16.11.2023 Salz & Pfeffer 6/2023

Gut gegen Hunger

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Linsen, Erbsen, Bohnen: Lena Rutishauser kennt nicht nur diverse Sorten, sondern auch all die positiven Eigenschaften von Hülsenfrüchten aus dem Effeff. Und sie weiss, warum es diese in der Schweiz oft schwer haben.
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«Der Anbau für die menschliche Ernährung steckt aber hierzulande noch – respektive wieder – in den Kinderschuhen.»

Lassen Sie uns zum Start auf den Moment zurückblicken, in dem Sie Hülsenfrüchte für sich entdeckten. 
Lena Rutishauser:
Die Geschichte ist recht unspektakulär. Der Prozess hin zur pflanzlichen Ernährung war ein schleichender; ich wuchs – ohne ideologischen Hintergrund – weitgehend fleischlos auf, Milchprodukte mochte ich eh nicht besonders, und irgendwann liess ich auch die Eier weg. Das war problematisch, denn plötzlich hatte ich Hunger. Ständig. Ich erinnere mich, wie ich als Doktorandin in der Mensa grosse Portionen Spaghetti mit Tomatensauce ass, nach kurzer Zeit aber wieder hungrig war, weil mir eben die Proteine fehlten. So kam ich zum Bohnen-Brownie, der den Anfang machte. 

Erzählen Sie!
Ich hatte riegelweise davon als sättigendes Dessert für mich dabei, wenn es unterwegs mal wieder keine pflanzlichen Proteine gab. Für etwas Abwechslung begann ich, diverse Kuchen, Kekse und Snacks aus Hülsenfrüchten zu backen. Und so war zufällig mein erstes Projekt geboren: Linsenlena. Für mich stand dabei immer die Frage im Zentrum: Wie kann ich möglichst viele Hülsenfrüchte in meinen Alltag integrieren, ohne die ganze Zeit nur Eintopf oder Curry zu essen? 

Und wie lautet die Antwort darauf?
Wenn man überall ein bisschen Hülsenfrüchte reingibt, ist das am Ende eine ordentliche Menge – und man hat nicht mehr ständig Hunger.

Inzwischen haben Sie sich komplett auf das Thema spezialisiert und gehören unter anderem zum Gründungsteam des Zürcher Start-ups Fabas.
Wir sind drei Co-Gründerinnen, wobei die Agronomin Anik Thaler hinter der Idee steckt. Wir entwickeln Produkte aus Schweizer Hülsenfrüchten, die wir gemeinsam mit hiesigen Landwirten anbauen. Der kulinarische Aspekt stand anfangs jedoch nicht im Zentrum, sondern die Überlegung, dass wir zwar über Ernährungssicherheit reden, aber in der Schweiz kaum jemand Hülsenfrüchte für den menschlichen Verzehr produziert.

Sondern?
Was Schweizer Landwirtinnen an beispielsweise Favabohnen oder Gelberbsen kultivieren, geht fast ausschliesslich in die Futtermittelindustrie. Sprich, unser aktueller Selbstversorgungsgrad mit Hülsenfrüchten liegt bei unter fünf Prozent. Das ist lächerlich tief, zumal einige Hülsenfrüchte hier prima gedeihen. Der Anbau für die menschliche Ernährung steckt aber hierzulande noch – respektive wieder – in den Kinderschuhen. Verlässliche Erhebungen zu den in der Schweiz produzierten Mengen fehlen leider, aber wir schätzen, dass 2022 rund 150 Tonnen Hülsenfrüchte für den menschlichen Verzehr kultiviert wurden. Davon sind aber bereits 30 Tonnen buchstäblich auf unserem Mist gewachsen. Zum Vergleich: Die Schweizer Landwirtschaft produziert jährlich rund 450 000 Tonnen Weizen für die menschliche Ernährung – und die gleiche Menge für den Futterkanal.

Derzeit baut rund ein Dutzend Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz Hülsenfrüchte für Fabas an. Es könnten mehr sein, sagen Sie.
Richtig. Wir setzen leider noch nicht genug ab, um all die Landwirtinnen zu berücksichtigen, die für uns Hülsenfrüchte produzieren möchten. Schweizer Hülsenfrüchten fehlt derzeit leider die Lobby im Parlament. Das ist schade, denn viele motivierte junge Landwirte würden gern für die menschliche Ernährung anbauen.

