13.10.2020 Salz & Pfeffer 6/2020

Handel mit Haltung

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Jürg Waldmeier
Bioprodukte liegen im Trend, das spüren nicht zuletzt Beat und Mara Ledermann von der Pico Bio AG. Die wachsende Wertschätzung für Lebensmittel verändert ihr Geschäft – und verlangt nach neuen Ideen.
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«Da empfehle selbst ich, teilweise auf konventionelle Ware umzusteigen.»

Sie wuchsen mit Bioprodukten auf. Wann nahmen Sie das Thema erstmals bewusst als solches wahr?
Mara Ledermann (ML): Ganz klar: in der Berufsschule. In der Mensa gab es kein Fleisch in Bioqualität, und mir fiel auf, wie anders konventionell produziertes Fleisch schmeckt. Es war süsslicher – und für mich ein ziemlicher Schock, vor allem das brasilianische Poulet.

Beat Ledermann (BL): Dazu gibt es eine Geschichte, die ich gern erzähle: Ein Kunde von uns bestellte Sellerie, verarbeitete diesen in seiner Grossküche und berichtete später, der ganze Raum habe danach gerochen, das habe er lange nicht mehr erlebt. Ich bin überzeugt, dass man den Unterschied von konventionell und biologisch produzierten Lebensmitteln schmecken kann. Wobei klar ist: Ein guter Koch, der mit konventioneller Ware arbeitet, ist immer noch besser als ein schlechter Koch mit Bioprodukten.

Die Pico Bio AG ist ein klassischer Familienbetrieb. Wie stark mischt sich die alte Generation in die Arbeit der jungen ein?
ML: Ich habe viele Freiheiten, kann im Personalbereich auch Veränderungen anstossen und meine Ideen einbringen. Wir hatten schon immer ein entspanntes Verhältnis und eine gute Basis, als Familie und im Betrieb. Die Mitarbeit in der Firma gefällt mir – auch weil ich mich sehr für Lebensmittel interessiere.

BL: Das ist das Wichtigste überhaupt und der Grund, warum wir häufig gelernte Köche einstellen: Man muss Freude an Lebensmitteln haben. Und bei uns speziell, weil wir ja Bioprodukte verkaufen: Freude an guten Lebensmitteln.

Bio gleich gut: Warum war das für Sie als Bauer in den Achtzigerjahren klar?
BL: Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Die konventionelle Landwirtschaft stand damals nämlich an einem Punkt, an dem ich durchaus hinter ihr stehen konnte – nicht grad zu 100, aber doch zu 90 Prozent. Heute sind es vielleicht noch 20. In den letzten drei Jahrzehnten hat sich viel verschlechtert. Der Einsatz von Pestiziden ist gestiegen, die Belastung des Bodens durch schwere Maschinen hat massiv zugenommen, die Betriebe werden immer grösser. Wenn man den Anbau von Soja oder Mais weltweit betrachtet, erkennt man, dass das keine Landwirtschaft mehr ist, sondern eine Industrie – und zunehmend eine Finanzindustrie.

Früher war die Situation also besser, sagen Sie. Umso spannender, dass Sie beschlossen, auf biologischen Landbau umzustellen.
BL: Nun, diese Biogeschichte war neu, aufregend und sehr politisch. Da ich es gern anders mache als der Rest, lag der Schritt für mich nahe. Wobei nicht abzusehen war, wohin die Reise gehen würde – sonst wären viele früher auf den Zug aufgesprungen. Die Marketingleute der Grossverteiler erkannten das Potenzial ja erst etwa zehn Jahre später. Das ist ein gutes Beispiel, warum sie kleine Firmen eigentlich unterstützen müssten.

Wie meinen Sie das?
BL: Wenn die grossen Player im Nahrungsmittelmarkt zu gross werden, geht die Innovation verloren. Es sind nämlich immer die Kleinen, die etwas ausprobieren. Die Grossverteiler schauen zuerst bei denen, ob ein Produkt funktioniert, und übernehmen erst, wenn es läuft.

