«Am Zahltag gabs vielleicht mal Pizza.»
«Thesaurus» ist für uns Deutschsprachige ein seltsames Wort, aber im Lateinischen bedeutet es einfach «Schatz». Im Englischen werden Wörterbücher so genannt. Und mit dem ersten Band ihres «Geschmacksthesaurus» kreierte die britische Autorin Niki Segnit 2014 ein überraschend einfaches und doch ganz neuartiges Buch für Leute, die gern eigene Wege gehen und dafür Inspiration suchen. Es verkaufte sich über 250 000 Mal und wurde in 14 Sprachen übersetzt.
«Der ‹Geschmacksthesaurus› ist mein Handbuch, wenn es darum geht, Aromen zu kombinieren... das einzige Werkzeug, das es mir erlaubt, einige meiner Annahmen zu überprüfen, ohne mich selbst an den Herd stellen zu müssen», schrieb Middle-East-Superstar Yotam Ottolenghi im Vorwort zu Segnits zweitem Buch «Intuitives Kochen», das sich mit verschiedenen Grundzubereitungsarten befasst und lehrt, wie man Ableitungen davon macht.
Nun hat Segnit mit «More Flavours» einen zweiten Band ihres Kochwortschatzes vorgelegt, der sich vor allem mit Gerichten beschäftigt, die auf unverkrampfte Weise Pflanzen in den Vordergrund rücken. Wie ihre ersten beiden Werke dürfte das neue Buch ein Bestseller werden, was kaum ein Kochbuch schafft, das nicht einen TV-Koch oder eine TV-Köchin auf dem Cover hat. Wir haben uns mit der Erfolgsautorin über ihre Karriere und ihr liebstes Comfort Food unterhalten.
Wir stören Sie um halb ein Uhr mittags – was gibt es bei Ihnen heute zum Lunch?
Niki Segnit: Selbst gebackenes Brot und etwas Serranoschinken.
Am Vortag unseres Gesprächs traf sich im Kopenhagener Restaurant Alchemist die Elite der Kulinarikszene – die Adriá-Brüder, Harold McGee und Alchemist-Chef Rasmus Munk – zum Kochen und zu Podiumsgesprächen. Waren Sie als internationale Bestsellerautorin auch eingeladen, wenn nicht zum Halten eines Vortrags, so wenigstens als Gast?
Interessieren würde mich das natürlich schon. Aber mir scheint, dass die Protagonisten dieser Kulinarikszene vor allem einander einladen und nicht unbedingt an meiner Aussensicht interessiert sind. Ich finde diese Art Anlässe deshalb ein bisschen, nun ja, selbstbezüglich.
Warum genau fingen Sie eigentlich an, sich mit Essen zu beschäftigen?
Zu Beginn meiner Karriere in der Werbung wohnte ich alleine und musste mich irgendwie ernähren. Damals arbeitete ich für eine Frau, die sich sehr für das Thema Kochen und Essen interessierte. Sie zeigte mir italienische Läden und Märkte in London. Kochkurse konnte ich mir nicht leisten, ich war ja kein reiches Mädchen, das in die Skiferien geht. Also habe ich zunächst viel gelesen und dann zu kochen angefangen. Schon als Kind habe ich sehr viel gelesen, und als ich mir das Kochen beibringen wollte, war es der natürlichste Weg, das übers Lesen zu erreichen.
Gibt es etwas in Ihrem frühen Leben, das Sie geprägt hat?
Unbedingt. Meine Mutter hat immer alles von Grund auf zubereitet, und das war sehr wichtig für mich. Aber dennoch: Nachdem ich von zu Hause ausgezogen war und bevor ich kochen lernte, ernährte ich mich von Baked Potatoes. Am Zahltag gabs vielleicht mal Pizza. Als ich dann Spaghetti Aglio e Olio entdeckte, ging es mir schlagartig besser.
Wie arbeiten Sie an Ihren Büchern? Werden Sie wie der klassische kreative Geist von Ideen bestürmt oder setzen Sie sich hin, fokussieren und vergraben sich in der Arbeit?
Ich versuche, nah an einem Thema dran zu bleiben, und überarbeite Rezepte wie Texte auf intensive Weise. Im Gegensatz zu einer TV-Köchin habe ich jedoch keine Angestellten, die für mich Gerichte zubereiten und testen. Ich komme deshalb nur sehr langsam voran und muss alles selbst zubereiten, probieren und weiter recherchieren. Zudem ist es bei meiner Art der Arbeit keine Option, Sachverhalte irgendwo nachzulesen und zu übernehmen, weil ich mich weitestgehend auf unerkundetem Gebiet befinde. Wenn ich eine Idee habe und ihre Möglichkeiten erforsche, kann das deshalb furchtbar lange dauern, denn ich schreibe ja nicht einfach eine Meinung auf. Wichtig zu wissen ist auch, dass es saisonale Gegebenheiten gibt: Manche Produkte sind auf dem Markt nur während sechs Wochen frisch zu haben, und wenn ich mit der Arbeit zu diesem Thema nicht durchkomme, muss ich bis zur nächsten Saison warten.
War Ihnen beim Verfassen Ihres ersten Buchs schon klar, dass Sie Stars der Branche wie Yotam Ottolenghi beeindrucken würden?
Ich habe beim Schreiben vor allem an mich und an Leute wie mich gedacht. Ich versuche, mich auf eine Art weiterzubilden, die nützlich ist. Ich will meine Leserinnen und Leser mitnehmen und ihnen zeigen, wie man an unerwarteten Verbindungen zwischen unterschiedlichen Lebensmitteln Freude empfinden kann. Ein gutes Beispiel sind die roten Bohnen, die einen Geschmack wie Leber haben. Es gibt nur sehr wenige Rezepte für diese Pflanze.Wenn ich schreibe, will ich meine Leserinnen und Leser dazu bringen, diesen überraschenden Geschmack zu entdecken und seine Möglichkeiten zu erkunden. So entstand etwa ein vegetarisches Haggis mit genau diesen Bohnen – ein Gericht wie diese schottische Wurst aus Lamm-Innereien, vor der Leute in der Originalversion zurückschrecken, wird vegetarisch plötzlich zur begehrten Spezialität. Spannend!