06.08.2019 Salz & Pfeffer 5/2019

Juwel im Grünen

Text: Tobias Hüberli – Fotos: Njazi Nivokazi
In der Auberge de l’Abbaye de Montheron zelebriert eine motivierte Truppe mit offenem Geist und viel Talent eine streng lokale Küche. Das Glück perfekt machen die grandiosen Weine der Waadt und ein Garten, der diesen Namen auch verdient.
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Die Permakultur liefert Kräuter wie Wermut oder Leimkraut.
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«Ob Trüffelsammler, Entenzüchter, Jäger oder Schweinebauer, sie alle kamen zuerst bei mir essen, um zu prüfen, ob ich ihrer Produkte würdig bin

Der Weiler Montheron gehört zwar noch zum Stadtgebiet von Lausanne, liegt aber etwas abgelegen, ziemlich idyllisch, an einem Fluss und fast im Wald. Viel mehr als eine Strasse, eine Brücke, eine Kirche und ein Beiz gibt es dort nicht. Und doch: Wer vorbeifährt, ist selbst schuld – und um eine kulinarische Erfahrung ärmer. Denn in der Auberge de l’Abbaye de Montheron zelebriert Rafael Rodriguez eine streng lokale, technisch ausgereifte und mit dem Herzen komponierte Küche.

Das Handwerk gelernt hat der mit leiser Stimme sprechende Spanier unter anderem im Drei-Sterne-Haus El Celler de Can Rocca in Girona sowie beim Avant-garde-Koch Denis Martin in Vevey. «Wir arbeiten fast nur mit Lebensmitteln, die wir im Umkreis von 30 Kilometern vom Restaurant finden», sagt der 34-Jährige. Ein paar wenige Ausnahmen gibts dann doch, nämlich beim Pfeffer, bei einigen Nusssorten und dann, wenn der Chef aus einem Anflug von Heimweh heraus einen schönen Meerfisch für die Mitarbeiter kocht. «Wir haben ein klares, auf lokale Lebensmittel ausgerichtetes Konzept, sind aber nicht dogmatisch unterwegs», erklärt Romano Hasenauer, der die Auberge 2011 von der Stadt Lausanne pachtete und Rodriguez drei Jahre später zu seiner ersten Küchenchefstelle verhalf.

«Ich mag diese Art zu kochen, sie erfordert einen offenen Geist», sagt Rodriguez. In der Auberge bestimmt nämlich nicht der Koch das Menü, sondern die Jahreszeit mit ihren Produkten. «Jeweils mittwochs, wenn wir das Restaurant aufmachen, schauen wir, was die Lieferanten uns bringen, und entscheiden dann, was wir daraus kochen.»

Im Sommer schöpft Rodriguez da aus dem Vollen. Aus dem nahen Wald kommen wilde Kräuter, aus dem Genfersee (und den umliegenden Zuchten) Hecht oder Forelle, und dann gilt der Kanton Waadt nicht umsonst als die Kornkammer der Schweiz. «Mir gefällt die intensive Nähe zu den Produzenten», so Rodriguez, wobei er sich deren Vertrauen fast immer hart verdienen musste. «Ob Trüffelsammler, Entenzüchter, Jäger oder Schweinebauer, sie alle kamen zuerst bei mir essen, um zu prüfen, ob ich ihrer Produkte auch würdig bin.»

Bei schönem Wetter machen es sich die Gäste im lauschigen Garten hinter dem mächtigen Steinhaus bequem. Vielleicht bewundern sie dort die originellen architektonischen Ausrufezeichen, die 2011 bei einer sanften Renovation des historischen Gebäudes entstanden sind. Vielleicht stecken sie die Nase aber auch gleich in die mit 135 Positionen besetzte Weinkarte des Hauses.

Für diese verantwortlich zeichnet Gastgeber David Donneaud. Nicht weiter als 300 Kilometer darf der hier ausgeschenkte Wein reisen. An dieser Grenze kratzen indes die wenigsten. Ein bisschen was kommt aus Frankreich, und auch ein paar Deutschschweizer finden sich auf der Karte, die grosse Mehrheit von Donneauds Weinen stammt jedoch aus der Romandie. Auffallend ist dabei die stolze Zahl (rund 30 Positionen) an Naturweinen, einem persönlichen Steckenpferd von Romano Hasenauer und David Donneaud.

Am besten lässt sich der Besucher in der Auberge de l’Abbaye de Montheron einfach fallen. «Die meisten Gäste fragen gar nicht mehr, was es gibt, sondern sagen nur noch die Anzahl Gänge an, die sie zu essen wünschen», so Donneaud. Ein ähnliches Vorgehen empfiehlt sich bei den zu sehr fairen Preisen kalkulierten Weinen. Zum Apéro gibts zum Beispiel einen wunderbar knackig-trockenen Chasselas Brut Nature aus Saint-Saphorin von Pierre Alain Dutoit, sehr atypisch, zumindest für die Waadt. «Auf der Nordseite des Genfersees, wo ich herkomme, scheint die Sonne nicht so stark, da sind viele Chasselas trocken», entgegnet Donneaud.

