«Wir suchten eine Sorte, die möglichst schnell reift.»
Goldgelb, dampfend und von schön cremiger Konsistenz – so kommt der Safranrisotto in Asconas eleganter Locanda Barbarossa auf den Tisch. «Wir haben jeden Tag mindestens zwei Risotto-Varianten auf der Karte», erklärt Küchenchef Mattias Roock, «die Gäste erwarten und bestellen das.» Derzeit biete er mal einen Pilz-, mal einen Kräuter- oder einen Hummerrisotto an. Bei den Zutaten ist man hier so kreativ wie flexibel – mit einer Ausnahme: dem Reis. Verwendet wird ausschliesslich Loto, eine seltene und vergleichsweise kleinkörnige Sorte, die auf den Feldern um das Luxushotel Castello del Sole wächst, zu dem die Locanda Barbarossa gehört. Er habe sich anfangs an die kleinen Körner und die damit verbundene kürzere Kochzeit gewöhnen müssen, erzählt Roock. Doch warum sollte er einen anderen Reis verwenden als den, der direkt vor seiner Haustür wächst?
Terreni alla Maggia ist ein landwirtschaftlicher Betrieb am Ortsrand von Ascona. Auf rund 150 Hektar wachsen Getreide, Weinreben, Apfelbäume und Reis. Reis? Im Tessin? «Warum nicht?», fragt Fabio Del Pietro, der den Hof leitet. «Wir sind hier nur 120 Kilometer nördlich von den Reisfeldern in Novara.» Das stimmt, aber 100 Kilometer plus oder minus machen einen Unterschied. Terreni alla Maggia ist das nördlichste Reisfeld in Europa und insofern wohl auch das nördlichste der Welt.
Die Idee, rund 80 Hektar Land, auf dem seit der Gründung des Hofs um 1930 vor allem Polentamais und Hartweizen wuchsen, dem Reisanbau zu widmen, entstand 1997. Das Risiko war überschaubar: Dass sich der Reis im Tessin gut verkaufen würde, lag auf der Hand, denn Risotto spielt auf dem Menüplan der Region eine wichtige Rolle. Die Mähdrescher, die für die Ernte nötig sind, standen ebenso zur Verfügung wie Öfen, um die Reiskörner zu trocknen, und Silos, um sie zu speichern. All das wird auch für die Verarbeitung und Lagerung der anderen Getreide gebraucht.
Man schaute sich also diverse Reissorten an, liess sich von italienischen Saatgutfirmen beraten und wählte die noch relativ junge Sorte Loto. «Wir befinden uns hier in einer voralpinen Klimalage und sind deshalb etwas knapp, was die Reifezeit betrifft», erklärt Markus Giger, der bei Terreni alla Maggia für den Ackerbau zuständig ist. «Wir suchten eine Sorte, die möglichst schnell reift.» Der bekannte Risottoreis Carnaroli etwa kam nicht in Frage, denn von der Saat bis zur Ernte braucht er 180 Tage Wärme. Die kann das Tessin nicht bieten. Loto-Reiskörner sind dagegen in nur 150 Tagen erntereif. Das passt: Gesät wird Ende April, geerntet Anfang Oktober, in den Monaten dazwischen darf man mit Sonne und anständigen Temperaturen rechnen. Zudem ist die Sorte robust, kaum anfällig für Krankheiten und – das ist wichtig – gut geeignet für den Risotto.
Das Saatgut kommt aus Vercelli im Piemont. Zwar könnte man den Rohreis vom Vorjahr verwenden, doch im Risotto-Land Italien gibt es Betriebe, die sich darauf spezialisiert haben, Saatgut zu produzieren und in bester Qualität zu liefern. Was dann im Tessin mit den Samen geschieht, unterscheidet sich allerdings wesentlich vom Reisanbau im Nachbarland. Dort werden die Felder regelmässig geflutet, in Ascona wächst der Reis auf einem trockenen und dank der Nähe zum See und zum Maggia-Delta sehr fruchtbaren Boden. «Überfluten funktioniert bei uns nicht», erklärt Giger, «erstens sind unsere Böden sandig, das Wasser versickert sofort. Zweitens sind die Felder nicht eben, was eine Voraussetzung für gleichmässig geflutete Flächen ist.»