien haben grosses Potenzial – etwa jene des Basler Kaffeeexperten und deutschen Baristameisters Felix Hohlmann.
p1019098.jpg

«Die Partikel bleiben länger frei beweglich und klein.»

Den Kaffee frisch mahlen und weiches Wasser – das sind die minimalen Basics für einen guten Espresso. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass Felix Hohlmann einem solchen Getränk das Attribut «gut» verleihen würde. Denn Hohlmann ist Kaffeeexperte, mehrmaliger Barista- und Röstmeister sowie Mitgründer der Basler Kaffeemacher GmbH. Beruflich dreht sich in seinem Leben alles um den perfekten Kaffee. Taucht man als durchschnittliche Konsumentin nur ansatzweise in die Welt des 34-Jährigen ein, realisiert man, dass auch der perfekte Espresso schlicht das Resultat optimierter physikalischer und chemischer Vorgänge ist. Besonders eindrücklich zeigt sich das, wenn man mit Hohlmann über einen Handgriff spricht, den er an den diesjährigen Barista-Weltmeisterschaften in Südkorea vorgeführt und somit in der Szene zur Diskussion gestellt hat: das kurze Rütteln des Espressos gleich nach der Extraktion.

«Die Arbeit mit Vibration ist schon seit einiger Zeit ein Thema in der Szene», erklärt Hohlmann. «Allerdings kam sie bis jetzt nur immer nach dem Mahlen zum Einsatz.» Konkret habe man versucht, mithilfe einer Vibrationsplatte das Kaffeemehl im Siebträger gleichmässiger zu schichten. «Ein Vorgang, der sich in meinen Versuchen aber eher negativ auf das Endprodukt ausgewirkt hat.» Eine kleine Vibrationsplatte – wie sie in der Zahntechnik üblich ist – hatte Hohlmann deswegen aber schon länger in seinem Repertoire. Und so kam es, dass er eines Nachmittags, beim Trainieren für die Weltmeisterschaft, ohne viel nachzudenken, einen frischen Espresso auf die Vibrationsplatte stellte. Was er danach zu trinken bekam, überraschte sogar den Profi: «Der Espresso schmeckte extrem ausgewogen, er hatte mehr Süsse, war runder, weicher, und die Aromen kamen extrem gut zur Geltung.»

p1016772.jpg

Diverse Blinddegustationen später war Hohlmann überzeugt: Das ungefähr dreisekündige Rütteln des Espressos nach der Extraktion verbessert die Sensorik signifikant. «Nun wollten wir wissen, was wirklich dahintersteckt», erzählt der Kaffeeprofi weiter. Sein Bruder und er kontaktierten das Kompetenzzentrum für Kaffee und analytische Technologien an der ZHAW in Wädenswil. Kurz darauf untersuchten die beiden gemeinsam mit den Forschenden und unter Einsatz von Lichtmikroskopen und Lasermessgeräten, was in einem gerüttelten Espresso auf molekularer Ebene passiert. Und tatsächlich: Der Nachmittag im Labor bestätigte die Hypothese, dass die Vibration einen Einfluss auf die sensorischen Qualitäten eines frisch gebrühten Espressos hat. «Ein frischer Espresso besteht aus verschiedenen Schichten, in denen sich unterschiedliche Partikel – zum Beispiel Öle – frei bewegen», erklärt Hohlmann. «In einem unbehandelten Espresso verklumpen diese Partikel allerdings ziemlich schnell und bilden grössere Strukturen. Das verändert den Geschmack des Kaffees ins Negative. Die Vibration hat den Effekt, dass die Partikel länger frei beweglich und klein bleiben, was auf den Geschmack offenbar einen positiven Einfluss hat.»

Was Hohlmann hier in einfache Worte zu fassen versucht, ist harte physikalische Chemie. Momentan sei das Ganze wohl nur etwas für Kaffeenerds, bestätigt er denn auch. Für Homebaristas oder den Alltagsgebrauch in der Gastronomie sei die Technik noch nicht sonderlich relevant. Aber die Forschung zeige sich sehr interessiert und die Entdeckung habe den Fokus der Szene auf die sogenannte Post-Extraktions-Phase gelenkt. Denn auch dort, so scheint es, gibt es noch jede Menge Potenzial, einen Espresso zur Perfektion zu trimmen.

Post-Extraktions-Phase: Das Beste zum Schluss
Die Spezialitätenkaffeeszene strebt nach Perfektion. Ob es um die Optimierung der Extraktions-Ausbeute oder die Verbesserung sensorischer Eigenschaften geht, Kaffeeprofis wie Felix Hohlmann setzen hohe Qualitätsstandards. Es gibt bereits unzählige Möglichkeiten, diese zu erreichen: vom Rösten übers Mahlen bis hin zum Brühen. Der gemeinsame Nenner aller dieser Verfahren ist es, dass sie sich auf das konzentrieren, was vor und während der Extraktion geschieht.

Seit einiger Zeit ist nun auch die Phase nach der Extraktion in den Fokus der Fachleute gerückt. Schon seit Längerem ist es in der Szene zum Beispiel üblich, einen Espresso zu rühren, bevor man ihn serviert. Das sogenannte Waven oder eben Vibrieren eines Espressos, wie es Hohlmann vorschlägt, setzt diesen Gedanken fort.

Eine weitere Methode, um den Kaffee kurz vor dem Trinken aromatisch auf der Höhe zu halten, ist das Extrahieren des Espressos über eine gekühlte Edelstahlkugel. Und auch vor den Gefässen, in denen ein Kaffee serviert wird, macht der Perfektionsdrang der Szene keinen Halt: Man experimentiert mit unterschiedlichen Formen, Dicken, Materialien und sogar den Farben der Kaffeetassen. So soll zum Beispiel Kaffee, der aus hellrosa Tassen getrunken wird, als besonders ausgewogen und süss wahrgenommen werden.