«Ich kreiere Gerichte, bei denen es eine blosse Nebenwirkung ist, ein Zufall, dass das Fleisch fehlt.»
Sie sind nicht nur Köchin, sondern auch gelernte Patissière. Inwiefern beeinflusst das Ihre Arbeit?
Inbar Zuckerberg: Die Patisserie prägt meine Küche stark. Momentan zum Beispiel beschäftige ich mich damit, die Basis des Desserts bei der Vorspeise einfliessen zu lassen: vielleicht in der Form eines Macarons oder mit einer Tartelette. In der Patisserie gibts ja extrem viele Schichten. Da kommt auf den knusprigen Boden ein Krokant, darauf eine Ganache, dann eine Creme und obendrüber eine Mousse. So versuche ich, auch meine Gerichte in der warmen Küche zu gestalten. Ich mag diese Spielerei.
Wie würden Sie Ihren Kochstil beschreiben?
Classic but with a twist. Ich stelle beispielsweise ein Püree her, schön französisch, nehme Gemüse, je nach Farbe Zwiebel oder Schalotte, eine Rot- oder Weissweinreduktion, mixe das Ganze und schmecke es mit Butter ab. Dann aber kommt noch ein Gewürz rein. Das Spiel mit Gewürzen zieht sich durch meine Küche, und ich beziehe beispielsweise den Kardamom, der mir besonders wichtig ist, aus meinem Heimatdorf in Israel, im Laden, in dem ich schon als Kind einkaufte. Was ich dort bekomme, ist nicht zu vergleichen mit dem Kardamom, den es hier gibt. Es riecht und schmeckt zigmal intensiver. Mit Gewürzen muss man ja vorsichtig sein.
Damit sie nichts übertünchen?
Genau. Gewürze sollen den Geschmack eines Produkts unterstreichen. Wichtig ist mir auch der Bezug zum frischen Lebensmittel. Ich ändere oft das Menü, reagiere auf die Saison, gehe auf den Markt und lasse mich inspirieren von dem, was dort gerade zu haben ist.
In der Reblaube haben Sie dafür eine passende Bühne gefunden.
Auf jeden Fall. Meine Philosophie passt zur Tradition des Hauses. Als ich das Restaurant zum ersten Mal betrat, spürte ich gleich, dass ich richtig bin und Teil dieser Geschichte sein möchte. Dazu gehört alles: das Treppenhaus, das Goethe-Stübli, aber eben auch das Essen, mit Produkten, die hier seit jeher zubereitet werden. Wie die natürliche Entenlebermousse zum Beispiel.
Sie ist eine Erfindung Ihres Vorvorgängers, des legendären Peter Brunner. Das Patent darauf dürfte mittlerweile verfallen sein.
Der Patentschutz gilt tatsächlich nicht mehr, aber wir zelebrieren die Mousse nach wie vor als Spezialität. Sie verlässt – wie auch das Zürcher Geschnetzelte – unsere Karte nie. Ich baue sie in wechselnder Form ins Menü ein und führe damit die Geschichte des Hauses fort, einfach auf meine eigene Art und Weise ... mal in Form eines Macarons, mal in Kombination mit einer Brioche oder einem schön fruchtigen Chutney ...
Wie komponieren Sie Ihre Gerichte?
Ich gehe ja eben gern auf den Markt, pflege einen engen Kontakt zu den Produzenten und zu meinen Lieferanten, arbeite mit dem, was sie gerade anbieten, was ich sehe und erlebe. Mit jeder Karte erzähle ich eine Geschichte. Die Gerichte sind meine Erinnerungen, die ich in Form von Geschmackskomponenten auf dem Teller kombiniere.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ganz einfach: Wenn ich nach Dijon fahre – was ich gern tue –, bringe ich einen schönen Cassis-Senf mit und arbeite den danach in irgendeiner Form ins Menü ein, verbunden mit der Erinnerung an die Reise. Bei mir spielt sich sehr viel im Kopf ab, ich mache mir häufig Notizen. Und so oft es geht, tauche ich nachmittags ab, gehe eine Stunde schwimmen. Unter Wasser ordnen sich meine Gedanken. Danach kann ich meine Ideen so aufschreiben, dass sie auch ein anderer versteht.
Welche Rolle spielt Ihr Team in diesem kreativen Prozess?
Ich lebe eine open door mentality. In meinem Büro, das sich in der Männergarderobe befindet, steht eine grosse Magnettafel. Hier sind alle Sachen aufgelistet, die gerade so anstehen, und immer samstags, wenn wir erst abends geöffnet haben, gibts ein Teammeeting. Wir besprechen alle Anlässe, das Menü, die Ideen. Meine Leute bekommen meine Notizen, mir ist es wichtig zu hören, was sie dazu meinen. Jeder kommt von anderswo her, bringt diverse Einflüsse mit. Ich mache das hier ja zum Glück nicht allein, sondern habe vier talentierte Mitarbeiter, die ich selber ausgewählt habe.
Worauf haben Sie dabei geachtet?
Auf die Einstellung. Über dem Eingang zur Küche hängt ein Schild, auf dem steht: Hier wird mit Liebe gekocht. Das ist wirklich so. Die Leute, die hier arbeiten, wollen sich mit dem, was sie tun, abheben, sich im Team entwickeln, und sind bereit, auch out of the box zu denken. Und sie glauben, wie ich, an die Philosophie des Hauses.
Inwiefern?
Zum Beispiel hat vegetarisches Essen in der Reblaube eine lange Tradition. Peter Brunner bot – ohne grosses Aufheben – schon vor vielen Jahren ein komplettes, eigenständiges, vollwertiges Vegimenü an. Das möchte ich auch tun: Ich kreiere Gerichte, bei denen es eine blosse Nebenwirkung ist, ein Zufall, dass das Fleisch fehlt. Auf der anderen Seite verarbeiten wir hier ganze Tiere. Von der Ente nehmen wir nicht bloss die Leber für die Mousse, sondern machen aus der Karkasse eine wunderschöne Consommé, die Brust servieren wir, wie sie ist, und die Schenkel schmoren wir für eine fantastische Tortellonifüllung.