29.08.2023 Salz & Pfeffer 4/2023

In der Ruhe liegt die Kraft

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Stefan Kaiser
Der Wechsel sorgte für Aufsehen: James Baron verliess das Mandarin Oriental in Hongkong und übernahm das Hotel Krone in La Punt. Zurück in den Bergen, will der Brite kürzertreten. Oder auch nicht.
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«Da kommt unser neu angelegter essbarer Garten ins Spiel.»

Von der pulsierenden Metropole direkt ins beschauliche Bergdorf: Was verschlägt Sie von Hongkong ausgerechnet nach La Punt?
James Baron: Die Lebensqualität und der Lifestyle in Hongkong waren toll, und vielleicht wären wir länger geblieben, wenn wir fünf Jahre jünger wären und keine Familie hätten: Aber irgendwann entschieden meine Frau Natacha und ich, dass die Stadt mit Kindern kein idealer Platz ist. Meine Tage starteten morgens um acht, und vor elf Uhr abends war ich nicht daheim. Auch in der Zimmerstunde nicht. Das ergab für uns keinen Sinn. Also suchten wir einen Ort, an dem wir die Balance zwischen beruflicher Herausforderung und Privatleben schaffen können.

Und da dachten Sie ans Engadin?
Wir hielten überall Ausschau, auch in meiner Heimat England. Aber weil ich in der Schweiz schon sieben Jahre gearbeitet hatte, verfügte ich hier über ein grosses Netzwerk und viele Kontakte, die ich nach wie vor pflegte. Unter anderem auch zu Dominik Flammer. Er war es, der mir von der Krone in La Punt erzählte. Und hier fanden wir genau das, was wir gewollt hatten: nämlich einen Betrieb mit viel Potenzial, in dem ich mich beruflich entwickeln kann, der es mir aber zugleich ermöglicht, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. In der Zimmerstunde stehe ich jetzt mit den Kindern auf der Skipiste oder streife mit ihnen durch den Wald, in der Freizeit setze ich mich aufs Velo und erkunde die Berge. Dieser Ausgleich ist unbezahlbar. La Punt zwingt mich zur Ruhe.

Wie meinen Sie das?
In einer Stadt wie Hongkong bin ich der Typ, der keine Pause macht. Da bin ich nonstop auf Achse, esse mittags in einem Restaurant, abends in einem anderen, teste diese neue Bar und jene... Ich schaffe es nicht, einfach zu Hause zu bleiben. In einer Umgebung wie hier geht das.

Diese Abgeschiedenheit, sagen Sie, habe Ihre Kreativität zurückgebracht. Hatten Sie die zuvor denn verloren?
Ich denke schon. Das ist aber auch klar: Ich organisierte einen Sieben-Tage-Betrieb mit 25 Köchinnen und Köchen auf Zwei-Sterne-Niveau, da bleibt kaum Raum für den kreativen Prozess. Deshalb versuche ich nun, zwei Tage in der Woche frei zu machen. Am Mittwoch kehre ich jeweils erholt an die Arbeit zurück, voller Elan – und Ideen. Wer sagt, er brauche das nicht, lügt, ganz einfach. Ich bin aber auch nicht der Küchenchef, der alles allein machen will, mit dem laminierten Rezept ankommt und die anderen nur noch umsetzen lässt.

Sondern?
Ich beziehe mein Team gern ein und mag den Austausch zwischen den Mitarbeitenden. Die bringen alle auch gute Erfahrungen mit, kommen aus verschiedenen Ecken und Kulturen, haben Vorstellungen und Ideen. Mir ist das als Führungsperson wichtig.

Sie sind hier sowieso nicht mehr nur der Küchenchef.
Das ist so, ja. Die Krone ist ein Kleinbetrieb, und ich mache ein bisschen alles, was toll ist und Abwechslung in den Tag bringt. Aber ich bin schon froh, dass ich mich jetzt nach dem ersten Jahr so weit im Haus und im Büro auskenne, dass ich diese Bereiche im Alltag abgeben kann und nur noch die Schlusskontrolle übernehmen muss. Schliesslich liegt meine Kernkompetenz in der Küche, nicht unbedingt darin, den Fernseher und das WLAN zu flicken oder gesperrte Zimmersafes wieder aufzubekommen. Inzwischen kann ich das alles, jetzt konzentriere ich mich wieder aufs Essen.

