04.02.2019 Salz & Pfeffer 1/2019

Keine Angst!

Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Marius Frehner kocht mit all seinen Sinnen und dem Mut, immer mal wieder zu scheitern. Ein Gespräch über grosse Gesten, die offene Glut und furchtlose Gäste.
gamper-1015.jpg
Birne im Safransud pochiert mit Schokoladenkuchen und Birnel-Crème-Chantilly
gamper-1004.jpg

«Bei nur drei oder vier Komponenten entscheiden Nuancen.»

Wovon träumen Sie?
Marius Frehner: Meine Träume haben alle etwas mit grossen Betrieben zu tun. Läden wie die Brasserie Georges in Lyon faszinieren mich. Mir gefällt ihre Grosszügigkeit, die Klasse. Ein anderer Traum von mir ist ein Restaurant mit eigenem Bauernhof, ein in sich geschlossener Kreislauf, vielleicht mit einem Kulturangebot, ein Ort, an dem verschiedene Disziplinen zusammenkommen. So was würde mich wahnsinnig reizen.

Aber?
Die Schweiz ist nun mal klein. Und was gross ist, wird extra klein gemacht. Es gäbe ja schon solche Räumlichkeiten, etwa in Zürich, aber da baut man dann kleine Strukturen rein, um es wieder heimelig zu machen. Vielleicht weil man Angst hat vor den grossen Gesten.

Sie hatten keine Angst, als Sie vor zwei Jahren das Gamper eröffneten?
Ich war eher frustriert. Alle sagten, dass es nicht gehe, dass das Restaurant zu klein sei und sowieso 80 Prozent aller Beizen defizitär seien. Aber ich sagte mir, das kann doch gopfertelli nicht sein, und wollte es einfach wissen. Ich habe keine Angst vor dem Scheitern, das gehört dazu, und ich scheitere ständig an irgendwelchen Sachen. Ich kann hier immer noch grandios untergehen, aber wenigstens habe ich es dann probiert. In den ersten zwei Jahren sind wir im Gamper mit einer schwarzen Null rausgekommen. Das ist grossartig. Reich wirst du eh nicht, aber wen interessierts? Geld kann man nicht fressen.

Alles oder nichts?
Ich entschloss mich damals, ins Wasser zu springen und loszuschwimmen. Aber ich muss irgendwann irgendwo ankommen, denn um zurückzuschwimmen, dafür reichts nicht mehr.

Sie waren zur Hochblüte der Molekularküche in Barcelona, wie wars?
David Martinez Salvany verschaffte mir nach der Lehre den ersten Kontakt. Das rechne ich ihm hoch an. Ich habe es geliebt, es war die schönste Zeit meines bisherigen Kochlebens. Dort zu sein, Vollgas zu geben mit all den anderen, die auch Vollgas gaben. Das El Celler de Can Roca hatte damals zwei Sterne, von Kopenhagen redete noch niemand. Köche von überall her kamen nach Barcelona, um zu lernen. Aus dieser Zeit kenne ich Leute aus Mexiko, Chile, Brasilien oder den USA, die mittlerweile selbst Restaurants betreiben. Es war auch fürs Netzwerk unbezahlbar.

Auch Ihre Liebe zum Grill wurde in Barcelona entfacht.
Im Abac war ich ein Jahr lang Grillchef. Ab dann wusste ich, dass ich niemals mehr in einem Restaurant ohne Grill arbeiten will. Das Kochen auf der offenen Glut macht mir am meisten Spass.

Warum?
Weil man mit sämtlichen Sinnen dabei sein muss. Ein Grill ist nie gleich, nicht messbar und das Kochen darauf dadurch viel schwieriger. Alles ist wichtig, die Temperatur, die Geräusche, und es passieren zwangsläufig Fehler. Plötzlich hat man einen Sack Kohle, der komplett anders funktioniert als jener davor. Dann muss man reagieren, die richtigen Massnahmen ergreifen, damit man die Hitze wieder in den Griff kriegt. Das finde ich wahnsinnig spannend.

Sind Holzkohle und rustikal reduzierte Kompositionen nicht eher das Merkmal der Neuen Nordischen Küche?
Das finde ich nicht. Klar, 2006 war die Hochzeit der Molekularküche und das El Bulli das beste Restaurant der Welt. Allerdings verkennt man oft, dass vor 35 Jahren viele Gerichte von Ferran Adrià oder den Roca-Brüdern ziemlich einfach waren und ähnlich daherkamen wie meine jetzt hier.

