«Der Anbau für die menschliche Ernährung steckt aber hierzulande noch – respektive wieder – in den Kinderschuhen.»
Lassen Sie uns zum Start auf den Moment zurückblicken, in dem Sie Hülsenfrüchte für sich entdeckten.
Lena Rutishauser: Die Geschichte ist recht unspektakulär. Der Prozess hin zur pflanzlichen Ernährung war ein schleichender; ich wuchs – ohne ideologischen Hintergrund – weitgehend fleischlos auf, Milchprodukte mochte ich eh nicht besonders, und irgendwann liess ich auch die Eier weg. Das war problematisch, denn plötzlich hatte ich Hunger. Ständig. Ich erinnere mich, wie ich als Doktorandin in der Mensa grosse Portionen Spaghetti mit Tomatensauce ass, nach kurzer Zeit aber wieder hungrig war, weil mir eben die Proteine fehlten. So kam ich zum Bohnen-Brownie, der den Anfang machte.
Erzählen Sie!
Ich hatte riegelweise davon als sättigendes Dessert für mich dabei, wenn es unterwegs mal wieder keine pflanzlichen Proteine gab. Für etwas Abwechslung begann ich, diverse Kuchen, Kekse und Snacks aus Hülsenfrüchten zu backen. Und so war zufällig mein erstes Projekt geboren: Linsenlena. Für mich stand dabei immer die Frage im Zentrum: Wie kann ich möglichst viele Hülsenfrüchte in meinen Alltag integrieren, ohne die ganze Zeit nur Eintopf oder Curry zu essen?
Und wie lautet die Antwort darauf?
Wenn man überall ein bisschen Hülsenfrüchte reingibt, ist das am Ende eine ordentliche Menge – und man hat nicht mehr ständig Hunger.
Inzwischen haben Sie sich komplett auf das Thema spezialisiert und gehören unter anderem zum Gründungsteam des Zürcher Start-ups Fabas.
Wir sind drei Co-Gründerinnen, wobei die Agronomin Anik Thaler hinter der Idee steckt. Wir entwickeln Produkte aus Schweizer Hülsenfrüchten, die wir gemeinsam mit hiesigen Landwirten anbauen. Der kulinarische Aspekt stand anfangs jedoch nicht im Zentrum, sondern die Überlegung, dass wir zwar über Ernährungssicherheit reden, aber in der Schweiz kaum jemand Hülsenfrüchte für den menschlichen Verzehr produziert.
Sondern?
Was Schweizer Landwirtinnen an beispielsweise Favabohnen oder Gelberbsen kultivieren, geht fast ausschliesslich in die Futtermittelindustrie. Sprich, unser aktueller Selbstversorgungsgrad mit Hülsenfrüchten liegt bei unter fünf Prozent. Das ist lächerlich tief, zumal einige Hülsenfrüchte hier prima gedeihen. Der Anbau für die menschliche Ernährung steckt aber hierzulande noch – respektive wieder – in den Kinderschuhen. Verlässliche Erhebungen zu den in der Schweiz produzierten Mengen fehlen leider, aber wir schätzen, dass 2022 rund 150 Tonnen Hülsenfrüchte für den menschlichen Verzehr kultiviert wurden. Davon sind aber bereits 30 Tonnen buchstäblich auf unserem Mist gewachsen. Zum Vergleich: Die Schweizer Landwirtschaft produziert jährlich rund 450 000 Tonnen Weizen für die menschliche Ernährung – und die gleiche Menge für den Futterkanal.
Derzeit baut rund ein Dutzend Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz Hülsenfrüchte für Fabas an. Es könnten mehr sein, sagen Sie.
Richtig. Wir setzen leider noch nicht genug ab, um all die Landwirtinnen zu berücksichtigen, die für uns Hülsenfrüchte produzieren möchten. Schweizer Hülsenfrüchten fehlt derzeit leider die Lobby im Parlament. Das ist schade, denn viele motivierte junge Landwirte würden gern für die menschliche Ernährung anbauen.
Was muss sich also ändern?
Es braucht ein paar grosse politische Entscheide. Schweizer Fleisch, Milch oder Kartoffeln werden mit allerlei Instrumenten wie Grenzschutz oder Kontingenten staatlich gefördert. In Bezug auf Hülsenfrüchte sieht die Situation ganz anders aus: Erst seit Anfang Jahr gibt es überhaupt Einzelkulturbeiträge, im Volksmund Subventionen genannt, für den Anbau zum menschlichen Verzehr. Bis 2023 war es so, dass man nur für Hülsenfrüchte als Futtermittel Subventionen bekam. Das ist doch tragisch! Jetzt gibt es für Hülsenfrüchte immerhin 1000 Franken pro Hektar. Zum Vergleich: Für Zuckerrüben erhält man rund das Doppelte. Schweizer Hülsenfrüchte im Laden für einen halbwegs kompetitiven Preis anzubieten, ist also kaum möglich. Dabei gäbe es gute Gründe, hierzulande mehr Hülsenfrüchte zu kultivieren.
Die da wären?
Sie binden Stickstoff im Boden. Dadurch wird weniger Dünger benötigt. Die Landwirte tun unseren Böden also etwas Gutes, wenn sie Hülsenfrüchte in der Fruchtfolge regelmässig einplanen. Ausserdem fördern diese erwiesenermassen die Biodiversität. Klee hat die gleichen Effekte, wir können ihn aber ausschliesslich für Tierfutter oder fürs Mulchen verwenden. Der Nährwert für den Boden mag also gleich sein, nicht aber jener für den Menschen.
Womit wir wieder beim Thema Sättigung angekommen wären.
Hülsenfrüchte enthalten im Vergleich zu anderen Pflanzen viele Proteine und Ballaststoffe. Wir brauchen also verhältnismässig wenig Fläche, um viele Menschen zu ernähren. Und wenig Wasser: Hülsenfrüchte sind sehr genügsam, was auch der Grund ist, warum sie in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent oder in Südamerika, zu den Grundnahrungsmitteln gehören. So wie früher in der Schweiz: Hier nahm der Konsum seit dem Zweiten Weltkrieg aber massiv ab.
Wie lässt sich das erklären?
Soweit ich weiss, hängt das mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zusammen. Wer es sich leisten konnte, bevorzugte Fleisch, Milch und Käse. So verschwanden die Hülsenfrüchte nach und nach aus dem Alltag – und fristen seither ein Dasein als sogenanntes Arme-Leute-Essen.