15.11.2017 Salz & Pfeffer 8/2017

Grenzenlos

Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Nicolai Wiedmer weiss, was er will, und das schon lange. In Grenzach bei Basel strebt der Zögling von Tanja Grandits nach Höherem.
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«Es ist das Ziel, kochtechnisch einen eigenen Weg zu finden. Aber das braucht Zeit.»

Sie sind in der Schweizer Ausgabe des Gault & Millau erwähnt. Als in Deutschland arbeitender Koch haben Sie darin eigentlich gar nichts zu suchen.
Nicolai Wiedmer:
Dass unser Eckert im Testbericht von Tanja Grandits namentlich erwähnt wird, hat mich auch überrascht.

Ihr Restaurant wird auch schon mal als «kleines Stucki» bezeichnet. Nervt Sie das?
Als wir das Eckert vor drei Jahren neu eröffneten, hörte ich das noch öfter. Die Leute wussten halt, dass ich im Stucki in die Lehre gegangen war. Und klar habe ich mir dort viel abgeschaut. Ich will nichts kopieren, aber die Einflüsse sind da, unbestritten. Ich kann nicht so lange dort arbeiten, viel lernen und danach alles wieder vergessen. Natürlich ist es das Ziel, kochtechnisch einen eigenen Weg zu finden, aber das braucht Zeit.

Wie war es, die Lehre auf einem so hohen Niveau zu absolvieren?
Ich fands genial. Aber ich brachte auch viele Vorkenntnisse mit. Ich wusste immer, was ich einmal machen will. Schon in der Schulzeit war mir das Kochen wichtiger als die Schule selbst. Ich wuchs in einem Hotel auf und habe früh in der Küche geholfen, abends, solange es die Eltern erlaubten, oder an den Wochenenden und während der Ferien. Mit 16 Jahren schrieb und organisierte ich zum ersten Mal das Silvestermenü für 80 Personen in der Krone. Im gleichen Jahr absolvierte ich dann das erste Praktikum im Restaurant Stucki.

Sie verschwenden keine Zeit, auch nicht für Wanderjahre.
Es hätte mich schon interessiert, noch in andere Restaurants reinzuschauen. Das Eckert war dann einfach eine Chance, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Ich fand die Herausforderung hier schlicht spannender als Wanderjahre. Zudem durfte ich Tanja Grandits jeweils an die Gourmetfestivals in St. Moritz, in Italien, Österreich, Spanien und an viele weitere Orte begleiten. Auch wenn so ein Trip nur ein paar Tage dauert, sieht man doch, wie man es macht oder eben nicht.

Nach der Lehre wurden Sie direkt Küchenchef des Restaurants Eckert. Wie kamen Sie dazu?
Es ging alles sehr schnell. Der Betrieb stand zum Verkauf. Mein Vater meinte, dass er das Hotel kaufe, wenn ich die Küche übernehme. Ich fand das eine geile Chance. Das Eckert ist eine Institution in Grenzach und in der ganzen Region bekannt. Hier feierte man früher Taufe, Hochzeit, Geburtstage und Beerdigungen. Ich sagte meinem Vater zu, unter der Bedingung, dass ich die Küche komplett über den Haufen werfen kann.

Also genau das, was man auf keinem Fall tun sollte, wenn man eine gastronomische Institution übernimmt.
Es kam anfangs auch gar nicht gut an im Dorf. Wir verloren einige alte Stammgäste, konnten mittlerweile aber auch viele zurückerobern und noch mehr neue gewinnen. Einige vermissen zwar immer noch das Cordon bleu von früher, aber die Freude darüber, was aus dem Haus geworden ist, überwiegt.

Wieso gingen Sie dieses Risiko überhaupt ein?
Ich kann nur gut kochen, wenn ich Spass habe. Und es macht mir keine Freude, bloss Schnitzel zu klopfen. Ich kenne die badische regionale Küche gut. Aber im Eckert wollte ich das umsetzen, was ich in der Lehre gelernt hatte. Mein Vater meinte zwar, wir müssen an den Klassikern festhalten, ich wollte hingegen sofort umstellen, nicht Schritt für Schritt.

