«Bei nur drei oder vier Komponenten entscheiden Nuancen.»
Wovon träumen Sie?
Marius Frehner: Meine Träume haben alle etwas mit grossen Betrieben zu tun. Läden wie die Brasserie Georges in Lyon faszinieren mich. Mir gefällt ihre Grosszügigkeit, die Klasse. Ein anderer Traum von mir ist ein Restaurant mit eigenem Bauernhof, ein in sich geschlossener Kreislauf, vielleicht mit einem Kulturangebot, ein Ort, an dem verschiedene Disziplinen zusammenkommen. So was würde mich wahnsinnig reizen.
Aber?
Die Schweiz ist nun mal klein. Und was gross ist, wird extra klein gemacht. Es gäbe ja schon solche Räumlichkeiten, etwa in Zürich, aber da baut man dann kleine Strukturen rein, um es wieder heimelig zu machen. Vielleicht weil man Angst hat vor den grossen Gesten.
Sie hatten keine Angst, als Sie vor zwei Jahren das Gamper eröffneten?
Ich war eher frustriert. Alle sagten, dass es nicht gehe, dass das Restaurant zu klein sei und sowieso 80 Prozent aller Beizen defizitär seien. Aber ich sagte mir, das kann doch gopfertelli nicht sein, und wollte es einfach wissen. Ich habe keine Angst vor dem Scheitern, das gehört dazu, und ich scheitere ständig an irgendwelchen Sachen. Ich kann hier immer noch grandios untergehen, aber wenigstens habe ich es dann probiert. In den ersten zwei Jahren sind wir im Gamper mit einer schwarzen Null rausgekommen. Das ist grossartig. Reich wirst du eh nicht, aber wen interessierts? Geld kann man nicht fressen.
Alles oder nichts?
Ich entschloss mich damals, ins Wasser zu springen und loszuschwimmen. Aber ich muss irgendwann irgendwo ankommen, denn um zurückzuschwimmen, dafür reichts nicht mehr.
Sie waren zur Hochblüte der Molekularküche in Barcelona, wie wars?
David Martinez Salvany verschaffte mir nach der Lehre den ersten Kontakt. Das rechne ich ihm hoch an. Ich habe es geliebt, es war die schönste Zeit meines bisherigen Kochlebens. Dort zu sein, Vollgas zu geben mit all den anderen, die auch Vollgas gaben. Das El Celler de Can Roca hatte damals zwei Sterne, von Kopenhagen redete noch niemand. Köche von überall her kamen nach Barcelona, um zu lernen. Aus dieser Zeit kenne ich Leute aus Mexiko, Chile, Brasilien oder den USA, die mittlerweile selbst Restaurants betreiben. Es war auch fürs Netzwerk unbezahlbar.
Auch Ihre Liebe zum Grill wurde in Barcelona entfacht.
Im Abac war ich ein Jahr lang Grillchef. Ab dann wusste ich, dass ich niemals mehr in einem Restaurant ohne Grill arbeiten will. Das Kochen auf der offenen Glut macht mir am meisten Spass.
Warum?
Weil man mit sämtlichen Sinnen dabei sein muss. Ein Grill ist nie gleich, nicht messbar und das Kochen darauf dadurch viel schwieriger. Alles ist wichtig, die Temperatur, die Geräusche, und es passieren zwangsläufig Fehler. Plötzlich hat man einen Sack Kohle, der komplett anders funktioniert als jener davor. Dann muss man reagieren, die richtigen Massnahmen ergreifen, damit man die Hitze wieder in den Griff kriegt. Das finde ich wahnsinnig spannend.
Sind Holzkohle und rustikal reduzierte Kompositionen nicht eher das Merkmal der Neuen Nordischen Küche?
Das finde ich nicht. Klar, 2006 war die Hochzeit der Molekularküche und das El Bulli das beste Restaurant der Welt. Allerdings verkennt man oft, dass vor 35 Jahren viele Gerichte von Ferran Adrià oder den Roca-Brüdern ziemlich einfach waren und ähnlich daherkamen wie meine jetzt hier.
Das müssen Sie erklären.
Das El Celler de Can Roca zum Beispiel war ein Familienrestaurant mit traditionellen Speisen und Aromen, die man über Jahrzehnte weitergesponnen und verfeinert hat. Irgendwann entstanden daraus 30 Gänge und drei Sterne. Blöd gesagt: Wenn ich das hier lange genug gut mache, könnte ich vielleicht auch irgendwann avantgardistisch kochen, aber zuerst muss ich ja mal die Basis verstehen. Meine Teller schauen vielleicht rustikal aus, sind in ihrer Einfachheit aber nicht so leicht zu kochen. Bei nur drei oder vier Komponenten machen Nuancen den Unterschied aus zwischen okay und richtig gut.
Wieso kann man im Gamper nicht reservieren?
Das Lokal hat maximal 35 Plätze. Ich kann mir schlicht nicht leisten, dass eine Gruppe für einen am Samstagabend auf acht Uhr reservierten Tisch nicht auftaucht. Und das passiert dauernd. Klar, bestimmte Leute kommen deswegen gar nicht erst zu uns, weil sie die Sicherheit einer Reservation brauchen. Ich sehe das als eine Art Filter. Es braucht ein bisschen Mut und Lockerheit, um an einem Freitagabend einfach so bei uns reinzulaufen, ohne gleich einen Platz auf sicher zu haben. Ängstliche Gäste haben wir darum nicht viele. Das hilft später beim Essen, da wir ja keine Karte haben.