«Wir mögen den Geschmack von Glutamat, weil es in unserem Körper wichtige Aufgaben erfüllt.»
Poké-Bowls, Nose to tail, Bio-Hacking – in der Food-Welt jagt ein Trend den nächsten. Und wer sie alle mitverfolgt, der weiss, dass der letzte Schrei aus Japan kommt: Umami. Laura Santtini, Star unter den Food-Bloggern, widmete der Geschmacksrichtung ein Kochbuch, René Redzepi, Küchenchef im Kopenhagener Noma, servierte unter dem gleichen Motto vergorene Grashüpfer. Und in den USA hebt sich die Fastfood-Kette Umami-Burger von Wettbewerbern ab, indem sie Tomatenscheiben in Sojasauce röstet, bevor sie aufs Fleischpad kommen. Auch in der Schweiz springen Köche auf den Zug auf. Die Subtilen komponieren Gerichte so, dass ihre Ingredienzen sie – hoffentlich – als Umami-Bomben entlarven, die Offensiven setzen das Schlagwort gleich auf die Menükarte.
Glutamat, die Formel für Köstlichkeit
Umami ist in aller Munde, und das nicht nur im übertragenen Sinne. Es bezeichnet unsere fünfte Geschmacksdimension, die der japanische Chemiker Kikunae Ikeda 1907 entdeckte. Es gebe, hielt der Wissenschafter fest, einen Geschmack, der Spargel, Tomate, Käse und Fleisch gemein sei, sich aber grundlegend von allen bisher bekannten Geschmacksrichtungen unterscheide. Er sei etwa in Dashi zu finden, einer Brühe aus Braunalgen und getrocknetem Fisch. So schmecke diese weder süss noch sauer, nicht salzig und nicht bitter, sondern «umami», was auf Deutsch so viel wie köstlich bedeutet. Ikeda fand keine spezifischere Bezeichnung für das, was wir im Gaumen auch als «vollmundig», «herzhaft» oder «fleischig» wahrnehmen, wohl aber den Auslöser für diesen Sinneseindruck. 1908 gelang es dem Chemiker, aus der Kombu-Alge Glutaminsäure zu isolieren. Deren Salz, das Glutamat, identifizierte Ikeda als Träger des unverkennbaren Umami-Geschmacks. Fast ein Jahrhundert verging, bis US-Forscher im Jahr 2000 die dazugehörigen Rezeptoren auf der menschlichen Zunge entdeckten.
Der Geschmackssinn steuert und kontrolliert die Ernährung des Menschen, weiss Thomas Vilgis. Der Physiker am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz schlägt als Forscher und Kochbuchautor die Brücke zwischen kulinarischem Genuss und wissenschaftlichen Aspekten des Kochens. «Wir mögen den Geschmack von Glutamat, weil es in unserem Körper wichtige Aufgaben erfüllt», sagt Vilgis. So sei Glutaminsäure eine von insgesamt 20 Aminosäuren im menschlichen Organismus. Aminosäuren bildeten Proteinketten, die unseren Hormonhaushalt steuerten oder den Muskel- und Knochenaufbau. Entsprechend enthalte auch die menschliche Muttermilch Glutamat – im Vergleich zu jener von anderen Säugern am meisten.
Gut Ding will Weile haben
Glutaminsäure kommt in allen proteinhaltigen Lebensmitteln vor, durch Abbauprodukte im Pflanzenstoffwechsel, aber auch in der Haut von Pilzen, Tomaten oder Kartoffeln. «Damit unser Gaumen mit dem Umami-Erlebnis belohnt wird, müssen Proteine jedoch aufgespalten und die darin eingebaute Glutaminsäure freigesetzt werden», sagt Vilgis. «Das geschieht, indem wir Lebensmittel reifen oder trocknen lassen, sie langsam kochen oder fermentieren.» Je länger solche Verarbeitungsprozesse dauern, desto mehr Proteinketten zerfallen, und umso mehr Glutaminsäure wird freigesetzt. Stundenlang geschmorte Kalbsbäckchen, ein reduzierter Fond, vierjähriger Parmesan: Sie alle verkörpern die von Ikeda aufgedeckte Formel der Köstlichkeit. «Vereinfacht gesagt», sagt Physiker Vilgis, «ist Umami nichts anderes als der herzhafte Geschmack gespaltener Proteine.»
Nicht umsonst blickt die japanische Küche auf eine lange Tradition des Fermentierens zurück. Durch das Vergären von Lebensmitteln steigt deren Glutamat-Gehalt bis auf das 25-Fache. In Japan kommt dabei stets der gleiche Schimmelpilz zum Einsatz: Der Koji-Pilz bricht die Proteinketten in Reis und Soja auf, etwa beim Brauen von Sake, Mirin oder Sojasauce, dem glutamatreichsten Lebensmittel überhaupt. Auch die Würzpaste Miso ist das Resultat der Vergärung von Sojabohnen, Reis oder Gerste durch Koji-Kulturen. In Japan hat der Pilz etwa die gleiche Bedeutung wie in unseren Breitengraden Hefe für die Brot-, Bier- und Weinproduktion oder Milchsäurebakterien für die Herstellung von Käse.