29.08.2022 Salz & Pfeffer 4/2022

Geschmiert, nicht gestrichen

Text: Monsieur Tabasco
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Korrektur angebracht, Welt gerettet, ich kann ins Bett zu Frau und Handy.

Eines hübschen Tages suche ich auf Wikipedia den Begriff Schmierkäse. Das sind diese im Reifkeller wunderbar aromatisch geschmierten Käse wie Limburger, Münster, Chaumes, Reblochon oder Taleggio, aber wem sag ich das? Und was lese ich dazu bei Wikipedia? «Dialektbezeichnung für Schmelzkäse sowie Synonym beziehungsweise Fantasiebezeichnung für Kochkäse.»

Was für ein Schmarren. Aber gut, der Mensch macht Fehler. Am Abend setze ich mich in die Schreibstube, anstatt dass ich mich zu meiner lieben Frau ins Bett lege, eröffne einen Account bei Wikipedia und korrigiere den Eintrag wie folgt: «Schmierkäse ist ein Sammelbegriff für Käsesorten, deren Oberflächen während der Reifung mit einer Gelb- oder Rotschmiere behandelt werden, um die Käseflora zu verändern und eine bestimmte Geschmacksnote zu erzielen. Bei den Appenzeller Käsen wird die Schmiere auch Sulz genannt. Schmierkäse ist zudem eine neuere umgangssprachliche Bezeichnung für Schmelzkäse, welche sich aber nicht auf den Herstellungsprozess bezieht, sondern auf die Streichfähigkeit eines Käses.» Als Beleg führe ich «Das grosse Buch vom Käse» an, erschienen bei Teubner, München, 2003, ein Standardwerk.

Korrektur angebracht, Welt gerettet, ich kann ins Bett zu Frau und Handy. Ein paar Tage später sehe ich schnell auf Wikipedia nach, und was sieht mein Glasauge diesmal? Ein Wiki-Sichter hat meine Korrektur rausgeschmissen, weil die Begriffe Schmelzkäse und Kochkäse «im verlinkten Artikel nicht erwähnt werden». Ja, logisch, erwähnt Teubner sie nicht. Weil es dort ja eben gerade nicht um Fantasiebezeichnungen geht.

Nein, eine Onlinediskussion mag ich deswegen nicht vom Stapel lassen. Stattdessen könnte ich den Begriff aber auf die Wunschliste von Wiktionary setzen, dem Wiki-Wörterbuch. Vielleicht greift dann irgendwann ein käseaffiner Wiktionaryaner das Thema auf. Doch auch daraus wird nichts: «Bitte nur belegbare Begriffe. Im Zweifel einfach in einer Suchmaschine oder auch bei Google Books nach dem Begriff suchen. Sollten es Treffer nur im niedrigen zweistelligen Bereich oder sogar noch darunter geben, dann im Zweifel bitte nicht eintragen.»

Kriterium für einen Eintrag bei Wiktionary ist die Anzahl Treffer bei Google? Hm, das nenn ich mal Wissenschaft. Ich google und googlebooke also Schmierkäse, ich werde ja nicht der Einzige sein auf diesem Planeten, der noch weiss, was Schmierkäse sind, und was finde ich? Millionen Links zu Schmelz- und Streichkäse und Millionen Bilder von Brotscheiben mit Kiri, Cantadou et alia. Das Volch hat den Schmierkäse tatsächlich zu Streichkäse umdefiniert. Hammerhart kommts dann im Duden: «Schmierkäse: Streichkäse.» Der Duden! Diese Populisten!

Auch an diesem Abend lasse ich meine Frau links liegen und schreibe dafür den Verantwortlichen beim Duden. Und die antworten: « ... sind wir Ihrem Hin- weis sorgfältig nachgegangen und zum Ergebnis gekommen, dass das Wort in der von Ihnen vermissten Bedeutung nur sehr selten und lediglich im Schweizerdeutschen verwendet wird. Die Beleglage erscheint uns für eine Ergänzung dieser Bedeutung in einem allgemeinsprachli- chen Wörterbuch wie dem Duden online nicht ausreichend.»

«Nur sehr selten und nur im Schweizerdeutschen» also, Teubner München hin oder her, na toll. 1986 schrieb Andreas Gisler an der ETH Zürich seine Doktorarbeit über die «Klimatisierung von Reifungs- und Handelslagern für Schmierkäse», 2005 Beate Heidrun Jäger die ihre an der Uni Kiel über «Einsatz und Charakterisierung definierter Oberflächenstarterkulturen für verschiedene Rotschmiere- käse». Da ging es dann wohl um Streichkäse und Fantasiebezeichnungen, Grundgütiger, aus ists mit meiner Zuneigung zu Duden und Wiki.

Ich weiss gar nicht, warum ich erst zu guter Letzt auf die Idee komme, im englischen Wikipedia nachzuschauen. Und was sieht mein Glasauge diesmal? Die Schmierkäse heissen «washed-rind cheeses», also Käse mit gewaschener Rinde, und sie «werden in regelmässigen Abständen in einer Lösung aus Salzwasser oder Schimmelpilzmitteln wie Bier, Wein, Branntwein und Gewürzen gereift, wodurch ihre Oberfläche für eine Klasse von Bakterien (Brevibacterium linens, die rötlich-orangenen Schmierbakterien) empfänglich wird, die ihnen einen stechenden Geruch und einen unverwechselbaren Geschmack verleihen und eine feste, geschmackvolle Rinde bilden ... »

Also. Geht doch. Aber nur im englischen Wiki, wohl weil es fürs Brotschmieren und Käseschmieren unterschiedliche Begriffe gibt und also nicht der eine vom anderen überlagert wird. Däääm. Nächste Woche gibts bei uns Gschwellti, ohne Schmelz-, aber mit Schmierkäsen, und ohne Handy.