12.06.2017 Salz & Pfeffer 4/2017

Kompromisslos

Interview: Tobias Hüberli – Fotos: Jürg Waldmeier
Fabian Fuchs zelebriert im Zürcher Kreis vier eine strikt regional ausgerichtete Küche. Ein Gespräch über kleine Produzenten, inspirierende Gedanken und den extremen Druck der Sternegastronomie.
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«Ich habe immer das Gefühl, es sei nicht gut genug.»

Das Restaurant Equitable im St. Meinrad feiert heuer sein Fünf-Jahre-Jubiläum. Was ist von der ursprünglichen Idee eines Fairtrade-Restaurants übrig geblieben?
Fabian Fuchs: Als mich die Kleinaktionäre des Equitable als Küchenchef engagierten, war der Plan, einzig mit regionalen Lebensmitteln, Bio- und Fairtrade-Produkten zu arbeiten. Mittlerweile wurde das Konzept weiterentwickelt, würde ich sagen. Ich realisierte schnell, dass man nur mit fair gehandelten Produkten kein Restaurant betreiben kann. Es gibt schlicht zu wenig davon. Mein Fokus liegt deshalb auf der Regionalität. Wir kochen nur mit Produkten aus der Schweiz, verzichten etwa auf Salzwasserfische oder Olivenöl. Da bin ich kompromisslos. Dieser Ansatz ist zu unserer Identität geworden.

Wie war es, nach einem vorgegebenen Konzept zu kochen?
Ich fand es spannend, so was mal auszuprobieren, und nahm die Herausforderung an. Eine solche Küche erfordert viel Flexibilität, nur schon, bis man die richtigen Bauern und Kleinproduzenten gefunden hat. Das Equitable hat meine Denkweise verändert. Rückblickend war es eine grosse Chance. Es gibt in der Schweiz ausreichend Lebensmittel, ich muss auf nichts verzichten. Die Regionalität ist für meine Küche zentral, ich will heute nicht mehr anders kochen.

Kommen die Gäste wegen der Philosophie ins Restaurant, oder wollen sie einfach bei Fabian Fuchs essen?
Teils, teils, glaube ich. Die meisten wissen aber genau, was wir hier machen. Für die Gäste wird die Herkunft der Produkte und das Vertrauen in den Koch immer wichtiger. Man will wissen, wo und wie die Lebensmittel gewachsen sind. Wir versuchen, unsere Wertschätzung für diese Produkte zu vermitteln.

Ist das Restaurant rentabel?
Mittlerweile schon. Aber wir zahlen immer noch das erste Jahr ab. Die beste Entscheidung war, das Restaurant nur noch abends zu betreiben. Mit dem Mittagsservice sind die Arbeitstage ewig. Ich musste alle drei Monate einen neuen Koch suchen, weil das niemand mitmachte. Seit wir uns auf den Abend konzentrieren, konnten wir die Qualität steigern. So kamen auch die Punkte und der Stern. Das war ein Wendepunkt. Wir hatten plötzlich so viele Anfragen, dass wir beschlossen, an den Wochenenden nur noch Menüs anzubieten.

Also einen Konsumzwang einzuführen.
Wenn an einem Fünfertisch nur einer den Hauptgang bestellt, der Rest sich mit Vorspeisen oder einem Dessert begnügt, können wir nicht überleben. Mittlerweile bieten wir auch unter der Woche nur noch Menüs an, und es funktioniert. Einmal im Monat gibt es einen Mittagstisch. Das machen wir auch für unsere Aktionäre, die zu Beginn vielleicht nicht damit rechneten, dass im Equitable dereinst nur Mehrgänger ab 120 Franken serviert würden.

War das kulinarische Niveau von derzeit 16 Punkten und einem Michelin-Stern auch in der Grundidee enthalten?
Mein Ziel war es nicht, ich dachte gar nicht daran. Ich hatte vorher ja immer für einen anderen grossen Koch gearbeitet. Es ist dann einfach super gelaufen.

Welche Ziele haben Sie sich für dieses Jahr gesetzt?
Wir wollen unsere Punkte und den Stern verteidigen. Inklusive Abwäscher sind wir zu dritt in der Küche, zu zweit im Service, das Lokal ist, wie es ist: klein und eng. Wir haben erreicht, was momentan möglich ist. Und ich bin happy, so wie es ist. Es kommen lässige Leute zu uns essen, von jung bis alt. Besser zu kochen, ist natürlich immer ein Ziel. Das heisst für mich aber nicht, noch verrücktere Kombinationen zu machen, sondern eher einen Schritt zurückzugehen, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Zum Beispiel einen Sellerie so zu lassen, wie er ist. Ich will die Dinge reduzieren. Der Aufwand in der Küche sinkt dadurch allerdings nicht. Man überlegt sich zwar weniger, was man mit dem Sellerie alles anstellen will, dafür, wie er gewachsen ist und wie man den besten Geschmack aus ihm herausholt.

