«Ich erfahre unglaublich viel Vertrauen.»
Zwei Nächte bedingten Sie sich aus, um übers Angebot, Küchenchef im Igniv zu werden, zu schlafen. Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Silvio Germann: In der ersten Nacht schlief ich gar nicht. Die Vorstellung war unglaublich verlockend, eine Riesenchance – auch wenn Andreas Caminada selbst sagte, dass ich eigentlich noch zwei Jahre zu jung für den Job sei. Ich hatte Angst vor der Aufgabe, aber ich wollte sie unbedingt haben.
Angst?
Klar. Immerhin ist das Igniv der zweite Restaurant-Brand von einem der besten Köche der Schweiz, ja sogar der Welt. Die Erwartungen sind riesig. Aber Andreas machte es mir mega einfach. Er bereitete mich super vor, sagte: Easy, wir brauchen hier nicht zwingend Punkte oder Sterne, sondern wollen in erster Linie etwas Cooles machen. Etwas, das die Schweiz auf diesem Niveau noch nicht kennt. Er unterstützt mich und steht hinter mir. Ich kann ihn morgens um eins anrufen.
Und tun Sie das?
Möglichst wenig. Aber ich kann.
Wie schwierig ist es denn, die Küche im Sinne eines anderen zu führen?
Gar nicht. Die Philosophie von Andreas wurde mir in den Jahren auf Schloss Schauenstein eingeimpft; ich weiss exakt, worauf er Wert legt, was ihm wichtig ist, was gar nicht geht. Austern, zum Beispiel, oder Schnecken würde ich nie verwenden, weil sie nicht zu ihm passen. Mir ist wichtig, dass ich kochen kann, was ich cool finde, ich bin mir dabei aber immer bewusst, dass ich hier Andreas und seine Philosophie verkörpere. Am Anfang besprachen wir die Kompositionen fürs Igniv regelmässig, mittlerweile haben mein Team und ich ziemlich freie Hand. Ich erfahre unglaublich viel Vertrauen. Erstaunlich ist aber, wie viel Andreas hört und vernimmt. Er weiss irgendwie immer über alles Bescheid.
Bleiben wir bei Ihrem Chef. Zwischen Ihnen habe das einfach gepasst, sagen Sie.
Ich denke schon, ja. Als ich auf dem Schloss anheuerte, war ich 22, unerfahren und, wie ich finde, einer der Schwächsten im Team. Aber Andreas berücksichtigt auch das Menschliche, und ich glaube, da stellte ich mich gar nicht mal so schlecht an. (Lacht) Die Jahre in der Schauenstein-Küche waren für mich wegweisend: sehr intensiv.
Und heute, fühlen Sie sich manchmal überfordert?
Am Anfang war es vielleicht ein bisschen viel. Da sah ich echt schlecht aus. (Lacht) Ich erinnere mich an die Medienkonferenz zum Start des Igniv; es kamen Leute aus der ganzen Welt, und ich war danach ziemlich fertig. Der Druck, den ich verspürte, war gross, obwohl Andreas entspannt blieb und fand: Wir schauen mal, und wenns nicht funktioniert, machen wir was anderes. Heute sind wir alle froh, dass es so gut läuft.
Gault & Millau kürte Sie zur aktuellen Entdeckung des Jahres in der Deutschschweiz. Stieg da der Druck auf Sie persönlich nochmals?
Ehrlich gesagt: nein. Es war eine strenge Zeit, als nach neun Monaten alles aufs Mal kam, der Stern von Michelin, die Punkte und die Auszeichnung von Gault & Millau. Aber da ich ja den Druck, Caminadas zweiten Restaurant-Brand zu führen, von Anfang an hatte und die Sache ohnehin schon so ernst nahm, kam es auf alles Weitere nicht mehr so an.
Im Igniv dreht sich alles ums Teilen. Ist die Menüplanung für so ein Sharing-Konzept nicht grauenhaft komplex?
Klar, es kommt viel zusammen, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel unsere Vorspeise aus acht Gerichten besteht, die sich jeweils aus wiederum rund zehn Komponenten zusammensetzen. Die Herausforderung liegt darin, für Abwechslung zu sorgen, für verschiedene Aromen und Texturen auf den Tellern. Aber den schwierigsten Job macht wohl unser Restaurantleiter Francesco Benvenuto, der dazu eine Weinbegleitung kreieren sollte. Das ist faktisch unmöglich. Deshalb setzen wir auf grossformatige Flaschen, die wir öffnen und die sich die Gäste – ganz im Sinne des Konzepts – über die Tische hinweg teilen.