Das Verhältnis zwischen Küchenchef und Hoteldirektor ist oft heikel, in Ihrem Fall ist der Direktor auch noch Ihr Vater.
Und das macht die Sache nicht einfacher. Wir sind beide Dickköpfe, wissen, was wir wollen. Im Restaurant habe ich mich durchgesetzt, das ist mein Baby, da bin ich nicht kompromissbereit. Grundsätzlich arbeiten wir aber im Team, wir sehen uns als Gruppe, die noch was leisten, etwas aufbauen will. Das Hotel ist eher seins, das Restaurant meins.

Beschreiben Sie doch bitte mal Ihre Küche.
Das kann ich gar nicht. Ich suche meinen Stil ja noch. Es ist eine moderne Fusion-Küche, die in London vielleicht ein alter Hut, aber hierzulande noch relativ neu ist. Ich liebe asiatische Aromen, auch etwas, das ich aus dem Stucki mitgenommen habe. Der Pulpo mit Schalotte, Meerrettich und Zwetschge ist ein gutes Beispiel dafür. Die Komposition tönt vielleicht komisch, passt aber super zusammen, vor allem mit der Miso. Ein Gericht muss für mich frisch und knackig sein, mit verschiedenen Konsistenzen, auch mal mit etwas Kaltem auf einem warmen Gericht oder etwas Schärfe zum Kitzeln.

Ihre Brigade besteht aus zehn Köchen und zwei Spülern. In der Schweiz muss man richtig Umsatz bolzen, damit so was rentiert.
Das muss man in Deutschland auch. Aber an den Wochenenden machen wir mittlerweile bis zu 90 À-la-carte-Essen. Da geht richtig was raus.

Trotzdem, auf der deutschen Seite zu arbeiten, bringt Ihnen als Küchenchef doch Vorteile?
Es ist Fluch und Segen zugleich. Ein Segen, weil wir für Schweizer Verhältnisse relativ günstig sind und das Restaurant keine fünf Autominuten von der Grenze zu Basel entfernt liegt. Dafür ist es sehr schwierig, Mitarbeiter zu finden. Die ersten Jahre hatten wir arg zu kämpfen. Erst als wir letzten Herbst 15 Gault-Millau-Punkte bekamen, änderte sich die Situation schlagartig.

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Pulpo, gegrillte Schalotten, Zwetschge und Miso
Pulpo, gegrillte Schalotten, Zwetschge und Miso
Short Rib, Topinambur, Haselnuss und Quittenchutney
Short Rib, Topinambur, Haselnuss und Quittenchutney
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Nicolai Wiedmer und Commis de Cuisine Kenan Jakob
Nicolai Wiedmer und Commis de Cuisine Kenan Jakob
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Zanderfilet, Blumenkohl, Petersilie und Salzzitrone
Zanderfilet, Blumenkohl, Petersilie und Salzzitrone
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Im November kommen in Deutschland die neuen Guide-Wertungen raus. Was erhoffen Sie sich?
Ein Michelin-Stern wäre ein Traum, aber dafür ist es vielleicht noch zu früh. Auch über 16 Punkte würde ich mich freuen, ich bin aber auch mit 15 zufrieden. Man muss schon sehen, wir haben im Eckert eigentlich drei Küchenangebote: Gourmet, Bistro und Hotel. Das Niveau der Küchenleistung überall und ständig konstant zu halten, ist eine Herausforderung. Ich finde auch, dass die Karte immer noch viel zu gross ist, die wird noch kleiner werden. Aber momentan bin ich vorsichtig, wir haben bereits so viel umgestellt.

Die Hälfte Ihrer Gäste sind Schweizer, helvetische Weine kommen bei Ihnen aber keine auf den Tisch.
Wir fokussieren uns auf vier Länder: Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich. Schweizer Wein wird bei uns praktisch nie nachgefragt. Entweder wünschen die Gäste etwas Regionales aus Baden oder dann Weine von weiter weg.

