20.11.2016 Salz & Pfeffer 6/2014

Käse kreativ

Text: Dominik Flammer – Fotos: Tina Sturzenegger
Innovative Käser haben dem Schweizer Markt in den letzten Jahren zu einem regelrechten Schub verholfen. Sie bereichern die breite Palette an erstklassigen Rohmilchkäsen – und zeigen klar, wohin der Trend geht.
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«Die Nachfrage nach Raclettekäsen hält seit Jahren an.»

Während sich die offizielle Käseschweiz über sinkende Exporte und zerfallende Preise beklagt, zeigt sich auf den Wochenmärkten der Schweiz ein völlig gegensätzlicher Trend. Etwa in Luzern: Samstag für Samstag ist es auf dem Markt ab acht Uhr morgens das gleiche Bild: Nicht bei den Gemüsehändlern, nicht bei den Fischern unter der Egg und auch nicht bei den zahlreichen Bäckern findet man die längsten Warteschlangen. Sondern bei den einheimischen Käsehändlern und Käsern. Um ein Stück seines würzigen dreijährigen Alpsbrinz’, ein Stück seines Ziegen-Alpkäses oder ein Alpjoghurt zu ergattern, warten die Leute vor Sälmi Töngis Käsestand auch mal zehn Minuten oder länger. Und das, obwohl sie beim Engelberger Alpkäser für ein Stück Käse das Doppelte von dem hinblättern, was sie für weniger schmackhafte Käse im Supermarkt bezahlen müssten. Beim bekannten Aargauer Käseaffineur Rolf Beeler ziehen die Leute seit Jahren gar Nummern wie bei der Post, damit sich die Ungeduldigen im frühmorgendlichen Gefecht um die reifsten Kreationen aus Beelers Käsekeller nicht vordrängeln. Die allermeisten jüngeren und etwas innovativen Schweizer Käsekreationen finden reissenden Absatz. Auch im Ausland, wie die offizielle Exportstatistik zeigt: Sank im ersten Halbjahr 2014 die exportierte Menge an Käse im Vergleich zur entsprechenden Vorjahresperiode, stiegen die Exporte zumindest im Wert. Das heisst, dass vor allem erstklassige und höherpreisliche Neukreationen aus den Käseküchen der innovativen und unabhängigen Käser zulegen konnten, derweil die grossen und bekannten Sorten mehrheitlich weiter unter die Räder geraten sind. Denn Standardkäse haben im Export kaum mehr eine nachhaltige Chance, während Spitzenkäse, neue Kreationen und vor allem erstklassige Rohmilchkäse zusehends auch im Ausland ihre Liebhaber finden.

Der in New York tätige Spitzenkoch Daniel Humm etwa präsentiert unter seiner Käseglocke fast ausschliesslich Produkte von Schweizer Käsekünstlern wie dem Toggenburger Willi Schmid oder dem Stanser Spitzenkäser Sepp Barmettler. Und der Vorreiter der schwedischen Spitzengastronomie, Mathias Dahlgren, setzt für seine Gerichte seit Jahren auf in kleinen Mengen in Dorfkäsereien hergestellten Sbrinz statt auf industriell verarbeiteten Parmesan. Das hat auch den Marketingprofi Christian Ekberg vor zwei Jahren dazu ermuntert, Schweizer Spitzenkäse nach Schweden zu exportieren. Mit Erfolg. Nebst Traditionskäsen wie Greyerzer und Emmentaler beliefert Ekberg mit seiner Firma Terroir Suisse die schwedischen Gourmets auch mit Willi Schmids Eigenkreationen wie der Bergfichte oder dem Jersey Blue oder dem von Rolf Beeler affinierten Alpkäse der Urner Alpkäserei Dreckloch.

