«Wir Köche sind stärker gefordert als noch vor 20 Jahren.»
Sind Sie eine ehrgeizige Person?
Alexandra Ziörjen: Ja, doch, das kann man so sagen. Aber ich bin nicht krankhaft ehrgeizig. Es darf bei mir auch mal was schiefgehen, ohne dass ich gleich ausraste, dafür bin ich zu harmoniebedürftig. Ich halte nichts von den alten Küchenhierarchien. Disziplin ist wichtig, Ehrgeiz ebenso, aber man muss auch miteinander lachen können. Es muss Spass machen, morgens zur Arbeit zu kommen.
Aber zur Köchin geformt wurden Sie in ebendiesen traditionellen Strukturen.
Allerdings. Ich habe zehn Saisons im Hotel Palace in Gstaad absolviert, unter Peter Wyss. Und in der Zwischensaison suchte ich mir jeweils was anderes, mal hier, mal dort. In den jungen Jahren war das noch gut, auch wenn wir viel arbeiteten. Das hat sich stark verändert. Heute, so kommts mir oft vor, wollen die Köche zwei Wochen arbeiten und zehn Wochen Ferien.
Wie gehen Sie als Chefin mit einer solchen Arbeitsmoral um?
Ich finde halt, dass wir von einem Extrem ins andere gegangen sind. Früher arbeiteten wir 17 Stunden pro Tag und hielten die Klappe. Heute kratzt man an der Minute herum. Es müsste irgendwas in der Mitte sein. Voraussetzung dafür sind ein gutes Arbeitsklima und ein fairer Umgang untereinander.
Als Sie 2019 Ihren ersten Michelin-Stern erhielten, schrieben die Medien von einem Wunder. Bei Ihrer Ausbildung scheint die Auszeichnung allerdings eher eine logische Konsequenz zu sein.
Es wurde hochgeschaukelt, dass ich seit 2005 offiziell nicht mehr in der Küche gestanden war. Ich hänge das nie gerne an die grosse Glocke. Aber ich habe in meinem Jahrgang die beste Abschlussnote von ganz Deutschland erhalten und mit Ausnahme der Deutschen Meisterschaft alle Wettbewerbe gewonnen, an denen ich während der Lehrzeit teilnehmen durfte. Im Palace in Gstaad war ich der erste weibliche Chef de Partie überhaupt. Die handwerkliche Basis für einen Stern war mit Sicherheit da. Und ich betonte immer, dass ich auch in den letzten Jahren regelmässig gekocht hatte, etwa wenn mein damaliger Küchenchef seinen Freitag einzog. Das ging in der Berichterstattung unter. Die Geschichte war halt auch zu gut.
Sie lautete: Küchenchef setzt sich mitten in der Hauptsaison ohne Vorwarnung ab, Hoteldirektorin springt ein und erkocht sich, peng, einen Stern.
Und genau so wars eigentlich auch. Wir standen vor der Wildsaison, und mir fehlte fast eine komplette Brigade. Ich schaltete Annoncen, aber es kam nichts Vernünftiges rein. Also beschloss ich, wieder in die Küche zu gehen. Im Service waren wir gut aufgestellt. Ich wollte mich nicht verrückt machen lassen und plante, das Gourmetrestaurant Nova aufzugeben und nur noch eine anspruchsvolle Bistroküche anzubieten. Ich hatte bereits die Karten dafür geschrieben, als Michelin-Chefredaktor Ralf Flinkenflügel in einer der letzten Wochen essen kam und mir einen Stern in Aussicht stellte.
Wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt?
Zuerst einmal ist es wahnsinnig schnell rumgegangen. Ich bin als Köchin sicher gewachsen. Den Geschmackssinn hatte ich immer, aber das Kreative und das Feine waren ein bisschen eingeschlafen. Wir haben uns klar gesteigert. Wobei meine Prioritäten unverändert sind: Zuerst muss es meinen Kindern gut gehen, dann muss das Haus funktionieren, damit ich 14 Löhne bezahlen kann, und erst dann darf das Nova da sein, als kleines Gourmetrestaurant und als unser Stolz.
Was hat der Stern verändert?
Vieles. Als Erstes engagierte ich einen Sekretär, damit ich mich stärker aufs Restaurant konzentrieren konnte. Es ist seither einfacher, an gut ausgebildetes Personal zu kommen, dafür ist der Druck einiges höher. Wir wollten den Stern behalten – und haben das vor einem Monat auch geschafft. Dafür darf man sich in der Küche keine Fehler erlauben. Die Gäste werden viel kritischer, sobald man einen Stern an der Türe hängen hat. Nicht unbedingt die Stammgäste, aber es kommen eben auch viele neue, die nicht selten veritable Restaurantkritiker sind.