Wie würden Sie Ihren Kochstil beschreiben?
Im Tannenhof in Österreich kochten wir sehr regional, sprich mit einem Fokus auf den Alpenbogen. Da sehe ich mich heute wieder. Allerdings begrenzt einen dieses Konzept immer auch etwas, insbesondere in Sachen Säure oder Kräuter. Und da kommt nun unser neu angelegter essbarer Garten ins Spiel.

Inwiefern?
Wir erweitern damit die Produktpalette, die uns die Umgebung sowie die Geschichte des Hauses als Säumerei vorgeben. Zum Beispiel pflanzten wir Szechuanpfeffer, aber auch Berberitze, Sanddorn, Zwergmehlbirnen oder essbare Vogelbeeren. Damit verfügen wir über eine grössere Bandbreite in der Entwicklung unserer Gerichte, über ganz neue Möglichkeiten, Säure oder Bitterkeit auf den Teller zu bringen. Dabei bleibt das Konzept nachhaltig. Es ist regional, aber von der Fremde inspiriert, mit Einflüssen aus anderen Bergregionen, die ein vergleichbares Klima aufweisen, etwa in den Anden oder in Japan. Wir betrieben viel Recherche, sodass die Pflanzen mit den Bedingungen in La Punt klarkommen sollten: Ob das so ist, werden wir sehen.

Der Garten ist eine Investition in die Zukunft.
Auf jeden Fall. Man muss einfach mal anfangen. Ausserdem arbeiten wir heute schon sehr regional. Wir sammeln Lärchenzapfen, Beeren und Wildkräuter, zum Beispiel. Und man muss schon sehen: Mit der kurzen Vegetationszeit ist Saisonalität hier oben ein Thema für sich. Im Sommer sind wir drum ungeheuer beschäftigt mit Einmachen, wir picklen und fermentieren ... Dafür habe ich im Winter kein Problem damit, ein Rhabarberkompott oder fermentierten Spargel zu servieren.

Gurke, Melone, Kaviar
Gurke, Melone, Kaviar
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Stör, Dörrbirne, Crème fraîche
Stör, Dörrbirne, Crème fraîche
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Schwein, Paprika, Kopfsalat
Schwein, Paprika, Kopfsalat
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Alles Steilvorlagen für Geschichten am Tisch. Ihr Service erzählt generell aber nicht allzu viel über die einzelnen Gerichte.
Das ist eine bewusste Entscheidung, ja. Uns beide interessieren die Produkte und deren Zubereitung vielleicht im Detail, weil wir vom Fach sind. Aber der Herr, der bei der Bank arbeitet und mit seiner Frau einfach einen schönen Abend verbringen will, braucht nicht zwingend lange Ausführungen. Ich erwarte, dass alle meine Mitarbeitenden im Service Bescheid wissen und Fragen beantworten können, wenn diese denn kommen. Aber sie sollen nicht aus Prinzip fünf Minuten über einen Teller reden, sodass das Essen am Ende kalt ist. Bei uns geht es um Geschmack und eine gute Zeit.

Oberstes Gebot, sagen Sie, sei die Zugänglichkeit. Warum?
Ich halte sie für sehr wichtig: Wir sind neu in La Punt und wollen einem breiten Publikum zeigen, was wir können, auch den Einheimischen. Sobald es um Fine Dining geht, gibt es aber immer eine gewisse Hemmung. Deshalb setzen wir im À-la-carte-Bereich auf ein bodenständigeres Angebot. Wer einmal hier ist, wirft oft einen Blick ins Gourmetlokal, womit die erste Hürde beseitigt ist. Und beim nächsten Mal, am Hochzeitstag oder zum Geburtstag, reserviert der eine oder die andere vielleicht im La Chavallera. Auf diese Art wollen wir unsere Marke etablieren.

Was schwebt Ihnen dafür vor?
Wir möchten in La Punt eine gastronomische Welt aufbauen. Zum einen planen wir, das À-la-carte-Restaurant auszulagern und den Gourmetbereich hier im Haus zu vergrössern. Dann sollen ein Café und eine Bäckerei, in der traditionelle Brote aus dem Alpenraum gebacken werden, hinzukommen. La Punt ist so ein schönes Dorf, in dem wir eine Erlebniswelt kreieren können. Dafür habe ich einige Ideen.