Zur Stracciatella, einer Verwandten des Mozzarella, mit Sommertomaten und Pesto passt dann der Altesse Nature von Henri Cruchon, ein mit 14,5 Volumenprozent wuchtiger, aber zugleich eleganter Naturwein aus Echichens. Weiter geht es mit dem Hechtfilet, Spinat, Fenchel, Aprikosenmousse sowie Beurre blanc, gefolgt von einem zarten, sous-vide-gegarten Jungschwein mit Zwiebel, Karotten und einer fantastischen Assemblage von Raymond Paccot (La Colombe Rouge Réserve 2016).

Bilden ein erfolgreiches Team: Gastgeber David Donneaud und Küchenchef Rafael Rodriguez
Bilden ein erfolgreiches Team: Gastgeber David Donneaud und Küchenchef Rafael Rodriguez
Waldschnepfe (Foto: Lionel Henriod)
Waldschnepfe (Foto: Lionel Henriod)

Ein richtig guter Grund, in der Auberge de l’Abbaye de Montheron Halt zu machen, sind auch die gereiften Chasselas-Weine vom bekannten Weingut Clos des Abbayes en Dézaley, die es hier exklusiv und vertikal zu verkosten gibt. Der Grund ist historisch bedingt. Das mittlerweile der Stadt Lausanne gehörende Weingut wurde im Mittelalter von den Zisterziensermönchen aus Montheron gegründet. «Da auch die Auberge Eigentum von Lausanne ist, haben wir Zugang zum Stadtkeller erhalten», sagt Donneaud mit leuchtenden Augen.

Doch wie altert Chasselas eigentlich? «Ausserordentlich gut», sagt Hasenauer. Bis ins Jahr 2000 seien die Weine erstaunlich frisch, anschliessend komme eine gewisse Oxidation hinzu, die an grüne Nüsse erinnert. «Aber es gibt nichts Besseres als einen alten Chasselas in Kombination mit einem alten, salzigen Greyerzer.» Zurzeit verfügbar sind die Jahrgänge zwischen 2007 und 1978, wobei der Preis pro Flasche erst ab (also vor) den Achtzigerjahren über 100 Franken steigt.

Jeweils im Herbst steigt dafür die Spannung bei Rafael Rodriguez und seiner Brigade. Jagdzeit ist Hochsaison in der Auberge. Dann brummt der Laden und tragen die Jäger ihre Tiere fast noch warm und am Stück ins Restaurant. «Wir wissen nie, was uns erwartet.» Und auch wenn in einer Woche drei Wildschweine à 200 Kilo ankommen, diskutiert Rodriguez nicht (weder den Preis noch den Fakt, dass er vielleicht ein Platzproblem hat), sondern bedankt sich beim Jäger und macht daraus Filet, Ragout oder Schinken, den er im fast 1000 Jahre alten Keller lufttrocknen lässt.

Spätestens im Oktober gilt es schliesslich, den Winter vorzubereiten – mit eigenem Sauerkraut, eingelegten Erdbeeren und Früchten, fermentierten Zwiebeln und vielem mehr. Was die Bauern der Umgebung nicht auf ihren Feldern haben, zieht Romano Hasenauer seit vier Jahren auf einer Permakultur auf 850 Metern über Meer gleich selbst. Neben einem Fruchtgarten gedeiht dort eine grosse Anzahl an Kräutern, von Wermut und Estragon über Gurken- und Eisenkraut bis hin zu alten, etwas in Vergessenheit geratenen Sorten wie beispielsweise Leimkraut. «Jedes Jahr probieren wir ein paar neue Sachen aus», erklärt Hasenauer.

Auf keinen Fall verpassen sollte man in der Auberge de l’Abbaye de Montheron die Desserts (und den Génépi, also den mit wilden Kräutern hausgemachten Likör). Einen Pacojet sucht man in der Küche von Rodriguez nämlich vergebens, dafür steht dort eine gute alte Glacemaschine. «Der Pacojet ist nichts für mich», sagt er und verdreht die Augen. Eine echte Glace müsse Luft kriegen und langsam montiert werden. Nun denn: Das Pré-Dessert von Rodriguez ist das ganze Jahr über grün und frisch, aber saisonal unterschiedlich zusammengesetzt, im Sommer etwa mit Gurkenglace, Fenchel-Granité und Minze. Darauf folgt eine Komposition von weisser Schokolade, Pfefferglace, Wildfrüchten und einem Tropfen Schweizer Balsamico, gemacht aus Obst und gereift im Gletscher. Noch so ein Produkt, das wunderbar schmeckt und sich am Wald- und Stadtrand entdecken lässt.


Auberge de l’Abbaye de Montheron
Route de l’Abbaye 2, 1053 Montheron
021 731 73 73
www.montheron.ch