25.09.2018 Salz & Pfeffer 6/2018

«Ich kenne keine falsche Scham»

Interview: Virginia Nolan – Fotos: Njazi Nivokazi
Michel Péclard gehört zu den erfolgreichsten Zürcher Gastronomen. Vom Kochen, sagt der ehemalige Buchhalter, verstehe er nichts. Aber er sei ein guter Beobachter – und bediene eine Nachfrage, für die sich Branchenkollegen zu schön seien.
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«Vielleicht ist der Mensch einfacher gestrickt, als wir denken.»

Während immer mehr Gastronomen ums Überleben kämpfen, eröffnen Sie eine Beiz nach der anderen. Was machen Sie besser? 
Michel Péclard: Unsere Branche ist verrückt. Das denke ich jedes Mal, wenn ich in Luzern bin, ich unterrichte dort Rechnungswesen an der Hotelfachschule, ich bin ja ursprünglich Buchhalter. Ich werfe mit Zahlen um mich, denen zufolge ein junger Gastronom gleich einpacken kann: Wer heute in der Schweiz ein Restaurant eröffnet, meldet zwei Jahre später mit hoher Wahrscheinlichkeit Konkurs an. Das kanns nicht sein! Wir Gastronomen, Menschen überhaupt, rücken ungern vom Gewohnten ab. Was wir gelernt haben, wird nicht in Frage gestellt. Ich glaube, darin liegt der Fehler – und die Antwort auf die Frage, was ich anders mache: Ich breche aus.

Wie?
Von fixen Vorstellungen, wie Gastronomie aussehen soll, habe ich mich früh verabschiedet und mich stattdessen entschieden, Geld zu verdienen. Ich kann nicht kochen, von Wein habe ich auch nicht viel Ahnung. Aber ich bin ein guter Beobachter. So habe ich ein Gespür dafür entwickelt, was die Leute wollen. Und ich habe im Gegensatz zu anderen Gastronomen keine falsche Scheu, das auch umzusetzen.

Was wollen Sie damit sagen?
Viele Kollegen rümpfen die Nase über mein Angebot. Die lachen mich aus, weil ich mit Fischknusperli, Kartoffelsalat und Fleischspiessen komme. Das mag zwar banal sein, es läuft aber wie blöd. Darum nennen Sie mir einen Grund, wieso ich es nicht machen soll. Ich kenne keine falsche Scham. Viele Köche sind derart eingenommen von dem, was sie selbst als richtig erachten, dass sie meinen, den Gast erziehen zu müssen. Die echte Welt funktioniert aber nicht nach Lehrbuch, und vielleicht ist der Mensch einfacher gestrickt, als wir denken.

Sie behaupten also, viele Köche kochten am Gast vorbei – aus Dünkel.
Ja. Auch bei uns gibts darum öfter mal Knatsch mit den Köchen. Im Fischers Fritz fielen sie fast vom Hocker, als ich sagte, ich wolle mit Fisch aus dem Zürichsee Knusperli machen. Das sei eine Perversion dem Fisch gegenüber. Stimmt im Prinzip. Aber wenn der Gast es will? Fischknusperli sind unser Kassenschlager, wie der Kartoffelsalat von Baba in der Pumpstation. Den Salat haben nun alle unsere See-Beizen, sehr zum Leidwesen einiger Küchenchefs, die finden, es mangle ihm an Raffinesse. Fakt ist: Seitdem Baba für alle produziert, verkaufen wir dreimal mehr Kartoffelsalat. Der hat vermutlich eine Tonne Mayonnaise drin, aber die Leute lieben ihn.

Köche könnten Ihren Ansatz als Absage an den Berufsstolz deuten.
Weniger prätentiös zu sein, hat nichts mit fehlendem Berufsstolz zu tun. Mir geht es darum, dass ich den Gast nicht aus den Augen verliere. Und mich als Unternehmer nicht ausbremsen lasse vom Gedanken, dass es möglicherweise unter meiner Würde sein könnte, auf eine bestimmte Nachfrage auch einzugehen.