Was hat Ihren Küchenstil beeinflusst?
Das ist schwierig zu sagen. Ich versuche natürlich, einen eigenen Weg zu finden. Klar gibt es Köche, die mich geprägt haben, Nenad Mlinarevic zum Beispiel, weil er ein Vorbild ist und weil ich geil finde, was er macht. Ein Aha-Erlebnis hatte ich vor drei Jahren in Kopenhagen.

Erzählen Sie.
Ich ging mit Freunden unter anderem im Restaurant Relæ essen. Die Gerichte waren extrem ehrlich. Es hatte sehr wenig auf dem Teller, schmeckte aber super. Zum Apéro gab es zum Beispiel nur einen rohen Minifenchel mit Rapsöl und Fleur de Sel. Ich verliess das Restaurant begeistert und fragte mich, wieso ich noch drei verschiedene Häppchen servieren soll, wenn man auch einfach einen Fenchel hinstellen kann, der perfekt schmeckt. In der Schweiz suchte ich dann nach Bauern, die mir Spinatwurzeln bringen oder kleinere, einfach früher ausgebuddelte Rüebli mit Grün. Wenn man solche Produkte kriegt, muss man gar nicht mehr so viel damit machen.

Das ist der Ansatz der Neuen Nordischen Küche.
Ich sage nicht, dass ich einen nordischen Stil pflege, aber die Gedanken dieser Köche haben mich stark inspiriert. Schön zu sehen war auch, wie die Gäste in Kopenhagen auf die Gerichte reagierten. Vier vegetarische Gänge nacheinander und danach jeweils nur ein Fisch- und ein Fleischgang waren kein Problem. In der Schweiz käme das wohl nicht sehr gut an, obwohl man nur mit Gemüse extrem viel machen kann. Im Equitable bewegen wir uns langsam in diese Richtung.

Sie verkörpern zusammen mit Nenad Mlinarevic oder Sven Wassmer eine neue Generation von Gourmetköchen.
Andreas Caminada war der erste, der richtig neuen Wind ins Ganze brachte. Er ist für jeden jungen Koch wie mich ein Riesenvorbild. Natürlich kocht auch ein Hans-Peter Hussong sensationell, aber wir Jungen können uns damit nicht mehr so richtig identifizieren. Wir hinterfragen viel. Wieso soll ich den Dill züpfeln, wenn er mit dem Stil geschnitten genauso gut schmeckt? Das ist ein banales Beispiel, aber solche Sachen überlegt man sich. Dann nehmen wir nicht mehr nur das Beste vom Besten, keinen Hummer oder keine Foie gras, dafür Trüschenleber, Albeli oder Trüffel vom Üetliberg. Ich habe im EquiTable noch nie ein Filet gekocht, ausser das einer alten Kuh von Patrick Marxer. Wenn man Nachhaltigkeit proklamiert, kann man keine Filets auftischen.

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Saibling, Gurke, Bergkartoffel und Dill
Saibling, Gurke, Bergkartoffel und Dill
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Wollschwein, Spinat und Sellerie
Wollschwein, Spinat und Sellerie
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Eigelb, Buchweizen, Bergkäse, Zedernüsse, Rosmarin und Bärlauch
Eigelb, Buchweizen, Bergkäse, Zedernüsse, Rosmarin und Bärlauch
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Was für ein Mensch sind Sie während des Services?
Ich fordere viel von jedem Einzelnen. Es ist nicht selbstverständlich, zu fünft eine Gastronomie auf diesem Niveau zu betreiben. Ich lebe unter einem extremen Druck, was mich nicht immer zum angenehmsten Menschen macht, das gebe ich offen zu. Aber ich habe Superleute um mich herum, die damit umgehen können und es nicht persönlich nehmen. Wenn ich das Gefühl habe, dass die Gäste nicht glücklich sind, werde ich nervös, und die Gedanken müssen irgendwo raus.

Was beschäftigt Sie in solchen Momenten?
Ich studiere viel zu viel. Ich habe immer das Gefühl, es sei nicht gut genug. So war ich schon immer. Das treibt einen natürlich an, das Beste herauszuholen, ist aber nicht immer ganz gesund. Ich hinterfrage mich ständig, schaue die Teller an oder konsultiere den Service, etwa ob da bei Tisch vier alles in Ordnung sei, weil die so komisch schauen und nicht glücklich wirken. Dabei habe ich zweimal kurz aus der Küche geschaut und die Gäste im falschen Moment erwischt.

Die Wintermonate geben in der Schweiz nicht viel her. Wie vermeiden Sie Wiederholungen im Menü?
Ich muss aufpassen. Vier Monate lang nur mit Kohl und Kabis im Angebot, da gehen mir schon auch mal die Ideen aus. Wir machen im Sommer viel ein, fermentieren zum Beispiel grüne Erdbeeren und servieren sie im Winter. Das funktioniert, und so sind die Möglichkeiten wieder fast unbegrenzt. Inzwischen bereitet mir der Winter viel weniger Mühe als in den Anfängen des Equitable.