Welche Art von Koch ist Ihr Kunde?
BL: Anfangs hatten wir hauptsächlich Abnehmer aus der alternativen Szene, darunter viele Quereinsteiger. Seit rund zehn Jahren ist da aber eine Generation von gelernten Berufsleuten mit neuem Anspruch. Diese Köche wollen hinter den Produkten, die sie verarbeiten, stehen können und wissen, woher ein Lebensmittel stammt. Dabei geht es nicht in erster Linie um Bio: Ein Produkt darf konventionell hergestellt sein, es soll aber nicht von einer namenlosen grossen Firma aus Übersee stammen. Bioprodukte haben den Vorteil, dass sie dieses Kriterium oft erfüllen. Momentan erarbeiten wir für die Gastronomie deshalb eine eigene Bewertungsskala, bei der das Bio-Label nur eins von sechs Kriterien ist.

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Interessant.
BL: Wir orientieren uns dabei an Beelong, einem Konzept, das von einem Spin-off der Hotelfachschule Lausanne entwickelt wurde, um Gastronomiebetriebe zu bewerten. Erstes Kriterium ist die Herkunft des Produkts: Da gehts um den Transportweg, aber auch darum, ob es aus dem Treibhaus oder vom Feld stammt. Zweiter Aspekt ist die Produktionsweise: Wurde das Lebensmittel konventionell, nach Bio- oder anderen Richtlinien hergestellt? Weitere Punkte sind die Saisonalität sowie die Klimabelastung, also die Frage, wie viele Ressourcen ein Produkt verbraucht oder wie die CO2-Bilanz ausschaut. Schliesslich fällt auch die Verarbeitung ins Gewicht, zu der unter anderem das Thema Verpackung gehört.

Sie sprachen von sechs Kriterien.
BL: Das ist richtig. Wir lassen nun zusätzlich den Preis in die Bewertung einfliessen. Im Grossraum Zürich sind die Strukturkosten eines Restaurants sehr hoch. Entsprechend wichtig sind die Warenkosten, wenn es darum geht, Geld einzusparen. Wir erleben immer wieder, dass Gastronomen, die an den biologischen Landbau glauben und den Grossteil ihrer Lebensmittel über uns beziehen, finanziell kaum über die Runden kommen. Da empfehle selbst ich, teilweise auf konventionelle Ware umzuschwenken.

Das empfehlen Sie?
BL: Ja, klar. Am Schluss habe auch ich mehr davon, wenn der Kunde seine Rechnungen bezahlen kann. Deshalb gehört der Preis für uns in den Kriterienkatalog. Spannend am System ist, dass zum Beispiel Champignons aus konventioneller Produktion am Ende besser abschneiden können als solche in Bioqualität – weil das Bioprodukt fast doppelt so teuer ist, während auch der konventionell gezüchtete Pilz aus der Schweiz stammt.

Sie handeln mit knapp fünf Prozent konventionell hergestellten Lebensmitteln.
BL: Das hat mit der Gastronomie zu tun. Von der Bestellung der Köche spätabends bis zur Auslieferung frühmorgens vergeht wenig Zeit. Bioprodukte jedoch sind von Natur aus nicht jederzeit in jeder Menge verfügbar. In Absprache mit den Köchen müssen wir gewisse Lebensmittel also auch mal ersetzen können.

Es gibt ja auch gut produzierte Lebensmittel ohne Bio-Label.
BL: Absolut. Da fällt mir noch eine Geschichte ein: Vor drei Jahren assen wir in einer Brasserie in Paris, ganz klassisch, alte Schule. Auf dem Spiegel stand in grossen Lettern geschrieben: Wir beziehen keine Produkte von Nestlé und so weiter. Ich bin sicher, dass der Trend auch bei uns in diese Richtung geht.

Hin zum Bashing der Multis?
BL: Nein, das gehört in der Schweiz nicht zum guten Ton. Aber hin zur Philosophie, dass ein Lebensmittel umso wertvoller ist, je mehr Handwerk darin steckt. Die Grösse des Produktionsbetriebs ist damit aber automatisch verbunden.