Viele der jüngsten Kreationen der besten Schweizer Käseentwickler haben sich mittlerweile zu Klassikern entwickelt. Von der weisschimmligen Tomme fleurette des Waadtländer Käsers Michel Beroud über die Belper Knolle der Berner Jumi-Käser bis zum Jersey Blue von Willi Schmid oder dem Bachtelstein aus der Zürcher Oberländer Käserei Girenbad: Alle diese Käser und Käse haben für die neusten Entwicklungen im Schweizer Käsemarkt eine Vorreiterrolle übernommen.

Bildete die sämige Tomme fleurette bis vor wenigen Jahren die einsame Spitze bei den Schweizer Weissschimmelkäsen, haben nun auch die Biokäser von der Luzerner Agrovision in Alberswil einen weissschimmligen Weichkäse entwickelt, der sich zum Verkaufsrenner gemausert hat. Und der Buttwiler Käser Beat Meier hat in seiner Käserei einen weissschimmligen Ziegencamembert kreiert, der das Potenzial hat, in die Spitzenklasse der Schweizer Rohmilch-Weichkäse aufzurücken. «Wirklich gute einheimische Weissschimmelkäse haben wir noch immer zu wenige, da hoffe ich auf weitere innovative Produzenten, die auf diesen Zug aufspringen», sagt denn auch Käseaffineur Rolf Beeler. Kein Wunder, dass Tomme-König Michel Beroud vor einiger Zeit mit seinem «Délice» einen weiteren Weissschimmelkäse auf den Markt gebracht hat, der es auch mit dem besten französischen Traditions-Brie aufnehmen kann.

Auch im Bereich der Blauschimmelkäse hat die Schweiz in den vergangenen Jahren wieder zu einer Entwicklung gefunden, die vor genau 100 Jahren während der Zeit des Ersten Weltkriegs nicht nur zum Stillstand gekommen, sondern auch mit dem Wechsel der freien Schweizer Käsewirtschaft hin zur planwirtschaftlichen Käseunion gar völlig verdrängt worden war. Gab es um 1900 in der Schweiz mehrere Dutzend Käsereien, die Blauschimmelkäse herstellten, war es beim Zusammenbruch der Käseunion Ende der Neunzigerjahre nur mehr eine Handvoll. Heute finden sich in den Schweizer Käsetheken wieder einige Dutzend aussergewöhnliche blauschimmlige Kreationen. Spitzenkäser Schmid hat es mit seinem Jersey Blue, seiner Blauen Geiss und seinem Blauen Büffel vorgemacht, die Berner Crew von Jumi hat mit ihrem Blauen Hirni mit einem ebenso innovativen Produkt nachgezogen. Längst haben viele Konsumenten gemerkt, dass italienischer Gorgonzola zum grössten Teil nur noch als pasteurisierte und standardisierte Massenware im Supermarktregal landet und dass der einst aus Rohmilch gefertigte englische Stilton durch die zusehende Pasteurisierung der Milch an Charakter eingebüsst hat. Umso erfreulicher also, dass in der Schweiz die unterschiedlichsten blauschimmligen Neukreationen auf den Markt kommen. Etwa der blauschimmlige Raclettekäse der Zürcher Oberländer Käserei Camenzind. Für Fredy Bieri, der die regionale Käseorganisation «Züri natürli» im Zürcher Oberland leitet, ein Produkt mit guten Verkaufschancen: «Die Nachfrage nach Raclettekäsen mit den unterschiedlichen Gewürz- und Geschmacksrichtungen hält seit Jahren an, da lässt sich noch einiges rausholen.»

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Nebst diesen Neukreationen erleben aber auch die lange Zeit vom halbstaatlichen Käsemarketing und auch von vielen Händlern vernachlässigten Alpkäse einen eindrucksvollen Aufschwung. Für den Zürcher Händler Sämi Spörri von der Firma Tritt-Käse, die ihre Produkte auf den Zürcher Wochenmärkten und in der Markthalle im Viadukt im Zürcher Kreis fünf anbietet, hält die steigende Nachfrage für erstklassige Alpkäse seit einigen Jahren an. So dass der eine oder andere Alpkäser auch den Mut findet, seine Preise um den einen oder anderen Franken zu erhöhen. «Erfreulich ist, dass die Leute dank der Arbeit der Käseaffineure merken, dass etwa erstklassiger, wirklich ausgereifter Emmentaler ein völlig anderer Käse ist als das, was über Jahre als junger Gummi-Emmentaler verkauft wurde», so Spörri. «Wir konnten in diesem Bereich die Verkäufe in den vergangenen zwei Jahren fast verdoppeln.»