Stossen diese hier auf Gegenliebe?
Das ist eine gute Frage. Ich hoffe es natürlich. Zumindest die Gemeinde unterstützt uns voll, und es ist uns ein grosses Anlie- gen, die Einheimischen in unsere Aktivitäten und an unseren Anlässen einzubinden. Wir verändern das Dorf allerdings nicht alleine, der geplante Innhub bringt ohnehin einen grossen Wandel mit sich.

Erzählen Sie!
Das ist ein Innovationszentrum, das voraussichtlich 2027 in La Punt eröffnen wird. Zum Komplex nach Plänen vom Londoner Stararchitekten Norman Foster gehört unter anderem ein Co-Working-Space, in dem Menschen aus aller Welt zusammenkommen sollen. Das Projekt ist riesig, mit spannenden Leuten im Hintergrund, unter anderem den Krone-Besitzern Regula und Beat Curti.

Apropos: Wie gross ist denn der wirtschaftliche Druck, unter dem Sie hier arbeiten?
Wir bekommen viel Unterstützung, auch wenn es um Projekte wie den essbaren Garten geht – aber das Ganze hier muss schon funktionieren. Wobei: Grundsätzlich kommt der Druck ohnehin von mir selbst. Ich will, dass der Laden läuft, sehe das als meine Verantwortung. Es gibt einfach Bereiche, in denen ich keine Kompromisse machen möchte.

Zum Beispiel?
Wir könnten beim Frühstücksbuffet eine Menge Geld sparen, indem wir nicht ausschliesslich Käse von der Käserei Pontresina und von Willy Schmid sowie Trockenfleisch von Hatecke und Zanetti auftischen. Aber das ist für mich keine Option. Wir gehen als Gesellschaft ohnehin schon in eine gefährliche Richtung und haben beispielsweise im Bereich Milch, Joghurt und Rahm fast eine Monopolsituation. Da mache ich nicht mit. Deshalb kaufen wir nach Möglichkeit direkt bei unseren Produzentinnen und Produzenten ein.

Das ist Ihnen wichtig.
Unbedingt. Ich bin der Meinung, dass wir Köchinnen und Köche die Pflicht haben, jene Betriebe zu unterstützen, die kulinarische Traditionen hochhalten. Denn auch wenn ich Ausländer bin, sind mir die Schätze, die das Wallis oder das Bündnerland beherbergen, ans Herz gewachsen. In England ist seit jeher alles miteinander vernetzt und vermischt, aber hier setzten die Berge lange Zeit gewisse Grenzen und sorgten dafür, dass ganz unterschiedliche Kulturen und Spezialitäten entstanden. Diese Vielfalt müssen wir bewahren.

Zur Person
Seine Karriere startete James Baron (38) in der englischen Heimat: Im JSW Petersfield in Hampshire schloss er die Ausbildung zum Koch ab. Kurz darauf zog es ihn in die Schweiz; erst ins Wallis, unter anderem zum mit zwei Sternen ausgezeichneten Didier de Courten in Siders, dann ins Bündnerland zu Andreas Caminada nach Fürstenau, an dessen Seite er als Souschef am Herd stand. Die erste Küchenchefstelle übernahm Baron in Österreich: Im Vorarlberger Tannenhof erkochte er sich 18 Punkte – und lernte seine heutige Frau Natacha kennen. Gemeinsam mit ihr wechselte er Ende 2020 nach Hongkong, wo ihn Michelin als Küchenchef im The Landmark Mandarin Oriental mit zwei Sternen auszeichnete. Seit gut einem Jahr nun ist Baron zurück in der Schweiz und lebt mit seiner Familie, zu der inzwischen auch die vierjährige Ariya und Baby George gehören, in La Punt am Fusse des Albula. Mit seiner Frau führt er das Hotel Krone – Säumerei am Inn mit 18 Zimmern, dem À-la-carte-Restaurant La Stüva und dem Gourmetkonzept La Chavallera, das auf Anhieb mit einem Stern sowie 16 Punkten ausgezeichnet wurde.

Hotel Krone – Säumerei am Inn, Via Cumünela 2, 7522 La Punt Chamues-ch, 081 854 12 69, krone-lapunt.ch