«Jetzt kommt schon wieder dieser verrückte Küchenchef mit irgendeiner Pflanze an.»
Beginnen wir ganz am Anfang, in Ihrer Kindheit: Ihr Bezug zum Ursprung eines Produkts wurde da schon geprägt.
Mattias Roock: Das ist richtig, ich wuchs auf dem Dorf auf, meine Eltern führen dort heute noch einen Landgasthof, und wir bauten selber an: Kartoffeln, Zwiebeln, verschiedene Gemüse, Erdbeeren. Vor meiner Lehre hätte ich eigentlich das Restaurant von meinen Eltern übernehmen wollen.
Aber?
Durch meine Ausbildung wurden mir die Komplexität und die Vielfältigkeit des Kochberufs bewusst, und jetzt ist der Landgasthof zu Hause irgendwie zu klein geworden. Ich landete im ersten Lehrjahr im Gourmetrestaurant des Hotels, da gings für mich los: Zuhause schälten wir die Kartoffeln, hier wurden sie tourniert. Daheim machten wir Kartoffelstampf, hier wurde er durchs Sieb gestrichen. Hier macht einer nur die Beilagen, einer nur den Fisch... Als ich das meinem Vater erzählte, konnte ers kaum fassen.
Sie heuerten stets in gehobenen Hotels an. Was gefällt Ihnen daran?
Die Vielfalt, denn sie zählt beim Kochen. Und ein grosses Hotel hat einfach alles: Morgens startet es mit Frühstück, dann kommen das Mittags-und das Abendgeschäft, es gibt aber auch Bankette, Roomservice, Ausser-Haus-Veranstaltungen, Kochkurse et cetera. Man kriegt richtig grosse Lieferungen von Fisch oder kann auch mal ein ganzes Tier verarbeiten.
Ihre Stationen wählten Sie – so scheints zumindest – immer so, dass Sie dabei etwas Neues lernen.
Auf jeden Fall, das würde ich jedem empfehlen. Mir gings aber immer auch darum, in einem Betrieb zu kochen, der wirtschaftlich arbeitet. Ich suchte Restaurants, die den Umsatz generieren, den es braucht, um ihre Kosten selber zu decken.
Warum ist das wichtig?
Weil ich mein Geld verdienen und nicht von jemandem abhängig sein möchte, der mir wohlwollend mein Gehalt zahlt, weil er mich für einen tollen Typen hält oder unbedingt ein Restaurant als Statussymbol braucht. Ein Betrieb soll sich selber tragen, das ist für mich der springende Punkt. In Hotels ist das einfacher als in eigenständigen Restaurants. Aber auch hier möchte ich, dass das Lokal, in dem ich arbeite, gut läuft: Und ich meine damit nicht nur wegen der Publicity oder von den Auszeichnungen her, sondern dass sie effektiv voll sind und jeden Abend ordentlich was geschickt wird.
Was im Castello del Sole gegeben ist?
Uns wirds hier ganz bestimmt nicht langweilig (lacht). Aber zurück zur Auswahl meiner Stationen: Neben der Wirtschaftlichkeit zählte für mich auch, dass ich Sprachen und Kulturen kennenlernen kann. Zum Beispiel gibts weltweit sehr viele Asiaten, also wollte ich mir das vor Ort einfach mal anschauen und verstehen, wie sie funktionieren. Deshalb zog ich nach Schanghai. So war das auch mit dem Wechsel nach Katar: Hier lernte ich vieles über die arabische Kultur, das ich vorher nicht verstanden hatte.
Zum Beispiel?
Wenn Menschen aus dem arabischen Raum hier im Restaurant mit dem Finger schnippen, kommt das in der Regel nicht gut an. Ich hatte damit auch so meine Mühe. Heute weiss ich, warum sie es tun. Sie wachsen mit Bediensteten auf, haben als Kind eine Nanny, einen Chauffeur, jemanden, der den Rasen mäht, und einen, der das Essen kocht. Was für uns herablassend wirken mag, ist für sie völlig normal. Wenn man das System kennenlernt, kann man das anders einordnen. Während meiner Zeit in St. Moritz war ich auch in Russland, um herauszufinden, was russische Gäste wollen. Ich arbeitete vier Wochen in Moskau und St. Petersburg in der Küche, ging auswärts essen, schaute mir die Märkte an. Mein Interesse für die verschiedenen Kulturen hat übrigens ganz lapidar auch damit zu tun, dass ich Geld verdienen möchte: Dafür muss ich wissen, was der Kunde haben will.
Nun spielen die Saison und die Region in Ihrer Küche ja eine wichtige Rolle – muss sich der Gast mit seinen Bedürfnissen da auch mal unterordnen?
Was die Saison angeht, ist es einfach: Die Natur gibt vor. Bei uns hat der Gast aber stets Alternativen. Das Konzept der Locanda Barbarossa ist nicht komplett auf Regionalität und Saisonalität ausgerichtet, sondern lässt die Wahl: Das Menü «Sapori del nostro orto» spiegelt Jahreszeit und Umgebung, im internationalen A-la-carte-Menü finden die Gäste nach wie vor Steinbutt, Hummer oder Trüffel. Und beispielsweise unser Soufflé mit marinierten Beeren, das seit 40 Jahren auf der Karte steht: Wenn die Beeren im Garten noch nicht reif sind, werden sie halt zugekauft.