04.06.2024 Salz & Pfeffer 3/2024

Im Wechsel

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Zwei Lokale, zwei Konzepte – eine Küchenchefin: Corin Schmid zeigt im The Artisan und im Drei Stuben in Zürich, was in ihr steckt. Und geniesst das Privileg, sich nicht auf einen Stil festlegen zu müssen.
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«Da sagte ich mir: Jetzt zeige ich, was ich drauf habe!»

Sie verantworten im The Artisan und im Drei Stuben zwei ganz unterschiedliche Küchen. Welche davon passt besser zu Ihnen?
Corin Schmid: Das lässt sich so nicht sagen. Ich habe zwei grosse Lieben im Kochen – und die beiden Restaurants bringen genau diese zusammen.

Welche sind das?
Zum einen die Verbundenheit zur Natur. Im The Artisan haben wir einen grossen Garten und kultivieren eigenes Biogemüse, da kann ich diesen Aspekt voll ausleben. Zum anderen liebe ich das Kochhandwerk, bin ein Fan alter Techniken, die heute selten praktiziert werden und aufwendig sind. Das Drei Stuben bietet mir die perfekte Plattform, um solche Traditionen aufzugreifen und moderner zu interpretieren.

Wie die Hasenterrine, die Sie fürs Fotoshooting vorbereitet haben...
Genau, da steckt richtig viel Handwerk und Arbeit drin. Ich mag das: den ganzen Hasen bestellen, ausbeinen, die Terrine zuberei­ten... Ich wurste auch gern, nehme mal ein Wellington auf die Karte oder eine Ballotine. Solche Geschichten liebe ich – und ins Drei Stuben passen sie perfekt.

Inwiefern?
Grundsätzlich steht die Handarbeit in meinen beiden Küchen im Zentrum und wir machen sehr viel selbst. Aber die Konzepte und auch die Klientel unterscheiden sich klar. Im The Artisan sind wir ungezwungen, urban, international inspiriert, trendy. Hier kommen die Gäste auch mal schnell auf einen hausgemachten Burger vorbei. Im Drei Stuben gehts etwas gemächlicher zu: Die Leute nehmen sich Zeit, bestellen drei oder vier Gänge, gönnen sich eine schöne Flasche Wein.

Sie schreiben beide Menüs, gibt es dabei auch Überschneidungen?
Die sind tatsächlich selten. In der Regel nehme ich mir konkret eins der Restaurants vor, wenn ich ein neues Gericht kreiere. Aber es gibt durchaus Produkte, die ich in beiden Lokalen ver­wende. Die Stracciatella di Burrata von Idea Salentina in Kempt­thal zum Beispiel, die ist supercool und mindestens auf einer meiner Karten eigentlich immer zu finden. Die Gerichte, die ich damit mache, sind aber eben unterschiedlich. Ich halte das für wichtig und richtig: Das Drei Stuben ist kein The Artisan 2.0, die Gäste sollen in den beiden Betrieben essen können, ohne das Gleiche vorzufinden.

Bei der Komposition Ihrer Gerichte arbeiten Sie überwiegend allein. Warum ist das so?
Weil ich in diesem Prozess sehr von meiner eigenen Stimmung abhängig bin. Ich kann meine Kreativität nicht planen, sondern habe oft Blitzideen. Deshalb führe ich auf dem Handy eine Liste, auf der ich alles notiere, was mir in den Sinn kommt. Das ist die Basis fürs Schreiben des Menüs.

Was steht auf dieser Liste, das Sie schon lang umsetzen möchten?
Ein Wellington vom Alpine Lachs. Daran tüftle ich bereits einige Zeit, aber aufs Menü hat es das Gericht bislang nicht geschafft. Eine Schwierigkeit ist die Umsetzung im À­-la-­carte-­Service: Wie gelingt es, den Fisch im Teig in perfektem Zustand an den Tisch zu bringen? Die Lösung dafür habe ich inzwischen, und ich hoffe, dass das Gericht irgendwann im Drei Stuben auf der Karte steht.

