«Es ist wahr: Früher war ich eckiger, provokativer.»
Wenn Meret Bissegger in ihrer Traumküche in der Casa Merogusto steht und aus allerlei Gewächsen Essen zubereitet, sieht man das nicht nur (und betet inständig, es möge schmecken, wie es ausschaut), sondern hört, riecht, schmeckt und spürt es auch. So präsent, wie die Mittfünfzigerin ist, wenn sie kocht – das ist selten. Und es kommt nicht von ungefähr: Bissegger, für ihre Gemüse-, Kräuter- und Gewürzküche bekannt, steht oft vor Publikum. Seit sie 2000 ihr mit 14 Gault-Millau-Punkten dotiertes «Ponte dei Cavalli» verlassen hat, lebt sie als (Stör-)Köchin und Buchautorin unter anderem davon, in ihrer Villa im Tessiner Bleniotal Gäste zu empfangen, Kochkurse zu geben und legendäre Tavolate auszurichten.
Das Didaktische liegt ihr, und Bissegger räumt unumwunden ein, mitunter missionarisch zu werden. Die Philosophie, die ihrer Vollwertküche zugrunde liegt, ist wesentlicher Bestandteil dessen, was sie auftischt. Dass junge Kollegen das, was sie seit Jahrzehnten tut, als Entdeckung der Stunde zelebrieren, nimmt sie amüsiert zur Kenntnis. Bissegger verkocht, was Wald und Wiese hergeben, kennt (Un-)Kräuter, essbare Wildpflanzen und (seltene) Gemüse wie kaum eine Zweite. Bio ist für sie selbstverständlich, Lokalität ein oberstes Gebot, und den Takt gibt ihr die Natur vor: Die Köchin verarbeitet, was die Saison bietet, und freut sich dann aufs Nächste. Sie braucht den Wechsel, die Spannung – weil ihr Essen immer auch das Resultat eines Experiments ist. Bei aller handwerklichen Routine hat sich Bissegger ihre Intuition, Achtsamkeit und unbändige Lust bewahrt.
Auch Fleisch gibts in der Casa Merogusto, obschon es keine Hauptrolle spielt. Hin und wieder besucht Bissegger den Metzger im Ort und wohnt einer Schlachtung bei: «Weil wir alle einen Teil der Schuld tragen sollten, wenn wir Tiere essen.» Deutlich weniger massvoll geht sie ans Werk, wenns um Gewürze und Kräuter geht, um Öle und Essige. Aus ihrem schier unendlichen Sammelsurium der Düfte bedient sie sich beherzt – wobei Vertraute ihr attestieren, feiner geworden zu sein. «Ich mag noch immer starke, entschiedene Geschmäcker», sagt sie selbst, «aber es ist wahr: Früher war ich eckiger, provokativer.» Seis drum: Langweilig ist Bisseggers Küche noch lange nicht. Und das sieht man nicht nur, sondern schmeckt man eben auch.
La Cucina Naturale Casa Merogusto, 6713 Malvaglia, 091 870 13 00, www.meretbissegger.ch