Wie entsteht Ihr Menü?
Ich brauche dafür einen freien Kopf und inspirierende Orte. Ich kann nicht gestresst ins Büro rennen und schnell was niederkritzeln. Vorher muss ich ein paar Gänge runterschalten. Ordnung ist wichtig. Vielleicht schaue ich mir einen schönen Film an oder besuche das Vitra-Museum. Ich liebe Designklassiker. Wenn man sich in ein so kreatives Umfeld begibt, kommen die Ideen von alleine.

Wie sind Sie als Chef?
Sehr nett, wir haben auch eine wirklich tolle Stimmung in der Küche. Klar, ich sage, was ich will, und wenn ich was sage, möchte ich, dass es so läuft. Grundsätzlich bin ich ein ruhiger Chef, wenn alle an einem Strang ziehen. Natürlich, wenn wir am Abend 80 Gäste im Restaurant haben, kann ich nicht mehr flüstern. Das ist aber nicht beleidigend, in diesen Momenten braucht es einfach eine klare Ansage. Ich gebe auch gerne vieles ab an meinen Souschef Andreas «Öpfel» Berger oder an Junior-Souschef Marco Wagner.

Ihre Brigade ist blutjung.
Stimmt, im Schnitt sind wir 23 Jahre alt, der Älteste ist 26. Am Anfang waren wir noch nervös, wenn wir wussten, dass 80 Gäste kommen. Mittlerweile ist das Restaurant an den Abenden oft voll, und wir sind relativ cool. Das ist toll, motiviert und schweisst zusammen.

Mit dem Kauf und dem Ausbau des Eckerts hat Ihre Familie kräftig investiert.
Allerdings, wie viel, sage ich Ihnen aber nicht. Der Umbau plus die Inneneinrichtung mit den vielen Massanfertigungen und Designmöbeln haben aber schon was gekostet.

Sie haben das Eckert zusammen mit der Krone in Inzlingen und dem Bed-and-Breakfast Base 1 in Lörrach zur Wio-Gruppe geformt. Was haben Sie eigentlich vor?
Alles begann mit meinen Eltern vor 21 Jahren in der Krone. Sie hatten Erfolg, und da ist es normal, dass man sich fragt, was man noch leisten könnte. Wir haben immer wieder Anfragen von Gastronomen, die zum Beispiel aufhören wollen und eine Nachfolge suchen. So entstand auch unser nächstes Projekt: Kommendes Jahr im November werden wir in Lörrach nochmals ein Restaurant eröffnen.

Unter Ihrer Leitung?
Ich fungiere, gemeinsam mit drei Partnern, als Geschäftsführer, aber für die operative Leitung stellen wir einen Küchenchef ein.

Und was soll dort gekocht werden?
Wir planen ein kleines Eckert, mit einer tollen, aber günstigen und etwas einfacheren Küche. Nichts Steifes, einfach ein Ort, an dem Jung und Alt Lust haben, eine schöne Zeit zu verbringen.

Nicolai Peter Wiedmer (25) wusste immer, was er einmal machen würde. Bereits in der Schulzeit kochte er im Hotel Krone der Eltern im deutschen Inzlingen, wann immer sich ihm die Gelegenheit dazu bot; abends, an den Wochenenden oder während der Ferien. Nach dem Abitur absolvierte er nach einigen Praktika im Basler Restaurant Stucki von Zwei-Sterne-Köchin Tanja Grandits die Kochlehre. Vor drei Jahren kauften er und sein Vater das 1930 erbaute Hotel Eckert in Grenzach. Der Betrieb wurde aufwendig renoviert und um ein Gebäude erweitert. Wiedmer verantwortet die Küche, derweil sich sein Vater um die Belange des Hotels kümmert. Letztes Jahr zeichnete Gault & Millau Deutschland Wiedmers Küche mit 15 Punkten aus. Die neuen Wertungen werden Mitte November 2017 erwartet.

Hotel Eckert
Basler Strasse 20, DE-79639 Grenzach-Wyhlen
+49 (0)762491720
www.hotel-eckert.de