19.03.2019 Salz & Pfeffer 2/2019

Gut gerechnet

Text: Sarah Kohler – Fotos: z. V. g.
Auch wenn die Idee, Crevetten in der Schweiz zu züchten, nicht neu ist, lanciert die Firma Swiss Shrimp mit ihrer Produktion eine Premiere. Die Initianten denken gross.
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«Das hier ist ein Business.» 
99,9 Prozent. So viel der rund 9000 Tonnen Shrimps-Produkte, die in der Schweiz jährlich konsumiert werden, reisen tiefgefroren oder gekocht per Schiff und LKW über die Grenze. Fast alle also. Ein verschwindend kleiner Teil stammt von findigen Bauern, die auf ihren Höfen seit 2015 Schweizer Crevetten züchten (siehe Seite 47). Mit dem Markteintritt der Firma Swiss Shrimp soll sich diese Dimension nun ändern. «Wir planen eine Aufzucht von bis zu 60 Tonnen Crevetten pro Jahr», sagt Geschäftsführer und Mitbegründer Rafael Waber. Und: «Wir wollen ein positiver Gegenpol zur importierten Massenware sein.»

Das kommt selbstbewusst daher, aber nicht von ungefähr: Initiant Thomas Tschirren hatte die Idee, in der Schweiz Shrimps zu züchten, bereits 2008. Gemeinsam mit Waber und vier weiteren Partnern arbeitete er jahrelang an der Umsetzung: Sie klärten ab, probierten und werteten aus, dachten nach und rechneten durch. 2014 bauten sie im solothurnischen Luterbach eine Pilotanlage, die sie während neun Monaten betrieben. «Wir wollten herausfinden, was es braucht, damit eine Schweizer Shrimps-Farm funktioniert», sagt Waber. «Und dann entscheiden, ob wir die Idee weiterverfolgen.»

Am Ende besiegelte eine glückliche Fügung die Zukunft des Projekts, hinter dem inzwischen 103 private Aktionäre stehen. Mit der Schweizer Salinen AG in Rheinfelden fanden die Swiss-Shrimp-Initianten einen Standortpartner, der bereit war, den Jungunternehmern auf der grünen Wiese seines Geländes ein Produktionsgebäude zu errichten, um künftig neben- und miteinander zu wirtschaften.

Die Vorteile sind rasch aufgezählt: Die Saline produziert Salz sowie Abwärme – und die Swiss Shrimp AG braucht für ihre geschlossene Meerwasser-Kreislaufanlage beides. Stolze 320 Tonnen Salz wird sie von der Nachbarin jährlich beziehen. Ausserdem sind auf dem Gelände bereits Rohre verlegt, über die das wenige Abwasser, das die Crevettenzucht nach einer internen Klärung verlässt, in den Rhein gelangen kann. «Wir haben den idealen Standortpartner gefunden», so Waber.

Neben der Frage des Standorts war für die Swiss-Shrimp-Gründer die Dimension entscheidend. «Wir stellten in der Pilotphase fest, dass das Vorhaben eine gewisse Grösse braucht, damit es auch finanziell funktionieren kann», sagt Waber. Und darum geht es den Initianten in erster Linie: Das Modell der frischen Crevetten aus der Schweiz ist knallhart kalkuliert.

Schliesslich geht das Unterfangen ganz schön ins Geld: Die Investitionskosten belaufen sich auf rund 18 Millionen Franken. «Schon die Baukosten sind sehr hoch», sagt Waber, «auch weil wir wegen des Salzwassers viel in den Korrosionsschutz investieren mussten.» Dazu kommen strenge Hygienestandards, kostspielige Infrastruktur und Analysegeräte, hohe Personalkosten et cetera. «Das hier», sagt Waber, während er in Rheinfelden über die 16 auf zwei Hallen verteilte Shrimps-Becken blickt, «ist ein Business.»

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Bei Swiss Shrimp setzt man auf einen hohen Grad an Automation. Nicht so bei der Ernte: Die Crevetten werden von Hand aus dem Wasser gekeschert.
Bei Swiss Shrimp setzt man auf einen hohen Grad an Automation. Nicht so bei der Ernte: Die Crevetten werden von Hand aus dem Wasser gekeschert.
Rafael Waber, Geschäftsführer Swiss Shrimp
Rafael Waber, Geschäftsführer Swiss Shrimp
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«Wir lassen die Shrimps möglichst in Ruhe.»

