«Dieses Jahr brauchten wir vier Kilo schwarzen Trüffel pro Tag.»
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von Benoît Violiers Tod erfuhren?
Franck Giovannini: Ich sagte mir, dass so was nicht möglich ist. Vor allem nicht die Art. Wenn es ein Unfall gewesen wäre, aber so. Wir kannten uns sehr gut, seit über 20 Jahren. Benoît Violier war keine wankelmütige Person, es ging ihm immer gut. Ich war verwirrt. Es blieb aber nicht viel Zeit, um zu überlegen. Das Restaurant und die Mitarbeiter waren da. Benoît Violier starb an einem Sonntag, ich sprach mit Brigitte Violier. Sie sagte, dass sie weitermache, wenn auch ich bleibe.
Das mussten Sie überlegen?
Keine Sekunde. Wo sollte ich schon hin? Ich liebe dieses Haus und fühle mich aussergewöhnlich wohl hier. Am Montag informierten wir das Personal, und am Dienstag öffneten wir das Restaurant wieder. Wir sagten uns einfach, wir schauen, wie es geht.
Hatten Sie Zweifel?
Die hat man immer. Ich war mir sehr sicher, was unsere Qualität anbelangt. Allerdings wussten wir nicht, wie die Gäste auf die Situation reagieren würden. Aber es kam gut, die Unterstützung war riesig. Wir hatten jeden Morgen Anrufe von Gästen, die sofort eingesprungen wären, wäre ein Tisch kurzfristig annulliert worden. Wir haben in den letzten 18 Monaten noch besser gearbeitet als zuvor. Mein Vorteil war, dass ich das Haus und seinen Stil sehr gut kannte. Zusammengezählt arbeite ich seit 22 Jahren hier. Unter Benoît Violier war ich für die Brigade zuständig, die Karte kreierten wir immer zusammen.
Wie entsteht Ihr Menü heute?
Es ist ein anderer Prozess. Benoît Violier und ich waren gleich alt, arbeiteten schon lange zusammen und kannten uns in- und auswendig. Heute assistieren mir meine vier Souschefs Filipe Fonseca Pinheiro, Jeremy Desbraux, Damien Facile und Josselin Jacquet. Sie sind alle sehr talentiert, aber auch noch jung, keine 30 Jahre alt. Sie werden sich noch entwickeln. Die Kreativität eines Kochs ist mit 40 Jahren eine andere.
Wie meinen Sie das?
Die Erfahrung hilft, auch bei der Kreativität. Es geht ja nicht nur um den Geschmack. Die Gerichte müssen jeden Tag machbar sein, und zwar 60 Stück pro Service. Auch die Rentabilität ist entscheidend. Ich delegiere aber immer mehr Arbeiten, gebe bei einem Gericht zum Beispiel nicht mehr alles vor, so dass sie ihre eigenen Ideen einbringen können. Das ist mir wichtig. Es gibt hier keine Diktatur des Küchenchefs.
Wie hoch ist der Kostenanteil der Lebensmittel?
Nun, bei einem Bistro liegen sie unter 30 Prozent, damit können wir nicht mithalten. Wir sind eher bei 40 Prozent, das hängt von der Saison ab. Bei uns kommt aber auch einiges auf den Teller. Dieses Jahr brauchten wir zum Beispiel vier Kilo schwarzen Trüffel pro Tag. Und das Kilo kostete heuer nie weniger als 1000 Franken. Das macht pro Gast mindestens 40 Franken, nur für die Trüffel. Wir haben das Glück, dass bei uns viel Wein konsumiert wird, der ist rentabler als das Menü. Aber in der Schlussrechnung geht es auf, auch weil wir in der Küche praktisch keine Verluste haben, alles wird verwertet.
Wie wichtig sind für Sie regionale Lebensmittel?
Ich würde gerne nur mit Schweizer Produkten arbeiten, leider hat die Schweiz keinen Ozean. Meerfische sind wichtig für ein Haus wie das unsere. Und auch wenn ich nur mit Süsswasserfischen arbeiten wollte, in der Qualität, wie wir sie brauchen, gäbe es nicht genug. Der Anteil an lokalen Produkten steigt bei uns aber jedes Jahr.
Gibt es eigentlich eine vegetarische Version des Menüs?
Ja und nein. Offiziell gibt es keine vegetarische Variante, aber wir fragen alle Gäste, was sie mögen und was nicht. Auf dieser Basis erstelle ich dann das Menü, auch vegan, wenn dies gewünscht wird. Drei Gerichte des Menüs sind sowieso fleischlos. Die vegetarische Version ist für uns einfach zu bewerkstelligen. Persönlich finde ich die vegane Küche zu extrem und auch nicht sonderlich gesund, aber wir machen sie. Das entspricht dem Geist dieses Hauses.
Beschreiben Sie diesen Geist.
Wir behandeln alle Gäste gleich, ganz egal, ob jemand reich ist oder nicht, ob jemand gut oder weniger gut gekleidet durch die Türe tritt, ob jemand Bankdirektor, Präsident oder Bauer ist. Jeder erhält die genau gleiche Aufmerksamkeit, die gleiche Qualität, auf dem Teller, beim Service oder beim Empfang. Man muss schon sehen: Restaurants wie dieses gibt es nicht viele auf der Welt.
Wie meinen Sie das?
Die meisten Drei-Sterne-Restaurants befinden sich in einem Hotel, sind also querfinanziert und haben weniger als 30 Plätze. Bei uns muss das Restaurant Geld verdienen, wir bieten 60 Plätze an, haben 58 Angestellte, und es funktioniert, trotz den teuren Produkten, die wir verarbeiten. Das Restaurant war seit Frédy Girardet immer rentabel. Ich finde das unglaublich.