Erst die Moral, dann der Verzicht.
Gut oder böse. Das ist das Kriterium in diesen moralisch gesättigten Zeiten. Gut oder böse. Alles kann gut sein oder böse. Käse essen, beispielsweise. Eines Tages lese ich, die Herstellung von einem Kilo Käse benötige 5000 Liter Wasser. Sprich: Der Gardasee trocknet aus und ich Käseliebhaber bin schuld. Schwierig.
Kaum zwei Wochen später schlagen in einem dieser Bahnhofs-Altpapiere Klimaforschende Alarm. Milchprodukte verursachen vier Prozent der menschgemachten Treibhausgasemissionen. Bereits im ersten Abschnitt des Textes kommt der unausweichliche Vergleich: Ein Kilo Käse ist schlimmer als zehn Tonnen leckerer Biohummus. Aber zum Glück erfahre ich wenig später auf Social Media, ein Mocken Käse liege alleweil drin, wenn man dafür Mallorca vom Flugplan streiche. Nach Mallorca wollte ich sowieso nie, her mit dem Mocken, und hat mir nicht letzthin eine Ernährungsberaterin aus dem Fernseher entgegengelächelt und gesagt, Käse sei eine wichtige Quelle von Kalzium und Vitaminen und würde meine Knochen und Zähne stärken?
Leider höre ich alsbald, es seien schon Mitmenschen an einem allergischen Schock gestorben, weil ihnen jemand in voller Absicht «gesättigte Fettsäuren» ins Ohr geflüstert habe. Früher hätte das noch mit «Cholesterin» funktioniert. Und noch früher mit «Listerien». Milchprodukte waren überdies schon immer mitverantwortlich für bildfüllende Mitmenschen. Käse kaufen ist halt doch böse. Ausser man kauft ihn am Tag des Ablaufens zum halben Preis, um damit Foodwaste zu vermeiden. Dann ist Käse sogar fast ein bisschen gut.
Noch während ich all dies verdaue, vermeldet der VVVV (Verein Vroh Vegan Vröhlich), die Haltung von Kühen sei unter aller Sau, ihnen würden die Babys weggenommen, lebenslange Traumata seien die Folge, und wer ist schuld? Ich und mein Mocken. Woher zur Hölle hätte ich wissen sollen, dass die Kühe heutzutage Babys auf die Welt bringen und nicht Kälber, so wie früher bei uns daheim auf unserem Appenzeller Hèèmetli?
Ich liebe Kinder, selbst jene von Kühen (als Familienvater habe ich mehr als einen Elternabend erlebt). So verzichte ich halt um der Kuhbabys willen auf Käse, hänge als armer Simpel abends daheim im Fernsehsessel, fresse vegane Chips, lasse mich vom nationalen Altersheimfernsehen mit der 3000. Alpsendung zuplätschern, und was vernehme ich dort? Die braven Schweizer Kühe pflegen die Alpen. Die Milchwirtschaft ist ein Wirtschaftsfaktor. Käse ein zentraler Pfeiler der Landesversorgung in Krisenzeiten, Stichwort Proteine, Kalzium, Vitamine.
Hochbeglückt stürme ich am nächsten Bauernmarkt den Käsestand, blättere mich abends pappsatt und leicht beschwipst (zum Käse gerne Riesling) ein wenig durch meine gestapelten Magazine und muss entsetzt erfahren, äh, geneigte Leserschaft, was für einen Aspekt möchten Sie haben? Sojafuttermittel aus Südamerika? Oder Phosphat-Gülle? Ich weiss etwas Besseres. Das Görpsen der Kühe. War es Methan, Napalm oder Zyklon B?
Das Leben als Dummkopf ist herausfordernd geworden. Nichts wissen, alles glauben und zu faul zum Selberdenken. Was heisst «gut»? Was heisst nur schon «gesund»? Was heisst überhaupt «Käse»? Zwischen Sorten und Reifegraden, Fettgehaltsstufen und Schimmelpilzen, zwischen extrahart und rotgeschmiert, edelverschimmelt und essiggesäuert, zwischen Ziger und Ziegenkäse liegen Welten, zwischen den Formen von Tierhaltung, zwischen den Transportwegen.
So läuft das heute. Erst die Moral, dann der Verzicht. Zu empfehlen wäre der gelegentliche Verzicht auf Studien. Auch zwischen der Qualität der Studien und den Interessenbindungen der Studienleitungen liegen nämlich Welten. Und zwischen gutem Journalismus und grellen Zuspitzungen für Dummköpfe.
Ich fragte noch die KI. Chat GPT antwortete: «Käse ist nicht moralisch und weder gut noch böse.» Käse enthalte je nach Verarbeitung verschiedene Nährstoffe. Er sei in der Regel eine gute Quelle für Protein, Kalzium und andere wichtige Vitamine und Mineralstoffe. Ob er gesund sei oder nicht, hänge von der Sorte und Menge ab, von der individuellen Ernährung und vom Gesundheitszustand dessen, der ihn isst. Quintessenz: «Ein moderater Verzehr von Käse als Teil einer ausgewogenen Ernährung ist in der Regel unbedenklich und kann Teil eines gesunden Lebensstils sein.»
Gar nicht mal schlecht. Sicherheitshalber fragte ich nicht noch nach Tierhaltung oder Klimawandel. Ein wenig Lebensfreude will man sich schliesslich erhalten.