«Ob Trüffelsammler, Entenzüchter, Jäger oder Schweinebauer, sie alle kamen zuerst bei mir essen, um zu prüfen, ob ich ihrer Produkte würdig bin.»
Der Weiler Montheron gehört zwar noch zum Stadtgebiet von Lausanne, liegt aber etwas abgelegen, ziemlich idyllisch, an einem Fluss und fast im Wald. Viel mehr als eine Strasse, eine Brücke, eine Kirche und ein Beiz gibt es dort nicht. Und doch: Wer vorbeifährt, ist selbst schuld – und um eine kulinarische Erfahrung ärmer. Denn in der Auberge de l’Abbaye de Montheron zelebriert Rafael Rodriguez eine streng lokale, technisch ausgereifte und mit dem Herzen komponierte Küche.
Das Handwerk gelernt hat der mit leiser Stimme sprechende Spanier unter anderem im Drei-Sterne-Haus El Celler de Can Rocca in Girona sowie beim Avant-garde-Koch Denis Martin in Vevey. «Wir arbeiten fast nur mit Lebensmitteln, die wir im Umkreis von 30 Kilometern vom Restaurant finden», sagt der 34-Jährige. Ein paar wenige Ausnahmen gibts dann doch, nämlich beim Pfeffer, bei einigen Nusssorten und dann, wenn der Chef aus einem Anflug von Heimweh heraus einen schönen Meerfisch für die Mitarbeiter kocht. «Wir haben ein klares, auf lokale Lebensmittel ausgerichtetes Konzept, sind aber nicht dogmatisch unterwegs», erklärt Romano Hasenauer, der die Auberge 2011 von der Stadt Lausanne pachtete und Rodriguez drei Jahre später zu seiner ersten Küchenchefstelle verhalf.
«Ich mag diese Art zu kochen, sie erfordert einen offenen Geist», sagt Rodriguez. In der Auberge bestimmt nämlich nicht der Koch das Menü, sondern die Jahreszeit mit ihren Produkten. «Jeweils mittwochs, wenn wir das Restaurant aufmachen, schauen wir, was die Lieferanten uns bringen, und entscheiden dann, was wir daraus kochen.»
Im Sommer schöpft Rodriguez da aus dem Vollen. Aus dem nahen Wald kommen wilde Kräuter, aus dem Genfersee (und den umliegenden Zuchten) Hecht oder Forelle, und dann gilt der Kanton Waadt nicht umsonst als die Kornkammer der Schweiz. «Mir gefällt die intensive Nähe zu den Produzenten», so Rodriguez, wobei er sich deren Vertrauen fast immer hart verdienen musste. «Ob Trüffelsammler, Entenzüchter, Jäger oder Schweinebauer, sie alle kamen zuerst bei mir essen, um zu prüfen, ob ich ihrer Produkte auch würdig bin.»
Bei schönem Wetter machen es sich die Gäste im lauschigen Garten hinter dem mächtigen Steinhaus bequem. Vielleicht bewundern sie dort die originellen architektonischen Ausrufezeichen, die 2011 bei einer sanften Renovation des historischen Gebäudes entstanden sind. Vielleicht stecken sie die Nase aber auch gleich in die mit 135 Positionen besetzte Weinkarte des Hauses.
Für diese verantwortlich zeichnet Gastgeber David Donneaud. Nicht weiter als 300 Kilometer darf der hier ausgeschenkte Wein reisen. An dieser Grenze kratzen indes die wenigsten. Ein bisschen was kommt aus Frankreich, und auch ein paar Deutschschweizer finden sich auf der Karte, die grosse Mehrheit von Donneauds Weinen stammt jedoch aus der Romandie. Auffallend ist dabei die stolze Zahl (rund 30 Positionen) an Naturweinen, einem persönlichen Steckenpferd von Romano Hasenauer und David Donneaud.
Am besten lässt sich der Besucher in der Auberge de l’Abbaye de Montheron einfach fallen. «Die meisten Gäste fragen gar nicht mehr, was es gibt, sondern sagen nur noch die Anzahl Gänge an, die sie zu essen wünschen», so Donneaud. Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt sich bei den zu sehr fairen Preisen kalkulierten Weinen. Zum Apéro gibts zum Beispiel einen wunderbar knackig-trockenen Chasselas Brut Nature aus Saint-Saphorin von Pierre Alain Dutoit, sehr atypisch, zumindest für die Waadt. «Auf der Nordseite des Genfersees, wo ich herkomme, scheint die Sonne nicht so stark, da sind viele Chasselas trocken», entgegnet Donneaud.
Zur Stracciatella, einer Verwandten des Mozzarella, mit Sommertomaten und Pesto passt dann der Altesse Nature von Henri Cruchon, ein mit 14,5 Volumenprozent wuchtiger, aber zugleich eleganter Naturwein aus Echichens. Weiter geht es mit dem Hechtfilet, Spinat, Fenchel, Aprikosenmousse sowie Beurre blanc, gefolgt von einem zarten, sous-vide-gegarten Jungschwein mit Zwiebel, Karotten und einer fantastischen Assemblage von Raymond Paccot (La Colombe Rouge Réserve 2016).