31.08.2021 Salz & Pfeffer 4/2021

Kaffee als Lehrstück

Interview: Sarah Kohler – Fotos: Njazi Nivokazi
Was hat die Qualität in der Tasse mit dem Weltgeschehen zu tun? Und warum sollten Gastronomen ihre Rezepte ins Internet stellen? Kaffeemacher Benjamin Hohlmann hat klare Ansichten – und teilt sie aus Überzeugung.
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«Die Begegnung mit einem guten Produkt provoziert.»

Lassen Sie uns bei Ihrer Person anfangen: Wie nennen Sie eigentlich, was Sie beruflich tun?
Benjamin Hohlmann: Ich bin ein Social Coffeepreneur. Ich messe Erfolg nicht einfach daran, wie eine Firma finanziell abschneidet, sondern schaue sie in ihrer Gesamtheit an: soziale und ökologische Faktoren inklusive. Wenn ich meinen Ertrag auf der Basis von Raubbau generiere, bin ich gesamtheitlich gesehen als Unternehmer nämlich nicht erfolgreich. Das ist für uns bei den Kaffeemacher:innen zentral. Denn was heisst es schon, wenn wir am Jahresende nur die Erfolgsrechnung und die Bilanz anschauen? Was sagt es über die menschlichen Entwicklungen, die im Laufe eines Jahres in einer Firma passieren, was über die Klimabilanz des Unternehmens? Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft immer mehr Firmen sehen werden, die Erfolg gesamthafter deuten. Da rückt eine Generation nach, die Unternehmertum auch als Instrument begreift, um Herausforderungen unserer Zeit zu lösen. Ihr gehts nicht nur darum, ein Plus an Geld zu generieren, sondern um Mehrwert – und den findet man da, wo eine menschliche Begegnung stattfindet, wo sich jemand persönlich entwickeln kann.

Kann man sich darauf nicht erst konzentrieren, wenn die Zahlen mal stimmen?
Ja und nein. Natürlich muss ein Unternehmer gut rechnen. Aber wer den finanziellen Ertrag von Anfang an als Mittel sieht, um seine weiteren Ziele zu erreichen, und in diesem Sinn mit seinem Team umgeht, ist mit einem anderen Groove unterwegs.

Ihr Interesse am Unternehmertum ist offensichtlich. Warum aber ausgerechnet im Bereich von Kaffee?
Ich verspürte einfach früh die Sehnsucht, etwas richtig gut zu können. Als Waldorfschüler lernte ich von allem ein bisschen, ich war ein Allrounder. Aber ich wollte mich spezialisieren. Dass dann der Kaffee kam, war ein Stück weit Zufall.

Nun eignet sich dieser ja ganz gut, um Unternehmertum mit sozialem Fokus zu betreiben.
Total! Kaffee ist ein kleines Mosaik der Erde. In Bezug auf Kaffee können wir über Agronomie sprechen, über die Arbeits- und Lebensbedingungen in der ganzen Welt, wir können die Börse und Spekulationen verstehen, Handelswege nachvollziehen, wir können uns Containerschiffe anschauen, innereuropäische Abhängigkeitsverhältnisse erkennen und uns fragen, warum weltweit der grösste Teil des Rohkaffees über die Schweiz abgewickelt wird – nicht physisch, wohlgemerkt. Aber das Lehrstück geht über Produktion und Handel hinaus.

Nämlich?
Dann kommt der Veredelungsmoment, in dem Traditionen lange eine dominante Rolle spielten. Es gibt heute noch Röster, die seit 30 Jahren an ihrem Geheimrezept festhalten und sich nicht entwickeln. Dieses alte Handwerk aber steckt mitten im Spannungsfeld von sich verändernden Geschmacksbedürfnissen und neuen Systemen wie Kapselmaschinen. Und am Ende ist da das soziale Feld des Konsums: Kaffeetrinken ist eine Form der Begegnung, des Genusses. Wir können uns fragen: Wie kommt das Produkt beim Konsumenten an? Wie geht er damit um? Kaffee ist das einzige Getränkeprodukt, das unfertig zur Konsumentin nach Hause kommt.

Das heisst: Am Ende kann es der Laie dann noch versauen.
Absolut. Wobei: Das kann man entlang dieser Kette an jeder Stelle. Und anders als in vielen Industrien, etwa in der Kakaoproduktion, sind beim Kaffee die meisten Unternehmen nur in einem Bereich der Wertschöpfung tätig. Nespresso hat inzwischen eigene Anbaugebiete, aber sonst tummeln sich da viele Einzelplayer, die nicht zwingend gut kommunizieren. Das hat sich in den letzten fünf Jahren allerdings massiv verbessert.