Das müssen Sie erklären.
Das El Celler de Can Roca zum Beispiel war ein Familienrestaurant mit traditionellen Speisen und Aromen, die man über Jahrzehnte weitergesponnen und verfeinert hat. Irgendwann entstanden daraus 30 Gänge und drei Sterne. Blöd gesagt: Wenn ich das hier lange genug gut mache, könnte ich vielleicht auch irgendwann avantgardistisch kochen, aber zuerst muss ich ja mal die Basis verstehen. Meine Teller schauen vielleicht rustikal aus, sind in ihrer Einfachheit aber nicht so leicht zu kochen. Bei nur drei oder vier Komponenten machen Nuancen den Unterschied aus zwischen okay und richtig gut.

Wieso kann man im Gamper nicht reservieren?
Das Lokal hat maximal 35 Plätze. Ich kann mir schlicht nicht leisten, dass eine Gruppe für einen am Samstagabend auf acht Uhr reservierten Tisch nicht auftaucht. Und das passiert dauernd. Klar, bestimmte Leute kommen deswegen gar nicht erst zu uns, weil sie die Sicherheit einer Reservation brauchen. Ich sehe das als eine Art Filter. Es braucht ein bisschen Mut und Lockerheit, um an einem Freitagabend einfach so bei uns reinzulaufen, ohne gleich einen Platz auf sicher zu haben. Ängstliche Gäste haben wir darum nicht viele. Das hilft später beim Essen, da wir ja keine Karte haben.

Halber Schweinskopf aus dem Ofen
Halber Schweinskopf aus dem Ofen
gamper-1019.jpg
gamper-1037.jpg
Kardy, Rahm, schwarzer Knoblauch
Kardy, Rahm, schwarzer Knoblauch
Kardy, Rahm, schwarzer Knoblauch
Kardy, Rahm, schwarzer Knoblauch
gamper-1014.jpg
gamper-1003.jpg
gamper-1029.jpg
gamper-1041.jpg

Wie kommt das an?
Recht gut. Die Gäste müssen mir einfach vertrauen. Wenige essen von sich aus einen Schweinskopf. Oder Rosenkohl, weil sie nämlich nur den lausig gemachten aus dem Selbstbedienungsrestaurant kennen. Aber im Ofen geröstet mit Schafskäse schmeckt der geil. Weil wir ohne Karte arbeiten, kann ich die Küche optimal planen und den Pro-Kopf-Umsatz generieren, den wir zum Überleben brauchen.

Und wenn jemand partout etwas anderes möchte?
Ich habe immer verschiedene Tiere und genügend Sachen im Haus, um jederzeit komplett unterschiedliche Menüs zu kochen. Auch vegane Varianten sind kein Problem.

Wie gehen Sie mit Kritik um?
Ich finde es sogar hilfreich, wenn uns jemand auf einer Bewertungsplattform schlecht benotet und dabei schreibt, wieso, etwa weil es bei uns zu laut und lebhaft sei. Alle, die auch so denken, kommen so erst gar nicht. Klar, wenn man nur schlechte Bewertungen hat, macht man was falsch. Aber es ist völlig okay, uns nicht gut zu finden.

Sie haben vier Tage pro Woche und ausschliesslich abends offen. Wie kommen Sie finanziell durch?
Anders geht es einfach nicht. Wir brauchen drei Tage ohne Service. Meine Köche bolzen auch so noch Überstunden, weil wir alles von der Pike auf kochen. Mindestens ein Tag geht drauf, weil ich den Produkten nachrenne, die Bauern persönlich treffe. Wenn man über die Gastronomie spricht, gehts ja immer ganz schnell ums Ökonomische und viel zu selten um die wirklich wichtigen Themen.

Zum Beispiel?
Darum, wie man Verantwortung übernimmt. Ich bin immer wieder erschüttert, wie viele Spitzenköche, die ja eine Vorbildfunktion haben, nicht einmal wissen, was es eigentlich bedeutet, Produkte wie Avocado, Kaisergranat, Thunfisch oder Pulpo auf die Karte zu nehmen. Ich mag Pulpo auch, aber Fakt ist, dass es fast keinen mehr gibt, einige Unterarten sind bereits weg. Bei den Avocados ist der Wasserverbrauch enorm. Klar soll ein Koch in Chile damit arbeiten. Aber ich als Schweizer? Nur weil es das Einfachste ist, für das Fett im veganen Gang Avocado zu verwenden? Es ist an uns Köchen, die wir jeden Tag mit Nahrungsmitteln arbeiten, dieses Bewusstsein zu fördern.