Was muss sich also ändern?
Es braucht ein paar grosse politische Entscheide. Schweizer Fleisch, Milch oder Kartoffeln werden mit allerlei Instrumenten wie Grenzschutz oder Kontingenten staatlich gefördert. In Bezug auf Hülsenfrüchte sieht die Situation ganz anders aus: Erst seit Anfang Jahr gibt es überhaupt Einzelkulturbeiträge, im Volksmund Subventionen genannt, für den Anbau zum menschlichen Verzehr. Bis 2023 war es so, dass man nur für Hülsenfrüchte als Futtermittel Subventionen bekam. Das ist doch tragisch! Jetzt gibt es für Hülsenfrüchte immerhin 1000 Franken pro Hektar. Zum Vergleich: Für Zuckerrüben erhält man rund das Doppelte. Schweizer Hülsenfrüchte im Laden für einen halbwegs kompetitiven Preis anzubieten, ist also kaum möglich. Dabei gäbe es gute Gründe, hierzulande mehr Hülsenfrüchte zu kultivieren.

Die da wären?
Sie binden Stickstoff im Boden. Dadurch wird weniger Dünger benötigt. Die Landwirte tun unseren Böden also etwas Gutes, wenn sie Hülsenfrüchte in der Fruchtfolge regelmässig einplanen. Ausserdem fördern diese erwiesenermassen die Biodiversität. Klee hat die gleichen Effekte, wir können ihn aber ausschliesslich für Tierfutter oder fürs Mulchen verwenden. Der Nährwert für den Boden mag also gleich sein, nicht aber jener für den Menschen.

Womit wir wieder beim Thema Sättigung angekommen wären.
Hülsenfrüchte enthalten im Vergleich zu anderen Pflanzen viele Proteine und Ballaststoffe. Wir brauchen also verhältnismässig wenig Fläche, um viele Menschen zu ernähren. Und wenig Wasser: Hülsenfrüchte sind sehr genügsam, was auch der Grund ist, warum sie in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel auf dem afrikanischen Kontinent oder in Südamerika, zu den Grundnahrungsmitteln gehören. So wie früher in der Schweiz: Hier nahm der Konsum seit dem Zweiten Weltkrieg aber massiv ab.

Wie lässt sich das erklären?
Soweit ich weiss, hängt das mit dem wirtschaftlichen Aufschwung zusammen. Wer es sich leisten konnte, bevorzugte Fleisch, Milch und Käse. So verschwanden die Hülsenfrüchte nach und nach aus dem Alltag – und fristen seither ein Dasein als sogenanntes Arme-Leute-Essen. 

 

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Inwiefern haben Erbsen, Bohnen und Linsen heute einen schlechten Ruf?
Sie haben ein ähnliches Problem wie Gerste, Hirse oder Buchweizen: Wenn man sie im Restaurant isst, schmecken sie, aber daheim sind sie nicht Bestandteil der alltäglichen Küche. Bei Hülsenfrüchten kommt erschwerend hinzu, dass man sie entweder in der Dose – die ebenfalls ein Imageproblem hat – kaufen oder einfach mal zwölf Stunden einlegen und dann eine Stunde kochen muss. Das ist alles andere als convenient. 

Gleichzeitig dürfte die vegane Bewegung Hülsenfrüchten Aufwind verleihen.
Der Trend hin zur pflanzlichen Ernährung hilft den Hülsenfrüchten in der Schweiz, wieder aus der Versenkung aufzutauchen, ja. Ich halte es aber für zu kurz gegriffen, das Thema auf den Veganismus zu reduzieren. Die Mehrheit der Leute in meinen Kursen sind Flexitarier auf der Suche nach Ideen, wie man Hülsenfrüchte jenseits von Curry und Eintopf nutzen kann. Darüber sollte auch die Gastronomie nachdenken: Es braucht mehr attraktive Gerichte mit Hülsenfrüchten auf der Speisekarte – und zwar nicht für die wenigen Veganer, sondern für die vielen Flexitarierinnen. 

Die Branche kann also profitieren?
Davon bin ich überzeugt. Hülsenfrüchte sind vergleichsweise günstig, haben als getrocknetes Produkt eine lange Haltbarkeit und sind extrem vielseitig einsetzbar. Man kann damit Vor-, Haupt- und Nachspeisen zubereiten, von sämig bis crunchy, von Kuchen bis Cracker. Es gibt so viele verschiedene Zubereitungsarten.