Wer jetzt allenfalls den fehlenden Bezug zum Tier bemängelt, dem begegnet Waber mit gutem Gewissen. «Die Crevette schwimmt nun mal im Wasser und mag keine Berührung», erklärt er. Im Gegenteil: Sie gilt als das Tier mit der schnellsten Reaktionszeit und ist insofern empfindlich. «Wir lassen die Shrimps deshalb möglichst in Ruhe.»

Dem entspricht der hohe Grad an Automation in Rheinfelden. Während die Ernte, das Herausfischen der Tiere aus den Becken, von Hand geschieht, übernimmt die Fütterung beispielsweise ein Roboter, der die Bio-Pellets aus Frankreich über ein Rohr- und Trichtersystem in die Becken verteilt.

Auch dafür, dass die Umgebung der Tiere nicht gerade naturnah wirkt, hat Waber eine Erklärung: «Eine Aquaristiklandschaft mit Sand und Steinen wäre sehr viel aufwendiger», sagt er. «Und wir können sie uns schlicht nicht leisten.» Immerhin imitiert das Lichtsystem einen am Golf von Mexiko orientierten Tag- und Nachtrhythmus. Aus Kunststoffteilen wurden zudem Strukturen gefertigt, die an Höhlen oder Schlingpflanzen erinnern und in den Becken mit 28 Grad Celsius Wassertemperatur für Abwechslung sorgen.

Ganz grundsätzlich gelten Shrimps aber ohnehin als pflegeleicht in der Aufzucht. Dass in Rheinfelden die Weissbeingarnele, die zu den meistverkauften und günstigsten Zuchtcrevetten der Welt gehört, aufwächst, liegt genau daran. «Sie ist ein angenehmer Artgenosse – omnivor und weniger räuberisch als andere Arten. Damit eignet sie sich gut für die Haltung», erklärt Geschäftsführer Waber. Und räumt unumwunden ein: «Wir haben uns nicht aus sensorischen Überlegungen für sie entschieden.»

Transparenz ist bei Swiss Shrimp elementar. «Wir wollen offen erklären können und nichts verheimlichen», betont Waber – und geht auch unbequemen Fragen nicht aus dem Weg. Etwa jener nach dem Preis. «Der ist allenfalls ein Knackpunkt», sagt der Geschäftsführer, gibt sich aber zuversichtlich: «Für Swiss Shrimp gibts definitiv einen Markt.» Das fertige Produkt – eine Schweizer Crevette, die nach hiesigen Standards und nach strengen ökologischen Gesichtspunkten garantiert ohne Antibiotika aufgezogen sowie erst auf Bestellung geerntet wurde und zu keinem Zeitpunkt tiefgefroren war –, soll in der Large-Grösse (zwischen 20 und 25 Gramm, mit Kopf) rund 100 bis 120 Franken pro Kilo kosten.

«Der Gastropreis variiert je nach Konditionen», sagt Waber und erklärt, warum Swiss Shrimp für eine Nische in der Gastronomie durchaus spannend sei: «Unsere Marke steht für eine Delikatesse und nicht für die Crevette am Spiess, die man auf den Grill schmeisst, um sich den Bauch zu füllen.» Vielmehr spricht er von einem «schlummernden Markt»: «Es gibt viele Schweizer, die aus ethischen Überlegungen keine Shrimps essen. Da bieten wir eine frische Alternative und Genuss mit gutem Gefühl.»

Den Markteintritt gehen die Initianten in Rheinfelden schrittweise an. Die erste Ernte ist noch im Frühling geplant. Neben einer Selbstabholstation am Produktionsstandort und einem Postversand in eigens dafür entwickelten Kühlboxen sind auch die Verteilung über Detailhändler sowie die Belieferung der Gastronomie ein Thema.

Einer, der Swiss Shrimps bereits in der Pilotphase verkostete, ist Simon Sommer, Küchenchef des Wein & Sein in Bern. Der Punkte-Koch lässt sich in seinem Testimonial wie folgt zitieren: «Swiss Shrimps haben einen knackigen Biss, sind feinfaserig und saftig. Das Aroma ist sehr fein, leicht süss mit nussigen Noten.» Das ist Wasser auf die Mühlen von Geschäftsführer Waber: «Wir setzen in erster Linie auf Swissness», sagt dieser. «Aber unsere frischen Shrimps sind auch geschmacklich hervorragend.»