Selbst Konkurrenten attestieren Ihnen einen guten Riecher fürs Geschäft. Wo sehen Sie Potenzial?
Dass die Leute sich gesünder ernähren, ist keine bahnbrechende Neuigkeit, aber ein Thema, um das wir nicht herumkommen. Folglich ist zum Beispiel Gemüse ein Riesending. Im Frühling war ich mit meinem Geschäftspartner Flo Weber in Los Angeles. Wir besuchten ein neues Restaurant, bestellten nichts Bestimmtes, sondern liessen uns einfach Sachen bringen. Das Essen war fantastisch. Erst nach dem achten Gang checkten wir, dass wir keinen Bissen Fleisch oder Fisch gegessen, aber nichts vermisst hatten. Ich war fasziniert und machte gleich Nägel mit Köpfen.

Erzählen Sie.
Ich fragte den Inhaber, ob ich meinen besten Koch für drei Monate zu ihm schicken könne, damit er von seinem Küchenchef lerne. Selbstverständlich würde ich dabei für sämtliche Kosten aufkommen. Er war angetan von der Idee. Im Januar wird Tom, unser Küchenchef im Rooftop, für drei Monate nach Los Angeles gehen, wir haben für ihn und seine Familie ein Häuschen gemietet. Ich verspreche mir viel von dieser Stage. Die Typen haben meine Sicht auf die Gemüseküche verändert. Ich werde auf jeden Fall etwas daraus machen – ich wüsste auch schon, wo.

Nämlich?
Wir haben unsere Bewerbung fürs ehemalige Restaurant Movie abgeschickt. Es ist ein simpler Brief. Darin steht, dass wir auf das übliche Brimborium eines Bewerbungsdossiers verzichten – delegierst du das einem Werbe-Fritzen, kostet es dich 10000 Stutz – und die Vermieter für das Geld lieber gleich nach Los Angeles einladen würden, damit sie sehen, was uns vorschwebt. Mal schauen, wie das ankommt. Wie auch immer, das Konzept aus Los Angeles kopiere ich sowieso.

Sie kopieren oft und gerne.
Ja. Das Portofino in Thalwil zum Beispiel habe ich praktisch eins zu eins dem Restaurant Carbon in New York abgeguckt. Ich werde auch oft kopiert. Wir können die Welt nicht neu erfinden.

Nach welchen Kriterien suchen Sie Ihre Betriebe aus?
Mich reizt, was andere links liegen lassen. An der Pumpstation, meiner ersten Beiz, hatte niemand Interesse. Der Betrieb war heruntergekommen, aufs Allernötigste reduziert. Auch fürs Fischers Fritz standen sie nicht Schlange, das war richtig hässlich hier. Letzthin las ich in der Zeitung vom Schiffshäuschen bei der Anlegestelle in Erlenbach. Von Plänen, daraus ein Beizli zu machen, hiess es, habe man sich aufgrund von Experteneinschätzungen verabschiedet. Wahrscheinlich fragten die einen Architekten – bei denen läuft unter ein paar Millionen gar nichts.

Und, war Ihr Interesse geweckt?
Klar! Ich schrieb der Gemeinde ein Mail, eine knappe Woche später wurden wir mit den Bauplänen vorstellig. Ich bin einfach schnell. Und ich frage keine Architekten. Ich arbeite lieber mit Bühnenbildnern. Die haben ein besseres Gespür für Räume, in denen Menschen sich wohlfühlen sollen.

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Inwiefern trägt der Buchhalter in Ihnen zum Erfolg bei?
Zwar erledigt mittlerweile Flo die Buchhaltung, aber ich kenne die Zahlen von jedem Betrieb. Budgets erstellen wir keine. Denn wer das Budget nicht erreicht, gibt sich aus Frust keine Mühe mehr, und wer es übertrifft, wird faul. Das ist ein Seich. Wir machen stattdessen in jedem Betrieb monatlich einen Vorjahresvergleich. Aber der wichtigste Erfolgsfaktor ist ein anderer.