Wie halten Sie es mit biologisch produzierten Lebensmitteln?
Die sind für unser Konzept wichtig. Ich arbeite ausschliesslich mit Gemüse in Bio-Qualität, weil ich finde, dass es geschmacklich besser ist. Allerdings schaue ich nicht auf Labels. Wenn etwa ein Bauer sein Gemüse nach biologischen Grundsätzen produziert, dieses aber nicht hat zertifizieren lassen, kaufe ich es trotzdem. Beim Fleisch und beim Fisch gehe ich hingegen Kompromisse ein, weil mich die Qualität von Bio-Fleisch oft nicht überzeugt.

Ihre Küche wurde auch schon als New Swiss Cuisine bezeichnet, was halten Sie davon?
Es gibt Bemühungen, die Schweizer Küche zusammenzufassen, um sie als touristisches Marketingwerkzeug zu nutzen. Das ist eine gute Sache. Persönlich denke ich, dass es eine reine Schweizer Küche nicht gibt, sondern dass sie sich aus vielen regionalen Küchen zusammensetzt. Kürzlich organisierte Andreas Caminada zusammen mit Dominik Flammer und dem Kochcampus ein Treffen, an dem Spitzenköche aus Österreich, dem Südtirol und der Schweiz über die alpine Küche diskutierten. Das ergab für mich mehr Sinn, eine Küche hört ja nicht an der Grenze auf.

Wovon träumen Sie?
Ich hätte gerne mal etwas ganz Eigenes. Vielleicht verbunden mit eigenem Anbau. Auf dem Land wäre das einfacher, da die Wege zu den Produzenten kurz sind. Ein Konzept wie das Equitable ist in der Stadt nicht einfach umzusetzen. Aber ich bin nicht
unbedingt ein ländlicher Typ. Zudem gibt es in einer Stadt mehr Gäste. Etwas wie das Zürcher Restaurant Frau Gerolds Garten oder die in einem alten Industriegebäude gelegene Pizzeria Rosso, verbunden mit gehobener Küche, könnte ich mir vorstellen.

Wie steht es um die Zukunft des Equitable?
Wir haben eben gerade einen neuen Fünfjahresvertrag mit dem Vermieter unterschrieben, das Restaurant bleibt also sicher noch eine Weile bestehen.

Mit Ihnen?
Ich denke schon.

Fabian Fuchs (30) wächst in Wädenswil und Basel auf. In Zürich macht der bekennende GC-Fan im Restaurant Wine & Dine die Kochlehre. Er trifft erstmals auf Nenad Mlinarevic, der hier für kurze Zeit als Chef de Partie wirkt. Als Jungkoch absolviert Fuchs zuerst zwei Saisons im Posthaus in St. Moritz und kehrt dann zurück nach Zürich, wo er ein Jahr lang für David Martínez Salvany im Hotel Greulich arbeitet. Nach zwei Jahren im Restaurant Taggenberg unter Peter Schnaibel zieht es Fuchs nach Australien. Er kocht ein paar Monate in Sidney, kauft sich danach einen Bus und fährt einmal um den Kontinent. «Kulinarisch hat mich Australien nicht unbedingt weitergebracht, dafür habe ich menschlich sehr viel gelernt», sagt er.

Zurück in der Schweiz heuert Fuchs beim späteren Koch des Jahres Nenad Mlinarevic im Restaurant Neue Blumenau an. Als Mlinarevic ein Angebot des Parkhotels Vitznau bekommt, vermittelt er Fuchs eine Stelle bei Marcus G. Lindner im Zürcher Restaurant Mesa, mit dem Plan, ihn ein Jahr später nach Vitznau zu holen. Gesagt, getan. Doch Fuchs bleibt nur drei Monate in der Innerschweiz, kehrt abermals nach Zürich zurück und eröffnet 2012 als 26-Jähriger das Restaurant Equitable im Zürcher St. Meinrad. Hinter dem Lokal stehen rund 200 Kleinaktionäre rund um Initiator Roland Jenni. Das Konzept des Equitable schreibt Fabian Fuchs vor, nur mit regional produzierten Lebensmitteln sowie mit Bio- und Fair­trade-Produkten zu arbeiten. Mit seiner überlegten, strikt regionalen Küche sorgt Fuchs bald für Aufsehen, bei den Gästen, aber auch bei den Testern. Seine Küche ist derzeit mit 16 Gault-Millau-Punkten sowie einem Michelin-Stern bewertet.

Restaurant Equitable im St. Meinrad, Stauffacherstrasse 163, 8004 Zürich, 043 534 82 77, www.equi-table.ch