Warum?
Soziale Medien. Sie schaffen Transparenz, es gibt weniger Anonymität und mehr Wege, direkt miteinander zu reden. Ich kann den Produzenten heute, wenn ich will, direkt ansprechen, ihn besuchen und erfahren, wie schlecht es für ihn läuft. Umgekehrt hat er die Chance, mich zu fragen, was wir in unserem Markt in ein paar Jahren eigentlich brauchen. Das Wissensmonopol bei den Händlern und Zwischenhändlern hat sich erledigt.

Mit den Kaffeemacher:innen sind Sie, ausser im Handel, in allen Bereichen der Wertschöpfungskette tätig. Welche Überlegung steckt dahinter?
Für uns ist die Verbindung der Felder elementar, weil wir lernen und verstehen wollen. Wir möchten die Jahresrechnung einer Farm mal selber in den Sand gesetzt haben und spüren, was es heisst, wenn es eben nicht funktioniert – oder wenn sich der Preis von Dünger plötzlich verändert. Unsere Konstellation mit Akademie, Gastronomie, Shop, Rösterei und Farm ist einzigartig: Wir sind überall drin, aber immer nur ganz klein.

Sie arbeiten seit 14 Jahren mit Kaffee. Wie hat sich die Schweizer Gastronomie in diesem Bereich seither entwickelt?
Sie hat sich gesamthaft stark verbessert; nicht nur an der Spitze, sondern auch in der Breite. In der Systemgastronomie und in Hotels hat Kaffee nach wie vor einen schwierigen Stand, aber der Markt hat in den letzten Jahren viele Leute ausgebildet, das Rohprodukt wurde besser, es gibt in der Schweiz immer mehr tolle Röstereien und Lokale mit Spezialitätenkaffee. Ausserdem entwickeln die Konsumenten zunehmend ein Bewusstsein für gut gemachten Kaffee.

Auf Letztere möchten Sie den Fokus mit dem Haus des Kaffees, das Sie Anfang 2022 eröffnen, noch stärker legen.
Richtig. In der Gastronomie und der Rösterei haben wir uns klare Zielgrössen gesetzt, über die wir nicht hinauswachsen wollen. Momentan sehen wir unsere Aufgabe tatsächlich darin, den Leuten daheim noch mehr Wissen zu vermitteln. Das Haus des Kaffees bietet in seiner kompakten Form und mit seiner zentralen Lage eine Plattform für den Austausch zwischen all den Playern entlang der Kaffeekette. Es ist der physische Gegenpol zum Virtuellen, das wir in den letzten Jahren erschaffen haben. Und das Interesse an unseren Schulungen ist enorm: Unsere Home-Barista-Kurse sind bis Oktober ausgebucht, und das Online-Pendant besuchten letztes Jahr sage und schreibe 1000 Personen.

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Da spielte vermutlich die Pandemie mit rein.
Sicher, aber nicht nur. Es ist ein Wechselspiel: Die Leute bekommen inzwischen auch auswärts immer mal wieder einen guten Kaffee – und fragen sich, wie sie den zu Hause hinbekommen. Die Begegnung mit einem guten Produkt provoziert.

Ihre Devise ist es, Ihr ganzes Know-how im Internet zugänglich zu machen.
Ein zentrales Anliegen unserer unternehmerischen Idee war von Anfang an, Kaffeewissen weiterzugeben – in unseren Kursen, aber eben auch darüber hinaus. Also schrieben wir Kolumnen und unzählige Blogs, inzwischen drehen wir auch regelmässig Videos, die wir mit Artikeln ergänzen. Die Entscheidung, nichts, was wir wissen, für uns zu behalten, brachte uns durchaus Skepsis ein: Wenn wir die Inhalte gratis ins Netz stellen, bucht doch keiner mehr einen Kurs bei uns, hiess es. Das Gegenteil ist der Fall.

Können Sie das erklären?
Unsere Videos und Blogs verleihen uns ein Profil. Wenn sich Leute online über Kaffeekurse informieren, finden sie uns – und sie können einschätzen, ob ihnen unser Angebot und unsere Art passen. Wir sind sichtbar, mit unserer Kompetenz und mit unserer Begeisterung: Das ist ein starkes Argument.

Bleibt die Frage: Hat der potenzielle Besucher des Workshops nicht schon alles online erfahren, was Sie vermitteln?
Das glaube ich nicht. Aber selbst wenn der unwahrscheinliche Fall eintreten würde, dass eine Kursteilnehmerin in einem Workshop nichts mehr Neues erfährt, würde sie am Ende lediglich im Nachhinein für einen Inhalt bezahlen, den sie vorher kostenlos von uns bezogen hat. Was uns auffällt: Die Leute besuchen unsere Schulungen heute mit einem ganz anderen Vorwissen als früher. Wir starten auf einem höheren Level und können uns mehr auf die Praxis konzentrieren, weil viele unsere Videos schon kennen.