Nämlich?
Du musst für deine Mitarbeiter eine Familie sein. Ich bin hier der Papa, und ich liebe es. Ich widme dem Team meine ganze Zeit. Für mein Privatleben war das vielleicht nicht die schlauste Entscheidung, aber die Mannschaft hat es sicher zusammengeschweisst. Meine Leute wissen, dass sie jederzeit zu mir kommen können. Wenn ich kann, dann helfe ich. Einem meiner langjährigen Tellerwäscher habe ich letzthin 15000 Franken geschenkt – damit er sein Stück Land in Afghanistan behalten kann. Solche Mitarbeiter bleiben.

Dann ist Fluktuation bei Ihnen kein Thema?
Nicht wirklich. Kaderleute wollen allein schon deshalb bei uns arbeiten, weil sie mit nach Miami kommen möchten. Dorthin führt unser jährlicher Kader-Ausflug. Wir logieren zehn Tage lang im Fünf-Sterne-Hotel und feiern. Das kostet mich einen Haufen Geld, 150000 Franken pro Jahr, um genau zu sein. Ich betrachte es als Investition in den Gemeinsinn. Nicht umsonst haben unsere Geschäftsführer einen so guten Draht zueinander und helfen sich aus, wo sie können. Dadurch sparen wir schätzungsweise vier Prozent an Personalkosten pro Jahr, das sind 800000 Franken.

Was ist mit dem Fachkräftemangel – bekommen Sie den auch nicht zu spüren?
Doch. Auch wir finden kaum Köche. Die Jungen sind auf die Spitzengastronomie fixiert, die wollen sich nicht auf unser Niveau herablassen. Mein Freund Rudi Bindella hat dasselbe Problem. Er schafft der Sache Abhilfe, indem er anfängt, seine eigenen Leute auszubilden. Wir werden es ihm gleichtun. Wir haben viele talentierte Quereinsteiger, langjährige, topmotivierte Küchenmitarbeiter. Die werden wir nachziehen.

Was raten Sie jungen Gastronomen?
Verbiegt euch nicht. Macht nur, was ihr selber auch lebt und seid. Und ganz grundsätzlich: more pepper, less paper! Ich bin ein Freund von Taten. Jemand sagte einst, das habe damit zu tun, dass ich aus einer reichen Familie stamme, die mich retten würde, falls ich Mist baue. Kann sein, dass mir das Sicherheit gegeben hat. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich jeden Stutz selbst verdient habe. Weil ich Mut hatte – auch den Mut, auf die Schnauze zu fallen.

Woran denken Sie da konkret?
Es gab ein paar Gelegenheiten. In der Schönau in Erlenbach bin ich beinahe Konkurs gegangen, ich drehte damals fast durch, als meine Ex-Frau in den Ferien Champagner bestellte, weil ich nicht wusste, wie ich den bezahlen sollte. Die Konditorei Schober zu übernehmen, war auch ein Fehlentscheid. Ich war damals jung und vom Prestige des Betriebs geblendet. (*) Darum: Mach nur, was du selber auch lebst. Mich brauchst du keine zweimal anzuschauen, dann weisst du, dass ich mich im Fall Schober selbst hintergangen habe. Für Etepetete und Pomp bin ich einfach nicht der Typ.

Hansdampf in allen Gassen
Michel Péclard wurde 1968 im zürcherischen Kilchberg geboren. Er wollte ursprünglich Banker sein, folgte dann aber dem Rat der Mutter und wurde Buchhalter. Im Büro wurde es ihm bald langweilig, und als er am Zürifest 1994 mit Freunden einen Spiesslistand betrieb, kam er auf den Geschmack: Péclard schrieb sich an der Hotelfachschule Luzern ein. 1998 eröffnete er seine erste Grillbeiz, die Pumpstation an der Zürcher Seepromenade. Heute betreibt Péclard 14 Betriebe, neun davon am Zürichsee. Ausserdem führt er die traditionsreiche Konditorei Schober.
www.peclard.net

(*) Während die Salz & Pfeffer-Ausgabe mit diesem Interview bereits im Druck war, gab Michel Péclard bekannt, dass er die Conditorei Schober in der Zürcher Altstadt per März 2019 aufgibt.