Für Alpkäse sowie erstklassige halbharte und harte Rohmilchkäse aus einheimischer Produktion haben sich die Absatzchancen aber auch aus einem ganz anderen Grund verbessert. Tatsächliche oder vermeintliche Laktoseintoleranz, also die Unverträglichkeit von Milchzucker, lassen die Nachfrage laut Fredy Bieri steigen. «Nach drei Monaten Reifung enthalen diese Käse überhaupt keinen Milchzucker mehr», sagt er. Da dies aber das Verkaufspersonal nur in den wenigsten Fällen wisse, würden viele Käser damit beginnen, dies bei ihren gereiften Käse offensiv zu deklarieren. Das dürfte auch ein wichtiger Grund dafür sein, dass der deutliche Trend hin zu mehr Ziegen- und Schafmilchkäsen auch in der Schweiz anhält. Denn Laktoseintolerante haben fast ausschliesslich Probleme mit dem Milchzucker aus der Milch von Kühen, kaum aber mit jenem in Ziegen- oder Schafkäsen.

Ein aussergewöhnliches Ziegenkäseprodukt, das in der Gastronomie wie auch auf den Märkten reissenden Absatz findet, hat der Nidwaldner Ziegenzüchter Toni Odermatt vor etwa zwei Jahren auf den Markt gebracht: einen vollmilchigen, mit Buchenholz geräucherten Ziegenricotta, den er in der eigenen Käserei auf dem Hof Meierskählen ob Stans herstellt und zu grossen Teilen direkt vermarktet. Über mangelnde Nachfrage muss sich der Innerschweizer Slow-Food-Vorreiter nicht beklagen. Auch seine Frischkäserollen aus Ziegenmilch gehören in der Luzerner Spitzengastronomie längst zum regionalen Pflichtprogramm.

Das Potenzial ist noch längst nicht ausgeschöpft, insbesondere bei den Frischkäsen mangelt es noch an wahren Innovationen. Erst im Juli hat der Biobetrieb Gruebisbalm oberhalb von Vitznau am Vierwaldstättersee damit begonnen, Milch vom Bündner Grauvieh zu gewürzten Frischkäsen zu verarbeiten. Unter der Marke Rigi-Rolle hat man dort erste Versuche mit Zigerklee, Wildthymian und Rosmarin gestartet. Ob es zu weiteren Versuchen kommt, ist allerdings jetzt schon unsicher: Die Käse, die sie als Experiment erst entwickelt haben, sind meist schon verkauft, bevor sie überhaupt verpackt sind.

Bezugsquellen

Geräucherter Ziegenricotta: Toni Odermatt, Geissäheimet, Meierskählen, 6370 Stans, 079 221 63 31, 041 610 11 09 www.meierskaehlen.ch

Ziegencamembert: Beat Meier, Käserei Berglinde, Dorfstrasse 1, 5632 Buttwil, 056 664 56 32, www.kaeserei-berglinde.ch

Blauschimmel-Raclette: Käserei Camenzind, Rumlikerstrasse 4, 8320 Fehraltorf, 044 954 11 32, www.kaeserei-camenzind.ch

Weissschimmel-Käse – Cru de Rougemont: Le Délice Michel Beroud, Fromagerie Fleurette, Route de Flendruz 4, 1659 Rougemont, 026 925 82 10, www.tommefleurette.ch

Bio-Tomme: Andi Lieberherr, Agrovision, Burgrain 8, 6248 Alberswil, 041 980 39 93, www.agrovision.ch