Wie machen Sie das?
Es ist schwierig, konsequent zu sein. Es gibt immer weniger Nahrungsmittel auf dem Markt, die überhaupt noch nachhaltig produziert werden. Die Schweizer Herkunft ist dafür längst kein Garant mehr. Eigentlich muss man den Bauern persönlich kennen oder selbst produzieren. Das geht nicht immer. Ich kann die Welt nicht verbessern, aber vielleicht so anständig handeln, dass ich sie nicht noch schlechter mache.

Sie haben sich letztes Jahr mit der Gamper Bar und dem Wermut nochmals zwei Lokale zugelegt. Was ist Ihr Plan?
Bei mir geht es immer zuerst um das Gefühl. Beim Kochen habe ich etwa kein Rezept, weiss aber, wo ich hinwill. Und dann gehts irgendwie. So funktioniert es auch im Gamper. Ich weiss, welches Gefühl, welche Atmosphäre dort herrschen soll. Die Gamper Bar ist sehr wichtig für uns, auch wenn sie noch nicht jeden Abend aus den Nähten platzt. Dafür ist das Weinangebot vielleicht zu spezifisch. Die Bar braucht noch Zeit für ihr Publikum, aber ich glaube fest an sie. Auch beim Wermut im Kino Riffraff habe ich ein bestimmtes Gefühl im Kopf, das wir noch hinbringen sollten.

Um auf Ihren Traum zurückzukommen: Anstelle eines grossen Restaurants haben Sie nun drei kleine.
Vielleicht gehts ja auch in diese Richtung. Fakt ist, dass ich mehr Volumen machen will, um besser direkt mit den Bauern zusammenarbeiten zu können. Ein gutes, anständig produziertes Poulet aus dem Zürcher Oberland kostet 25 Franken das Kilo. Und das ist richtig so. Aber ich muss mir genau überlegen, wie ich den Vogel optimal verwerte. Ich kaufe auch nur noch ganze Tiere ein und reife das Fleisch selbst. Das Schwein, das wir im Dezember verarbeiteten, wurde Ende August geschlachtet. Ich meine, das war richtig gut.

Marius Frehner (37) wuchs im Zürcher Oberland sowie in der Stadt Zürich auf. Im Anschluss ans Gymnasium und nachdem man ihm beim Infotag der Hotelfachschule Luzern eine Kochlehre ans Herz gelegt hatte, erlernte Frehner ab 2003 als 22-Jähriger das Handwerk bei David MartÍnez Salvany im damals frisch eröffneten Hotel Greulich in Zürich. Anschliessend zog es Frehner für vier Jahre nach Barcelona. Nach einem mehrmonatigen Stage im berühmten Drei-Sterne-Restaurant El Celler de Can Roca wechselte er für ein Jahr ins Restaurant Moo (heute Rocabar) im Hotel Omm. Auf den Zivildienst folgten nochmals zwei Jahre in der katalanischen Metropole. In dem damals mit zwei Sternen ausgezeichneten Restaurant Abac arbeitete er sich vom Demi-Chef de Partie zum Souschef hoch. Zurück in der Schweiz, wirkte Frehner unter anderem als Küchenchef im Zürcher Tapas-Restaurant Tinto. Nachdem er jahrelang darüber nachgedacht hatte, eröffnete er im Februar 2016 das Restaurant Gamper im Zürcher Kreis vier. Im Frühling 2018 kam die Gamper Bar hinzu, die Frehner zusammen mit zwei Partnern (unter anderem mit Geschäftsführer Balz Coray) betreibt. Kurz darauf eröffnete Frehner zusammen mit Kaspar Fenkart im Zürcher Kino Riffraff das Wermut.

Restaurant Gamper
Nietengasse 1, 8004 Zürich
044 221 11 77
www.gamper-restaurant.ch

Gamper Bar
Dienerstrasse 75, 8004 Zürich
043 243 78 78 
www.gamper-bar.ch

Bar & Restaurant Wermut
Neugasse 63, 8005 Zürich
043 366 85 40
www.wermut.ch