Sie drücken den Restaurants als Küchenchefin klar Ihren eigenen Stempel auf.
Das liegt, glaube ich, in meiner Natur. Das Ganze ist ja eine lustige Geschichte. Ich arbeitete im The Artisan als Souschefin von Mark Thommen, als er einen Unfall hatte, sich den Arm brach und am Herd per sofort ausfiel. Da sagte ich mir: Jetzt zeige ich, was ich drauf habe! Das wars. Seither stand Mark vielleicht noch zwei Tage in der Küche, um auszuhelfen. Vom Zeitpunkt an, als ich den Posten der Küchenchefin übernommen hatte, fällte ich eigene Entscheidungen und behandelte das Restaurant, als wäre es mein eigenes. Ich sass daheim – damals waren wir grad im ersten pandemiebedingten Lockdown –, schrieb das Menü neu, suchte passende Lieferantinnen und Produzenten. Mark konnte nicht, also machte ich. Grossartig war, wie das Team reagierte: Es akzeptierte mich vom ersten Tag an als Chefin und unterstützte mich voll.

Wie erreichten Sie das?
Ich versuche, für alle ein gutes Arbeitsklima zu schaffen, und suche die Menschen, die in meinen Küchen arbeiten, sorgfältig aus – nicht nur anhand ihrer beruflichen Skills. Die menschliche Komponente ist ebenso wichtig. Und ob eine Person zu uns passt, zum jewei­ ligen Konzept. Findet sie cool, was wir machen? Hat sie Lust, auch mal im Garten zu jäten? Sonst wird das am Ende nichts. Zumal wir zwar zwei Konzepte haben, aber eben doch ein Betrieb sind: Da helfen die Leute auch mal im anderen Restaurant aus.

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Hasenterrine (Drei Stuben)
Hasenterrine (Drei Stuben)
Urige Gemütlichkeit mit viel Holz: das Drei Stuben
Urige Gemütlichkeit mit viel Holz: das Drei Stuben
Nocino-Chöpfli (Drei Stuben)
Nocino-Chöpfli (Drei Stuben)
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Morchelcapuns (Drei Stuben)
Morchelcapuns (Drei Stuben)
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Urban, trendy, grün: das The Artisan
Urban, trendy, grün: das The Artisan
Tigre de Leche mit Hanfsamen (The Artisan)
Tigre de Leche mit Hanfsamen (The Artisan)
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Grüner Spargel, Stracciatella di Burrata und Favebohnen (The Artisan)
Grüner Spargel, Stracciatella di Burrata und Favebohnen (The Artisan)
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Wo haben Sie gelernt, ein Team zu führen?
Ich brachte mir viel selbst bei, fiel dabei auch auf die Nase. Zum Beispiel liess ich anfangs eher noch was durchgehen, womit ich nicht einverstanden war, und hatte mehr Mühe, Nein zu sagen oder konsequent zu sein. Was Personalführung angeht, habe ich auch in meiner Zeit in London bei Anton Mosimann viel gelernt. Er ist ein Herr der alten Schule, lebte uns aber immer vor, wie man sich in der Küche unterstützt, dass man nicht flucht und sorgsam miteinander umgeht. Diese Werte habe ich von ihm übernommen. Zudem ist es mir wichtig, mir für meine Leute individuell Zeit zu nehmen.

Stichwort Zeit: Auch Ihr Tag hat eine begrenzte Anzahl Stunden.
Klar, irgendwo muss ich Abstriche machen, im Prinzip habe ich ja zwei Jobs. Aber ich bin in der glücklichen Lage, zwei super Souschefs zu haben. Ich könnte einen Monat in die Ferien – und das würde laufen. So wertvoll! Zumal ich nicht immer überall sein kann. Mein Ziel wäre es, mich zwischen den Restaurants fifty-fifty aufzuteilen, aber das klappt nicht immer. Mal braucht es mich da mehr, mal dort, mal schreibe ich im einen Betrieb die Karte, mal fällt im anderen jemand aus. Ich bin der Joker.

Und Sie könnten sogar im Service einspringen.
Das stimmt. Es ist aber schon ein bisschen länger her, dass ich das tatsächlich gemacht habe. Ich erinnere mich gut, das war im The Artisan: Die Hütte brannte und zwei Leute fielen aus. Also tauschte ich meine Koch­ mit der Serviceschürze und packte auf der Terrasse mit an.

Wieso absolvierten Sie nach der Kochlehre ein Servicepraktikum?
Gastronomie ist mein Ding, ich liebe die Branche. Und für mich war immer klar: Damit Küche und Service wie ein geschmiertes Rad miteinander laufen, braucht es Verständnis für beide Bereiche. Das wiederum erlange ich am besten, wenn ich weiss, wie es an der anderen Front aussieht. Als ich im Mosimann’s dann den Posten der Chef de Rang erreicht hatte, fand ich: Jetzt habe ich genug gesehen.

