«Die Begegnung mit einem guten Produkt provoziert.»
Lassen Sie uns bei Ihrer Person anfangen: Wie nennen Sie eigentlich, was Sie beruflich tun?
Benjamin Hohlmann: Ich bin ein Social Coffeepreneur. Ich messe Erfolg nicht einfach daran, wie eine Firma finanziell abschneidet, sondern schaue sie in ihrer Gesamtheit an: soziale und ökologische Faktoren inklusive. Wenn ich meinen Ertrag auf der Basis von Raubbau generiere, bin ich gesamtheitlich gesehen als Unternehmer nämlich nicht erfolgreich. Das ist für uns bei den Kaffeemacher:innen zentral. Denn was heisst es schon, wenn wir am Jahresende nur die Erfolgsrechnung und die Bilanz anschauen? Was sagt es über die menschlichen Entwicklungen, die im Laufe eines Jahres in einer Firma passieren, was über die Klimabilanz des Unternehmens? Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft immer mehr Firmen sehen werden, die Erfolg gesamthafter deuten. Da rückt eine Generation nach, die Unternehmertum auch als Instrument begreift, um Herausforderungen unserer Zeit zu lösen. Ihr gehts nicht nur darum, ein Plus an Geld zu generieren, sondern um Mehrwert – und den findet man da, wo eine menschliche Begegnung stattfindet, wo sich jemand persönlich entwickeln kann.
Kann man sich darauf nicht erst konzentrieren, wenn die Zahlen mal stimmen?
Ja und nein. Natürlich muss ein Unternehmer gut rechnen. Aber wer den finanziellen Ertrag von Anfang an als Mittel sieht, um seine weiteren Ziele zu erreichen, und in diesem Sinn mit seinem Team umgeht, ist mit einem anderen Groove unterwegs.
Ihr Interesse am Unternehmertum ist offensichtlich. Warum aber ausgerechnet im Bereich von Kaffee?
Ich verspürte einfach früh die Sehnsucht, etwas richtig gut zu können. Als Waldorfschüler lernte ich von allem ein bisschen, ich war ein Allrounder. Aber ich wollte mich spezialisieren. Dass dann der Kaffee kam, war ein Stück weit Zufall.
Nun eignet sich dieser ja ganz gut, um Unternehmertum mit sozialem Fokus zu betreiben.
Total! Kaffee ist ein kleines Mosaik der Erde. In Bezug auf Kaffee können wir über Agronomie sprechen, über die Arbeits- und Lebensbedingungen in der ganzen Welt, wir können die Börse und Spekulationen verstehen, Handelswege nachvollziehen, wir können uns Containerschiffe anschauen, innereuropäische Abhängigkeitsverhältnisse erkennen und uns fragen, warum weltweit der grösste Teil des Rohkaffees über die Schweiz abgewickelt wird – nicht physisch, wohlgemerkt. Aber das Lehrstück geht über Produktion und Handel hinaus.
Nämlich?
Dann kommt der Veredelungsmoment, in dem Traditionen lange eine dominante Rolle spielten. Es gibt heute noch Röster, die seit 30 Jahren an ihrem Geheimrezept festhalten und sich nicht entwickeln. Dieses alte Handwerk aber steckt mitten im Spannungsfeld von sich verändernden Geschmacksbedürfnissen und neuen Systemen wie Kapselmaschinen. Und am Ende ist da das soziale Feld des Konsums: Kaffeetrinken ist eine Form der Begegnung, des Genusses. Wir können uns fragen: Wie kommt das Produkt beim Konsumenten an? Wie geht er damit um? Kaffee ist das einzige Getränkeprodukt, das unfertig zur Konsumentin nach Hause kommt.
Das heisst: Am Ende kann es der Laie dann noch versauen.
Absolut. Wobei: Das kann man entlang dieser Kette an jeder Stelle. Und anders als in vielen Industrien, etwa in der Kakaoproduktion, sind beim Kaffee die meisten Unternehmen nur in einem Bereich der Wertschöpfung tätig. Nespresso hat inzwischen eigene Anbaugebiete, aber sonst tummeln sich da viele Einzelplayer, die nicht zwingend gut kommunizieren. Das hat sich in den letzten fünf Jahren allerdings massiv verbessert.
Warum?
Soziale Medien. Sie schaffen Transparenz, es gibt weniger Anonymität und mehr Wege, direkt miteinander zu reden. Ich kann den Produzenten heute, wenn ich will, direkt ansprechen, ihn besuchen und erfahren, wie schlecht es für ihn läuft. Umgekehrt hat er die Chance, mich zu fragen, was wir in unserem Markt in ein paar Jahren eigentlich brauchen. Das Wissensmonopol bei den Händlern und Zwischenhändlern hat sich erledigt.
Mit den Kaffeemacher:innen sind Sie, ausser im Handel, in allen Bereichen der Wertschöpfungskette tätig. Welche Überlegung steckt dahinter?
Für uns ist die Verbindung der Felder elementar, weil wir lernen und verstehen wollen. Wir möchten die Jahresrechnung einer Farm mal selber in den Sand gesetzt haben und spüren, was es heisst, wenn es eben nicht funktioniert – oder wenn sich der Preis von Dünger plötzlich verändert. Unsere Konstellation mit Akademie, Gastronomie, Shop, Rösterei und Farm ist einzigartig: Wir sind überall drin, aber immer nur ganz klein.
Sie arbeiten seit 14 Jahren mit Kaffee. Wie hat sich die Schweizer Gastronomie in diesem Bereich seither entwickelt?
Sie hat sich gesamthaft stark verbessert; nicht nur an der Spitze, sondern auch in der Breite. In der Systemgastronomie und in Hotels hat Kaffee nach wie vor einen schwierigen Stand, aber der Markt hat in den letzten Jahren viele Leute ausgebildet, das Rohprodukt wurde besser, es gibt in der Schweiz immer mehr tolle Röstereien und Lokale mit Spezialitätenkaffee. Ausserdem entwickeln die Konsumenten zunehmend ein Bewusstsein für gut gemachten Kaffee.
Auf Letztere möchten Sie den Fokus mit dem Haus des Kaffees, das Sie Anfang 2022 eröffnen, noch stärker legen.
Richtig. In der Gastronomie und der Rösterei haben wir uns klare Zielgrössen gesetzt, über die wir nicht hinauswachsen wollen. Momentan sehen wir unsere Aufgabe tatsächlich darin, den Leuten daheim noch mehr Wissen zu vermitteln. Das Haus des Kaffees bietet in seiner kompakten Form und mit seiner zentralen Lage eine Plattform für den Austausch zwischen all den Playern entlang der Kaffeekette. Es ist der physische Gegenpol zum Virtuellen, das wir in den letzten Jahren erschaffen haben. Und das Interesse an unseren Schulungen ist enorm: Unsere Home-Barista-Kurse sind bis Oktober ausgebucht, und das Online-Pendant besuchten letztes Jahr sage und schreibe 1000 Personen.