20.12.2024

«Ich fragte mich: Wie schmecke ich selbst?»

Interview: Andreas Bättig – Fotos: Tina Sturzenegger/z. V. g.
Für ihre neue Ausstellung hat die Künstlerin Sandra Knecht Geschmacksprofile von 32 Künstlerinnen erstellt und für jede Person ein passendes Gericht kreiert.
Bild: Tina Sturzenegger
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Patti DE Kopie (2)

Ihre neue Ausstellung trägt den Titel «Heimat ist ein fremder Ort». Was kann man sich darunter vorstellen?
Sandra Knecht: «Home is a Foreign Place» ist die zweite Ausstellung einer Trilogie, die sich mit den Themen Mutter, Kind und Vater auseinandersetzt. In der neuen Ausstellung geht es nun um mich selbst. Es ist eine persönliche Reflexion darüber, wer oder was mir Trost spendet und wo ich Heimat finde. Essen spielt dabei eine zentrale Rolle. Geschmack ist für mich ein Schlüssel zu Erinnerung und Identität. Ich habe 32 Künstlerinnen ausgewählt, die mich in meinem Leben geprägt haben, darunter Musikerinnen wie PJ Harvey und Patti Smith. Jede dieser Personen hat von mir ein individuelles Geschmacksprofil erhalten, das ihre Arbeit und ihre Bedeutung für mich widerspiegelt. Gemeinsam mit Michaela Frank und Monika Janika haben wir diese Geschmacksprofile in konkrete Gerichte umgesetzt.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Am Anfang des Projekts stand die Frage: «Wie schmecke ich selbst? Welche Aromen und Texturen mag ich am liebsten?» Diese Überlegungen führten schliesslich zu meinem eigenen Doppelbrand mit 42 Prozent Alkohol und Namen «Chnächt&Meister», den ich über einen Zeitraum von fünf Jahren entwickelt habe. Er ist ein bisschen süss- kräuterig, aber auch etwas kantig. Diese Aromen stehen für meine Persönlichkeit – weich und zugänglich, aber auch mit Ecken und Kanten. Für die Ausstellung haben wir dann weitergedacht: «Wie schmecken andere Menschen, insbesondere die Künstlerinnen und Künstler, die mein Blick auf die Welt inspiriert haben?» Ich habe mich gefragt, welche Emotionen, Erinnerungen oder Assoziationen bestimmte Werke in mir auslösen und wie ich das geschmacklich umsetzen kann.

Wie sieht ein solches Geschmacksprofil aus? 
Patti Smith ist für mich Sauerteigbrot – was durch den Sauerteig Godmother of Punk symbolisiert. Es gibt dazu ein Pilzgarum was für Resilienz steht. Ihr Leben war auch geprägt von Verlusten: Sie hat fast gleichzeitig ihren Mann, ihren Bruder und ihren besten Freund verloren. Dazu gibt es Alpenbutter aus dem Rüschegg. Das ist eine Hommage an Franz Gertsch, der sie in den Siebzigerjahren Jahren porträtiert hat.

Foto: Tina Sturzenegger
Foto: Tina Sturzenegger
PJ Harvey EN Kopie (1)
Bild: Tina Sturzenegger
Bild: Tina Sturzenegger
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Frida DE Kopie (1)

Können Sie ein anderes Beispiel nennen?
Auch für Frida Kahlo habe ich ein Geschmacksprofil geschaffen. Es ist ganz Schwarz, für den körperlichen Schmerz und dessen Dunkelheit. Das Gericht besteht aus einer Tortilla aus blauem Mais, einer vier Tage lang gekochten Mole, Huitlacoche und dem Fleisch schwarzer Hühner der Rasse Ayam Cemani, die ich auf meinem Hof halte. Es gibt keine Farbe ausser einem kleinen Schnitz Limette– ein Gericht voller Dunkelheit und doch voller Kraft.

In Ihrer Ausstellung verbinden Sie verschiedene Sinne - vom Geschmack über Musik bis hin zu visuellen Eindrücken. Was erwartet die Besucherinnen und Besucher konkret?
Die Ausstellung ist interaktiv. Man kann sich zum Beispiel auf ein Sofa setzen, Platten von Künstlerinnen wie Kate Bush oder Patti Smith hören und dabei meinen Schnaps trinken. Es gibt ein Begleitbuch, unter anderem mit 32 Postern, die jeweils ein Geschmacksprofil, ein Bild und einen kurzen Text über die Künstlerin enthalten. Ziel ist es, verschiedene Ebenen von Kunst und Genuss zu verbinden. Einige Werke der Künstlerinnen, die mich inspiriert haben, sind auch physisch in der Ausstellung zu sehen, wie zum Beispiel ein Originalwerk von Louise Bourgeois. Es ist ein Gesamterlebnis, das die Besucherinnen und Besucher einlädt, ihre eigenen Assoziationen und Verbindungen zu erkunden.

Das Thema Heimat taucht in Ihren Arbeiten immer wieder auf. Was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist für mich Zugehörigkeit – ein Gefühl der Geborgenheit, des Angenommenseins. Das ist nichts Romantisches oder Schwärmerisches. Es geht darum, an einem Ort oder unter Menschen zu sein, wo man sich sicher fühlt und nicht angegriffen wird. Für mich ist Heimat nicht unbedingt an einen bestimmten Ort gebunden. Es kann auch ein Geschmack, ein Moment oder eine Begegnung sein.

Heimat ist ein fremder Ort

In ihrer künstlerischen Praxis greift die Schweizer Künstlerin Sandra Knecht den Heimatbegriff unter dem Aspekt des Fremden auf und untersucht ihn durch eine doppelte Erkundung ihrer eigenen Familiengeschichte sowie des Heimatbegriffs selbst. Knecht führt ihre Langzeitforschung in verschiedenen Medien wie Installation, Archiv, Fotografie, Video, Ton, Performance und Kochkunst durch. Ihr facettenreiches Werk ist geprägt von zehn Jahren transdisziplinärer Forschung zum Heimatbegriff. In ihrer Arbeit schafft die Künstlerin jedoch einzigartig entwickelte soziale Skulpturen, die von Dinnerpartys und Performancekunst bis hin zur Konzeption und Umsetzung von Kunstwerken, Ausstellungen und Buchprojekten reichen. Am 9. Januar um 18 Uhr findet in der Kulturstiftung Basel H. Geiger die öffentliche Vernissage von Knechts neuster Ausstellung  «Home Is a Foreign Place» statt. 

Mehr Informationen zur bevorstehenden Ausstellung gibt es hier: «Home Is a Foreign Place»