«Die Nachfrage nach Raclettekäsen hält seit Jahren an.»
Während sich die offizielle Käseschweiz über sinkende Exporte und zerfallende Preise beklagt, zeigt sich auf den Wochenmärkten der Schweiz ein völlig gegensätzlicher Trend. Etwa in Luzern: Samstag für Samstag ist es auf dem Markt ab acht Uhr morgens das gleiche Bild: Nicht bei den Gemüsehändlern, nicht bei den Fischern unter der Egg und auch nicht bei den zahlreichen Bäckern findet man die längsten Warteschlangen. Sondern bei den einheimischen Käsehändlern und Käsern. Um ein Stück seines würzigen dreijährigen Alpsbrinz’, ein Stück seines Ziegen-Alpkäses oder ein Alpjoghurt zu ergattern, warten die Leute vor Sälmi Töngis Käsestand auch mal zehn Minuten oder länger. Und das, obwohl sie beim Engelberger Alpkäser für ein Stück Käse das Doppelte von dem hinblättern, was sie für weniger schmackhafte Käse im Supermarkt bezahlen müssten. Beim bekannten Aargauer Käseaffineur Rolf Beeler ziehen die Leute seit Jahren gar Nummern wie bei der Post, damit sich die Ungeduldigen im frühmorgendlichen Gefecht um die reifsten Kreationen aus Beelers Käsekeller nicht vordrängeln. Die allermeisten jüngeren und etwas innovativen Schweizer Käsekreationen finden reissenden Absatz. Auch im Ausland, wie die offizielle Exportstatistik zeigt: Sank im ersten Halbjahr 2014 die exportierte Menge an Käse im Vergleich zur entsprechenden Vorjahresperiode, stiegen die Exporte zumindest im Wert. Das heisst, dass vor allem erstklassige und höherpreisliche Neukreationen aus den Käseküchen der innovativen und unabhängigen Käser zulegen konnten, derweil die grossen und bekannten Sorten mehrheitlich weiter unter die Räder geraten sind. Denn Standardkäse haben im Export kaum mehr eine nachhaltige Chance, während Spitzenkäse, neue Kreationen und vor allem erstklassige Rohmilchkäse zusehends auch im Ausland ihre Liebhaber finden.
Der in New York tätige Spitzenkoch Daniel Humm etwa präsentiert unter seiner Käseglocke fast ausschliesslich Produkte von Schweizer Käsekünstlern wie dem Toggenburger Willi Schmid oder dem Stanser Spitzenkäser Sepp Barmettler. Und der Vorreiter der schwedischen Spitzengastronomie, Mathias Dahlgren, setzt für seine Gerichte seit Jahren auf in kleinen Mengen in Dorfkäsereien hergestellten Sbrinz statt auf industriell verarbeiteten Parmesan. Das hat auch den Marketingprofi Christian Ekberg vor zwei Jahren dazu ermuntert, Schweizer Spitzenkäse nach Schweden zu exportieren. Mit Erfolg. Nebst Traditionskäsen wie Greyerzer und Emmentaler beliefert Ekberg mit seiner Firma Terroir Suisse die schwedischen Gourmets auch mit Willi Schmids Eigenkreationen wie der Bergfichte oder dem Jersey Blue oder dem von Rolf Beeler affinierten Alpkäse der Urner Alpkäserei Dreckloch.
Viele der jüngsten Kreationen der besten Schweizer Käseentwickler haben sich mittlerweile zu Klassikern entwickelt. Von der weisschimmligen Tomme fleurette des Waadtländer Käsers Michel Beroud über die Belper Knolle der Berner Jumi-Käser bis zum Jersey Blue von Willi Schmid oder dem Bachtelstein aus der Zürcher Oberländer Käserei Girenbad: Alle diese Käser und Käse haben für die neusten Entwicklungen im Schweizer Käsemarkt eine Vorreiterrolle übernommen.
Bildete die sämige Tomme fleurette bis vor wenigen Jahren die einsame Spitze bei den Schweizer Weissschimmelkäsen, haben nun auch die Biokäser von der Luzerner Agrovision in Alberswil einen weissschimmligen Weichkäse entwickelt, der sich zum Verkaufsrenner gemausert hat. Und der Buttwiler Käser Beat Meier hat in seiner Käserei einen weissschimmligen Ziegencamembert kreiert, der das Potenzial hat, in die Spitzenklasse der Schweizer Rohmilch-Weichkäse aufzurücken. «Wirklich gute einheimische Weissschimmelkäse haben wir noch immer zu wenige, da hoffe ich auf weitere innovative Produzenten, die auf diesen Zug aufspringen», sagt denn auch Käseaffineur Rolf Beeler. Kein Wunder, dass Tomme-König Michel Beroud vor einiger Zeit mit seinem «Délice» einen weiteren Weissschimmelkäse auf den Markt gebracht hat, der es auch mit dem besten französischen Traditions-Brie aufnehmen kann.
Auch im Bereich der Blauschimmelkäse hat die Schweiz in den vergangenen Jahren wieder zu einer Entwicklung gefunden, die vor genau 100 Jahren während der Zeit des Ersten Weltkriegs nicht nur zum Stillstand gekommen, sondern auch mit dem Wechsel der freien Schweizer Käsewirtschaft hin zur planwirtschaftlichen Käseunion gar völlig verdrängt worden war. Gab es um 1900 in der Schweiz mehrere Dutzend Käsereien, die Blauschimmelkäse herstellten, war es beim Zusammenbruch der Käseunion Ende der Neunzigerjahre nur mehr eine Handvoll. Heute finden sich in den Schweizer Käsetheken wieder einige Dutzend aussergewöhnliche blauschimmlige Kreationen. Spitzenkäser Schmid hat es mit seinem Jersey Blue, seiner Blauen Geiss und seinem Blauen Büffel vorgemacht, die Berner Crew von Jumi hat mit ihrem Blauen Hirni mit einem ebenso innovativen Produkt nachgezogen. Längst haben viele Konsumenten gemerkt, dass italienischer Gorgonzola zum grössten Teil nur noch als pasteurisierte und standardisierte Massenware im Supermarktregal landet und dass der einst aus Rohmilch gefertigte englische Stilton durch die zusehende Pasteurisierung der Milch an Charakter eingebüsst hat. Umso erfreulicher also, dass in der Schweiz die unterschiedlichsten blauschimmligen Neukreationen auf den Markt kommen. Etwa der blauschimmlige Raclettekäse der Zürcher Oberländer Käserei Camenzind. Für Fredy Bieri, der die regionale Käseorganisation «Züri natürli» im Zürcher Oberland leitet, ein Produkt mit guten Verkaufschancen: «Die Nachfrage nach Raclettekäsen mit den unterschiedlichen Gewürz- und Geschmacksrichtungen hält seit Jahren an, da lässt sich noch einiges rausholen.»