Welchen Einfluss haben die Köche unter Ihren Abnehmern auf Ihr Sortiment?
BL: Wir sind immer auf der Suche nach neuen Produkten, und dabei spielen die Köche eine wichtige Rolle, weil sie das ebenfalls sind. Ein Beispiel: Wir waren die Ersten, die farbige alte Tomatensorten im Sortiment hatten, weil einer unserer Gastrokunden diese gern haben wollte. Oder Haferwurzeln: Auch da gab uns ein Koch den Impuls. Es ist toll, zu sehen, wie junge Köche ihre Freizeit damit verbringen, ihre Produzenten zu besuchen, oder einen Tag pro Woche fix aufwenden, um ihre Lebensmittel zu organisieren. Der Stellenwert des Produkts hat sich verändert.

Und damit vermutlich auch Ihre Rolle.
BL: Tatsächlich sind wir für solche Köche nur noch Dienstleister: Sie sagen uns ganz genau, welches Produkt sie von welchem Betrieb haben wollen, wir kümmern uns um die Logistik.

Stört Sie das?
BL: Nein. Wobei, doch, am Anfang hatte ich schon Mühe. Ich bin halt nicht unbedingt der klassische Händler, sondern ursprünglich ein Bauer. Aber es tun sich auch neue Möglichkeiten auf.

Zum Beispiel?
BL: Zusammen mit ein paar Köchen haben wir vor einiger Zeit das Projekt «FleischKoop» lanciert. Der Koch fungiert dabei als Einkäufer, er organisiert das Produkt, zum Beispiel ein ganzes Tier, und ist in der Folge auch dessen Besitzer. Wir kümmern uns um den Service rundherum; wir stellen etwa den Abhängekühler und den Metzger zur Verfügung und verarbeiten das Tier nach den Wünschen des Kochs, wir übernehmen den Transport et cetera. Für die Köche ist das ein Mehraufwand, aber durchaus interessant. Grundsätzlich glaube ich, dass sich unsere Aufgabe als Grossist gerade in diese Richtung verschiebt: Wir bieten zunehmend eine Plattform und vermitteln zwischen Produzent und Abnehmer.

Beat Ledermann (62) verbrachte seine Kindheit auf einem Bauernhof in der Westschweiz und studierte Agronomie an der ETH in Zürich. Mit seiner Frau Patricia übernahm er zuerst den elterlichen Betrieb in Murten und wechselte 1988 auf den Herterenhof im aargauischen Wettingen, den mehrere Familien gemeinschaftlich führten und auf biologischen Landbau umstellten. Zum Konzept gehörte auch, Private sowie Restaurants in der Umgebung mit Lebensmitteln vom Hof zu beliefern. 1997 konzentrierten sich Patricia und Beat Ledermann auf den Lebensmittelhandel und gründeten zusammen mit Christoph Gysi die Pico Bio AG, mit der sie ein Jahr später nach Zürich zogen. Am neuen Standort im Kreis fünf eröffneten sie zusätzlich das Restaurant Les Halles. Aufgrund der Quartierentwicklung verlegte Ledermann die Firma 2009 nach Dietikon in die Industriezone, das Restaurant ging 2017 in neue Hände über. Heute zählt die Pico Bio AG rund 350 Kunden, von denen gut die Hälfte aus der Gastronomie stammt. Der Rest entfällt auf den Detailhandel sowie aufs wachsende Onlinegeschäft.

Zusammen mit sechs anderen Kindern wuchs Mara Ledermann (30) auf besagtem Herterenhof in Wettingen auf. Die gelernte Erzieherin leitete bis vor einem Jahr eine Waldkindertagesstätte in Zürich. Dann wurde ihre Mutter pensioniert und beschloss, nur noch teilweise im Familienbetrieb tätig zu bleiben. Seither kümmert sich Ledermann um den Personalbereich der Pico Bio AG. Auch ihre Schwester Gianna, ihres Zeichens Architektin, arbeitet in einem Teilpensum im Unternehmen mit.