Die Zahlen sprechen für sich.
Ja, im Monat gehen schnell mal 60000 Menschen auf unsere Kaffeemacher.ch-Seite. Und auf Youtube wurden unsere Filme in den letzten zwölf Monaten total 65 Jahre angeschaut. Das ist imposant.

Potenzial sehen Sie online auch für Gastronomen. Woran denken Sie?
Wenn ich sehe, wie brach gewisse Restaurant-Websites liegen, bin ich frustriert. Natürlich haben sich viele Wirte bislang nicht mit dem Thema beschäftigt, aber es braucht wirklich nicht so viel, um in den Ergebnissen der Suchmaschinen weiter vorn angezeigt zu werden. Im Prinzip gehts nur um Content.

Wie bekommt man den?
Ein Beispiel: Wenn meine Gäste mein Tiramisu lieben, stelle ich das Rezept online. Ich verfasse einen Beitrag: Viele sagen, mein Tiramisu sei das beste der Stadt, hier ist das Rezept zum Nachkochen! Am besten mit Videoanleitung, weil man damit in den Suchmaschinen automatisch besser platziert wird. Sowas geht sofort viral, das greifen alle auf. Und das wiederum erhöht das Ranking meiner ganzen Seite – und damit meine Sichtbarkeit.

Und mein Tiramisu bestellen die Leute trotzdem noch?
Vermutlich steigert sich da der Absatz sogar. Nur: Ohne Content läuft es nicht, viele Restaurant-Websites sind statisch, mehr als Menükarte und Öffnungszeiten findet man darauf nicht.

Ein Argument dürfte sein: Für mehr bleibt keine Zeit.
Das ist ein Punkt. Wer anderweitig Werbung oder Marketing betreibt, soll lieber darauf verzichten. Aber ja, Online-Content zu erstellen, ist ein Aufwand. Wir haben uns dafür entschieden, die Aufgabe zu einem Kerngeschäft unseres Unternehmens gemacht und verwenden im Schnitt zwei Arbeitstage die Woche auf die Produktion von solchen Inhalten. So weit muss selbstverständlich keiner gehen. Aber mit etwas Content im Internet eine Tür zu öffnen, damit Menschen, die ohnehin auf der Suche nach einem Angebot wie meinem sind, mich auch finden, das lohnt sich doch schon. Oder?

Benjamin Hohlmann (38) versteht sich als Social Coffeepreneur. Sein Weg zum Kaffee führte ihn über das Abitur im Ruhrgebiet, ein soziales Jahr in einem Kinderheim in Bolivien, ein angefangenes Jurastudium in Mainz und den Einstieg in die Geschäftsführung einer von Freunden gegründeten NGO, die in Brasilien ein kleines Sozialforum organisierte. Weil sich deren Sitz im Co-Working-Space des Restaurants Unternehmen Mitte in Basel befand, rutschte Hohlmann im Jahr 2007 in die Gastronomie: Er übernahm den vakanten Posten des Wirts. Die Beschäftigung mit dem Thema Kaffee folgte und intensivierte sich alsbald. Die Suche nach guten Röstungen für sein Lokal eröffnete Hohlmann die Welt des Spezialitätenkaffees und brachte ihn der Barista-Szene näher. Er begann, Kurse zu belegen, an Wettbewerben teilzunehmen und die Herkunftsländer seiner Kaffees zu bereisen. 2013 gründete er das Projekt Kaffeemacher in Münchenstein, 2017 die gleichnamige GmbH. Inzwischen gehören dazu zwei Gastrobetriebe, eine Rösterei, ein Online-Shop, eine Akademie sowie eine Farm in Nicaragua. Anfang 2022 läutet das Unternehmen mit dem Umzug ins neu gegründete Haus des Kaffees im Basler Gundeliquartier eine neue Ära ein.
kaffeemacher.ch

Vom 3. bis 5. September findet das Swiss Coffee Festival in der Halle 622 in Zürich statt. Hier dreht sich alles um Spezialitätenkaffee und treffen sich Konsumenten, Produzentinnen, Rösterinnen sowie Maschinen- und Tool-Hersteller zum ungezwun-genen Austausch – Verkostung und Tipps vom Profi inklusive. Erwartet werden mehr als 60 Aussteller (darunter Kaffeemacher:innen) und rund 1200 Besucherinnen pro Tag. Tagestickets sind zum Preis von zehn Franken auf Eventfrog oder vor Ort erhältlich (Eintritt nur mit Covid-Zertifikat). Erstmals durchgeführt wird im Rahmen des Festivals die Swiss Coffee Challenge: In fünf Disziplinen (Service, Latte Art, Espresso, Brewing, Origin) zeigen Teams, dass Kaffee keine Einzelleistung ist. Weitere Infos zum Festival und zur Challenge gibts online.
swisssca.ch