Und wie lautet Ihr Fazit?
Die Kommunikation ist das A und O. Und man sollte immer gastorientiert handeln. Egal, auf welcher Seite ein Fehler passiert ist – zuerst muss das Problem für den Gast gelöst werden. Darü­ber diskutieren kann man nach dem Service, falls das dann noch nötig ist. Ich empfehle auf alle Fälle jeder und jedem, sich beide Seiten im Restaurantbetrieb anzuschauen. Es hilft, gewisse Prozesse nachzuvollziehen. Am besten wäre es, wenn das grad zur Ausbildung gehören würde.

Apropos: Sie begleiten in Ihren Restaurants zwei Lernende. Warum ist das wichtig?
Ja, ich will die Kunst des Kochens und meine Freude daran weitergeben. Es gibt immer weniger Leute, die unseren Beruf erlernen möchten, und nicht zuletzt, um der Personalkrise entgegenzuwirken, halte ich es für zwingend, in den Nachwuchs zu investieren. Das ist mein Beitrag, den ich leisten kann.

Ihre Freude am Beruf zeigt sich auch in Ihrer Experimentierfreudigkeit.
Die gehört für mich dazu. Ich liebe Neues und bin gern busy! Momentan beschäftige ich mich mit dem Destillieren, das macht echt Spass. Wir haben eine Destilliermaschine, mit der wir ver­schiedene Kräuter aus unserem Garten zu Hydrolaten verarbeiten können. Die kommen in Getränken schön zur Geltung, bringen aber auch in die Küche wunderbare florale Noten, zum Beispiel in Form von Glace.

Was Sie nicht selbst machen, beziehen Sie überwiegend von Produzentinnen und Produzenten, zu denen Sie bewusst eine grosse Nähe pflegen.
Auch das macht mir einfach Freude. Ich weiss gern, woher die Lebensmittel kommen und wer dahintersteckt. Und ich liebe es zum Beispiel auch, unsere Kräuterhexe, wie wir sie liebevoll nennen, hin und wieder auf ihren Streifzügen zu begleiten. Da gehts um Respekt und Wertschätzung.

Sie gehen ja sogar noch einen Schritt weiter – und geben einen Teil wieder zurück.
Im wahrsten Sinne des Wortes, ja. Als wir vor vier Jahren im The Artisan den Versuch eines Zero-­Waste­-Pop­-ups wagten, schafften wir unter anderem eine Kompostmaschine an. Mit ihr verwerten wir alles, was auf dem Teller zurückkommt, oder andere gekochte Lebensmittel, die wir nicht mehr verwenden können. Das kommt abends alles in die Maschine rein, wird durch Wärme, Rotation und Enzyme zersetzt – und verwandelt sich innert 24 Stunden in kompostierbare Erde. Einen Teil davon brauchen wir für unseren Garten, der Rest geht zurück auf die Felder unserer Lieferbetriebe. Damit schliesst sich der Kreis.

Von der Küche in den Service – und zurück
Die Ausbildung zur Köchin absolvierte Corin Schmid im Hotel Metropol in Arbon am Boden­ see. Anschliessend zog es die Thurgauerin nach St. Gallen ins Netts, in dem sie nicht nur am Herd stand, sondern auch ein Servicepraktikum machte, dann weiter nach Zürich ins Drei Stuben (Küche) und in die Fischerstube des Hotels Bellerive (Service) sowie ins Waldhaus Flims (Service). 2014 heuerte Schmid im Mosimann’s Club in London an, startete dort erst in Service­ Positionen, wechselte 2015 aber wieder in ihren angestammten Beruf und durchlief in der Brigade des legendären Schweizer Kochs alle Bereiche der Küche. Zwei Jahre später kehrte Schmid in die Heimat zurück und stieg im The Artisan in Zürich als Souschefin an der Seite von Mark Thommen ein. Seit 2019 amtet die 31­Jährige als Küchenchefin des urbanen Lokals mit eigenem Gemüsegarten. Im Herbst 2022 übernahm das Team des The Artisan zusätzlich das Restaurant Drei Stuben. Schmid verantwortet auch die zweite Küche, führt die Teams parallel und bildet in beiden Betrieben Lernende aus.
theartisan.ch, dreistuben.ch