«Da kommt unser neu angelegter essbarer Garten ins Spiel.»
Von der pulsierenden Metropole direkt ins beschauliche Bergdorf: Was verschlägt Sie von Hongkong ausgerechnet nach La Punt?
James Baron: Die Lebensqualität und der Lifestyle in Hongkong waren toll, und vielleicht wären wir länger geblieben, wenn wir fünf Jahre jünger wären und keine Familie hätten: Aber irgendwann entschieden meine Frau Natacha und ich, dass die Stadt mit Kindern kein idealer Platz ist. Meine Tage starteten morgens um acht, und vor elf Uhr abends war ich nicht daheim. Auch in der Zimmerstunde nicht. Das ergab für uns keinen Sinn. Also suchten wir einen Ort, an dem wir die Balance zwischen beruflicher Herausforderung und Privatleben schaffen können.
Und da dachten Sie ans Engadin?
Wir hielten überall Ausschau, auch in meiner Heimat England. Aber weil ich in der Schweiz schon sieben Jahre gearbeitet hatte, verfügte ich hier über ein grosses Netzwerk und viele Kontakte, die ich nach wie vor pflegte. Unter anderem auch zu Dominik Flammer. Er war es, der mir von der Krone in La Punt erzählte. Und hier fanden wir genau das, was wir gewollt hatten: nämlich einen Betrieb mit viel Potenzial, in dem ich mich beruflich entwickeln kann, der es mir aber zugleich ermöglicht, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. In der Zimmerstunde stehe ich jetzt mit den Kindern auf der Skipiste oder streife mit ihnen durch den Wald, in der Freizeit setze ich mich aufs Velo und erkunde die Berge. Dieser Ausgleich ist unbezahlbar. La Punt zwingt mich zur Ruhe.
Wie meinen Sie das?
In einer Stadt wie Hongkong bin ich der Typ, der keine Pause macht. Da bin ich nonstop auf Achse, esse mittags in einem Restaurant, abends in einem anderen, teste diese neue Bar und jene... Ich schaffe es nicht, einfach zu Hause zu bleiben. In einer Umgebung wie hier geht das.
Diese Abgeschiedenheit, sagen Sie, habe Ihre Kreativität zurückgebracht. Hatten Sie die zuvor denn verloren?
Ich denke schon. Das ist aber auch klar: Ich organisierte einen Sieben-Tage-Betrieb mit 25 Köchinnen und Köchen auf Zwei-Sterne-Niveau, da bleibt kaum Raum für den kreativen Prozess. Deshalb versuche ich nun, zwei Tage in der Woche frei zu machen. Am Mittwoch kehre ich jeweils erholt an die Arbeit zurück, voller Elan – und Ideen. Wer sagt, er brauche das nicht, lügt, ganz einfach. Ich bin aber auch nicht der Küchenchef, der alles allein machen will, mit dem laminierten Rezept ankommt und die anderen nur noch umsetzen lässt.
Sondern?
Ich beziehe mein Team gern ein und mag den Austausch zwischen den Mitarbeitenden. Die bringen alle auch gute Erfahrungen mit, kommen aus verschiedenen Ecken und Kulturen, haben Vorstellungen und Ideen. Mir ist das als Führungsperson wichtig.
Sie sind hier sowieso nicht mehr nur der Küchenchef.
Das ist so, ja. Die Krone ist ein Kleinbetrieb, und ich mache ein bisschen alles, was toll ist und Abwechslung in den Tag bringt. Aber ich bin schon froh, dass ich mich jetzt nach dem ersten Jahr so weit im Haus und im Büro auskenne, dass ich diese Bereiche im Alltag abgeben kann und nur noch die Schlusskontrolle übernehmen muss. Schliesslich liegt meine Kernkompetenz in der Küche, nicht unbedingt darin, den Fernseher und das WLAN zu flicken oder gesperrte Zimmersafes wieder aufzubekommen. Inzwischen kann ich das alles, jetzt konzentriere ich mich wieder aufs Essen.
Wie würden Sie Ihren Kochstil beschreiben?
Im Tannenhof in Österreich kochten wir sehr regional, sprich mit einem Fokus auf den Alpenbogen. Da sehe ich mich heute wieder. Allerdings begrenzt einen dieses Konzept immer auch etwas, insbesondere in Sachen Säure oder Kräuter. Und da kommt nun unser neu angelegter essbarer Garten ins Spiel.
Inwiefern?
Wir erweitern damit die Produktpalette, die uns die Umgebung sowie die Geschichte des Hauses als Säumerei vorgeben. Zum Beispiel pflanzten wir Szechuanpfeffer, aber auch Berberitze, Sanddorn, Zwergmehlbirnen oder essbare Vogelbeeren. Damit verfügen wir über eine grössere Bandbreite in der Entwicklung unserer Gerichte, über ganz neue Möglichkeiten, Säure oder Bitterkeit auf den Teller zu bringen. Dabei bleibt das Konzept nachhaltig. Es ist regional, aber von der Fremde inspiriert, mit Einflüssen aus anderen Bergregionen, die ein vergleichbares Klima aufweisen, etwa in den Anden oder in Japan. Wir betrieben viel Recherche, sodass die Pflanzen mit den Bedingungen in La Punt klarkommen sollten: Ob das so ist, werden wir sehen.
Der Garten ist eine Investition in die Zukunft.
Auf jeden Fall. Man muss einfach mal anfangen. Ausserdem arbeiten wir heute schon sehr regional. Wir sammeln Lärchenzapfen, Beeren und Wildkräuter, zum Beispiel. Und man muss schon sehen: Mit der kurzen Vegetationszeit ist Saisonalität hier oben ein Thema für sich. Im Sommer sind wir drum ungeheuer beschäftigt mit Einmachen, wir picklen und fermentieren ... Dafür habe ich im Winter kein Problem damit, ein Rhabarberkompott oder fermentierten Spargel zu servieren.