Garnele, Crevette, Shrimp?
Die Namensfrage kann für Verwirrung sorgen. Der Begriff Garnele (englisch Shrimp, französisch Crevette, spanisch Gamba) fasst über 2000 Arten von Krebstieren, die nicht zwingend direkt miteinander verwandt sind, zusammen. Prominente Vertreter sind die Black Tiger, die gern auf dem Grill landet, die Eismeergarnele (aus dem Crevettencocktail) oder die weltweit am häufigsten gezüchtete Weissbeingarnele (Litopenaeus Vannemai).

Shrimps vom Bauernhof
Als Schweizer Shrimps-Pionierin gilt die Familie Kunz aus Burgdorf. Weil sie ihre Schweinezucht am Stadtrand nicht ausbauen konnte, suchte sie ursprünglich nach einer Lösung, um die bestehenden Schweineställe umzunutzen. Diese sollte in erster Linie geruchsarm sein und die vorhandene Direktvermarktung ergänzen. Im Mai 2015 starteten die Landwirte mit der Produktion von Shrimps. Heute unterhalten sie 15 Becken, in denen sie Postlarven aufziehen und mästen. Ein Ausbau der Anlage steht kurz vor dem Abschluss: Dann produziert Aemme Shrimp – in einem geschlossenen Ökosystem sowie garantiert ohne Antibiotika und andere Hilfsstoffe wie Wachstumshormone – jährlich bis zu 2,5 Tonnen Crevetten für Privatkunden und die Gastronomie.
www.aemmeshrimp.ch

Ende 2015 stieg in der Ostschweiz ein weiterer Player ins Crevetten-Business ein: Simon Mayer hatte die Aufzucht von Shrimps in Brasilien kennen gelernt und war von der Idee, ebensolche nach Schweizer Standards und ökologischen Prinzipien zu produzieren, derart angetan, dass er sie in die Tat umsetzte. Auf seinem Hof im thurgauischen Zuben stehen heute zwei Jungtier- und vier Ausmastbecken, in denen die Shrimps in einer Salzwasser-Kreislaufanlage und 100-prozentig ohne Antibiotika aufwachsen, bis sie erntefrisch zum Kunden gelangen. Der Löwenanteil landet bei Globus.
www.mayer-shrimps.ch

Wildfang oder Aquakultur?
Beim Verzehr von Crevetten mahnt der WWF Schweiz Zurückhaltung an: «Wir empfehlen, Shrimps nur selten zu essen», schreibt Corina Gyssler auf Anfrage. Das Problem: Der Wildfang mit Grundschleppnetzen verursacht viel Beifang. Und die Liste der Nachteile der konventionellen Shrimps-Zucht ist lang: Einsatz von Antibiotika und Chemikalien, Wasserverschmutzung durch verfaulendes Futter und Fäkalien, intensiver Wasserverbrauch, nicht nachhaltige Fütterung mit Fischmehl aus Wildfang und Abholzung von Mangrovenwäldern. Eine Übersicht über die gängigsten Fang- und Zuchtgebiete bietet der Online-Fischratgeber des WWF – inklusive der jeweiligen Einschätzung der Umweltorganisation. Von Crevetten aus Wildfang rät sie (mit Ausnahme von solchen aus Australien) generell ab.
www.wwf.ch/fischratgeber

Einen anderen Ansatz vertritt Fisch- und Seafood-Apostel Arne van Grondel vom Gastrozulieferer Fideco. «Ich bevorzuge Crevetten aus Wildfang», sagt er. «Wobei diese zwingend aus bestandserhaltender Fischerei stammen müssen.» Ohne das entsprechende MSC-Zertifikat geht für ihn nichts. Van Grondel argumentiert sensorisch: «Tiere aus Wildfang haben ihr natürliches Futter gefressen – das schmeckt man am Ende.» Seine Favoritin ist die patagonische Königsgarnele, die nur vor der argentinischen Küste gedeiht und von einer Fischerei im MSC-Audit stammt: «Die Crevette überzeugt preislich und ist geschmacklich sensationell.»