Diese Vielfalt kann auch überfordern. Was empfehlen Sie einer Köchin konkret, die sich mit dem Thema bislang kaum auskennt?
Zuerst würde ich erfragen, welches Ziel sie mit den Hülsenfrüchten erreichen will. Ein günstiges Gericht? Ein sättigendes? Etwas Ungewöhnliches? Generell sind Kichererbsen sicher schon gut etabliert. In der Zubereitung unkompliziert sind Linsen, die es in diversen Farben gibt. Besonders spannend für die Gastronomie finde ich Beluga-Linsen, die ihren Namen ihrer Ähnlichkeit mit Kaviar verdanken: Sie zerfallen nicht, wirken nicht so verstaubt und sind hübsch anzuschauen. Grundsätzlich sehe ich zwei Herangehensweisen bei der Verwendung von Hülsenfrüchten: Man kann sie auf dem Teller in den Fokus rücken, zum Beispiel in Form eines Linsenbetts, sie lassen sich aber ebenso gut versteckt einsetzen, indem man sie in Bewährtes integriert. 

Wie meinen Sie das?
Ein Kartoffelstampf lässt sich problemlos mit Favabohnen anreichern, eine Glace mit pürierten weissen Bohnen strecken, eine Müeslimischung mit Linsen zubereiten. Das ist nicht nur nährstofftechnisch spannend, sondern auch preislich. Anders als Soja oder Nüsse sind Hülsenfrüchte keine Allergene und daher unproblematisch. Es gibt zwar Menschen, die Favabohnen nicht vertragen, der sogenannte Favismus betrifft in unseren Breitengraden aber nur etwa ein Prozent der Bevölkerung.

Apropos Verträglichkeit: Hülsenfrüchte haben den Ruf, die Verdauung herauszufordern.
Die Bekömmlichkeit ist ein spannendes Thema, und ich merke, dass die Leute deswegen grosse Hemmungen bei Hülsenfrüchten haben. Dabei ist es simpel: Der Darm wächst mit seinen Aufgaben. Wenn wir nie Hülsenfrüchte essen und dann einmal im Jahr einen riesigen Teller Chili sin oder con carne, wird es unangenehm. Aber wer regelmässig richtig zubereitete Bohnen verzehrt, gewöhnt seinen Darm daran und hat keine Probleme mehr.

Zur Person 
Lena Rutishauser (34) war vollberuflich als Juristin tätig, bevor sie Ende 2021 den Schritt in die Selbstständigkeit wagte und sich nicht mehr nur nebenbei, sondern ganz auf Hülsenfrüchte spezialisierte. Als Linsenlena entwickelt sie Rezepte und gibt im Hiltl und im Mühlerama Koch- und Backkurse mit Linsen, Erbsen, Bohnen und Co., als Mitgründerin von Fabas etabliert sie die pflanzlichen Proteine aus der Schweiz auf den heimischen Tellern. Das Zürcher Start-up beliefert explizit auch die Gastronomie: Im Sortiment stehen neben den Rohwaren aus der Schweiz (Favabohnen, Gelb- und Kichererbsen sowie Sonnenblumenkerne) auch Erbsenfalafel und zwei Burgervarianten aus Favabohnen.
linsenlena.ch, fabas.ch

Zum Ausprobieren

Gelberbsen (in der Flasche)
«Bei den Gelberbsen handelt es sich um eine Sorte mit heller Schale, die weder geschmacklich noch optisch störend ist. Sie sind ein spannendes und cooles Produkt, das schön zerfällt und sich vielseitig einsetzen lässt. Gelberbsen wachsen in der Schweiz problemlos, und während sie für unsere Urgrossmütter noch selbstverständlich in die Küche gehörten, landen sie heute leider überwiegend in der Tiernahrung.»

Steirische Käferbohnen (im Glas)
«Meine Favoriten! Steirische Käferbohnen sehen richtig schön aus. Im Vergleich zu anderen Hülsenfrüchten sind sie allerdings etwas teuer. Ich nutze sie deshalb nicht zum Backen. Mit ihrem knackigen Biss, dem weichen Kern und dem ausgewogenen Aroma eignen sie sich aber bestens als Proteintopping im Salat oder, ganz simpel mit etwas Olivenöl, Salz und Pfeffer angemacht, zum Apéro. Eine Delikatesse!»

Favabohnen (vorne liegend)
«In der Schweiz sind Favabohnen, unter anderem auch Acker-, Sau- oder Puffbohnen genannt, leider nur für Futtermittel verbreitet. Das ist schade – in Frankreich ist das zum Beispiel ganz anders. Dort enthält das klassische Baguette zwei Prozent Favabohnenmehl, das für die krachende Kruste sorgt. Und auch grün geerntet kommen die Bohnen als Edamame-Alternative auf den Tisch. Weil die Sorten in der Schweiz zum Teil etwas bitter schmecken, sollte man sie geschält kaufen. Dann erinnern sie an Kartoffeln und eignen sich zum Beispiel für feine Pürees.»